Bildquelle: Netflix/Mara Kasten

Koreanische Produktionen auf Netflix – Wie Streaming die globale Medienökonomie verändert

Von Mara Kasten

Digitale Plattformen, wie der Streamingdienst Netflix, lassen nationale Grenzen verschwimmen und haben dennoch erkannt, dass lokale Produktionen wichtig für ihren Erfolg sind. Dadurch ermöglicht Netflix einem globalen Publikum den Konsum nicht-westlicher Inhalte. Dieser Artikel zeigt am Beispiel Südkoreas, wieso transnationale Informationsströme immer komplexer werden.

Durch digitale Technologien und Innovationen, beispielsweise Streaming, hat sich die Medienlandschaft verändert. Das US-amerikanische Unternehmen Netflix ermöglicht es, Filme und Serien online, ohne zeitliche oder räumliche Beschränkung, anzuschauen und passt Videoinhalte bestmöglich den Bedürfnissen der Kunden an. Seit Januar 2016 ist der Streamingdienst auch in Südkorea (hiernach Korea) verfügbar. Obwohl das Angebot an Filmen und Serien je nach Land variiert, besteht es überall zu einem großen Teil aus amerikanischen Produktionen. Der Einfluss westlicher Kulturen auf andere Länder, wie Korea, nimmt dementsprechend potenziell zu. Gleichzeitig ermöglicht Netflix es lokalen Produktionsfirmen, ein globales Publikum zu erreichen und trägt durch das wachsende Angebot an koreanischen Dramen und Filmen auch zu der Popularität von koreanischen Medienprodukten im Westen bei. Unternehmen wie Netflix können so beispielsweise simultan dominante westliche Informationsströme und koreanische Gegenströme entsenden.

Informationsströme

Die meisten weltweit konsumierten Medienprodukte werden im Westen, vor allem in den USA, produziert. Dies bedeutet, dass einige wenige Länder einen bedeutenden kulturellen Einfluss auf den Rest der Welt ausüben. Der Kommunikationswissenschaftler Daya Thussu bezeichnet dies als dominante Informationsströme (auf engl. dominant flows of information). Jedoch betont Thussu auch, dass es sich dabei nicht um einen einseitigen Fluss handelt. Stattdessen soll es auch sogenannte Gegenströme (auf engl. contraflows) geben, d.h. auch Medienprodukte aus nichtwestlichen Ländern werden in anderen Teilen der Welt verbreitet und konsumiert. Dies wird vor allem durch das Internet ermöglicht.

Hallyu: Die koreanische Welle

Das Phänomen der Popularität von koreanischen TV-Produktionen (und später auch Popmusik, Computerspiele etc.) ist als „Hallyu“ bekannt. Hallyu bedeutet so viel wie „koreanische Welle“ und begann in den späten 1990ern. Damals wurden koreanische Dramen nach China exportiert. Aufgrund der kulturellen Nähe und niedrigen Kosten wurden sie bald auch in Japan, Taiwan und Vietnam nachgefragt. Dieser Anstieg der koreanischen Welle fiel absichtlich mit der strategischen Exportpolitik der koreanischen Regierung zusammen. Eine neue Phase der koreanischen Welle, Hallyu 2.0, begann 2008. Durch digitale Plattformen, wie Netflix und YouTube, sowie andere soziale Medien können koreanische Kulturgüter nun von einem globalen Publikum konsumiert und diskutiert werden. Darüber hinaus hat die früher weitverbreitete Romantik-Formel des reichen Kerls, der sich in ein armes Mädchen verliebt, Dramen wie Boys over Flowers (2009), trotz der sich wiederholenden Konventionalität, bei transnationalen Fans sehr beliebt gemacht. Tatsächlich wurden laut der Korean Foundation for International Cultural Exchange (KOFICE) 2018 kulturelle Produkte (z.B. koreanische Dramen, Popmusik und Computerspiele) im Wert von 6,38 Milliarden US-Dollar exportiert. Diese ansteigenden Exportmuster sind zum Teil auf Veränderungen in der Fernsehindustrie zurückzuführen, denn durch Streaming ist das Publikum für ausländische Serien und Filme deutlich gewachsen. Dieser Konsum transnationaler Fernsehsendungen hat auch zu der Popularität von Online-Fankulturen beigetragen und dazu geführt, dass transnationale Informationsströme immer komplexer werden.

NETFLIX IN KOREA

Koreanische Netflix Originals. Bildquelle: Netflix/Mara Kasten

Während Netflix 2016 weniger als eine Million Abonnenten in Korea hatte, waren es laut dem koreanischen Adtech Unternehmen IGAWorks im Juni 2020 bereits 4,66 Millionen Abonnenten. Zu Beginn hatte Netflix Schwierigkeiten, sich gegen die lokale Konkurrenz durchzusetzen, welche unter anderem ihre Dienste für niedrigere Preise anboten und zudem ein deutlich größeres Angebot an koreanischen Produktionen aufwiesen. Durch die COVID-19 Pandemie hat Netflix eindeutig von der stark gestiegenen Streaming-Nachfrage profitiert. Weitere Gründe für die stark angestiegenen Abonnent*innenzahlen sind auch die strategische Partnerschaft mit dem Netzbetreiber LG UPlus, sowie die Verträge mit lokalen Produktionsfirmen, wie Studio Dragon und Jcontentree. Denn der Marktanteil koreanischer Kinofilme in Korea betrug 2018 ca. 50,9% und Koreaner*innen waren durchschnittlich vier Mal im Kino – einer der höchsten Werte weltweit. Zum Vergleich: In Deutschland hatten deutsche Kinofilme 2018 nur einen Marktanteil von ca. 24,6% (Quelle: Filmförderungsanstalt). Netflix hat erkannt, dass lokale Produktionen wichtig sind und sich Investitionen in qualitativ hochwertige Eigenproduktionen, sogenannte Netflix Originals, rentieren. Filme und Serien in der Lokalsprache, sowie Untertitel haben Netflix einen klaren Wettbewerbsvorteil verschafft. Diese Lokalisierungsstrategie, das heißt lokale Inhalte zu lizensieren und exklusiv zu produzieren, um neue Märkte effektiv zu erschließen, hat sich für Netflix auch in Korea ausgezahlt.

KOREANISCHE PRODUKTIONEN AUCH IM AUSLAND BELIEBT

Bong Joon-ho bei der Premiere seines Films Okja in Japan. Bildquelle: flickr/Dick Thomas Johnson

Doch nicht nur Koreaner*innen wollen koreanische Dramen und Filme sehen, auch im Ausland werden sie immer beliebter. In den letzten Jahren ist das koreanische Angebot auf Netflix stetig gewachsen, sodass der Netflix Katalog in Deutschland mittlerweile mehr als einhundert koreanische Produktionen beinhaltet. Romantische Komödien sind durch ihre affektive Affinität im transnationalen Kontext besonders erfolgreich. Zuschauer*innen können sich trotz möglicher kultureller Unterschiede mit den Charakteren, ihren verstrickten menschlichen Beziehungen und der Suche nach romantischer Liebe identifizieren. Doch Netflix Originals greifen gezielt auch andere Genres auf. Dazu gehört zum Beispiel Bong Joon-hos gesellschaftskritischer Film Okja (2017), die erste koreanische Netflix Eigenproduktion, in der es um ein genmanipuliertes Riesenschwein geht. Aber auch das erfolgreiche Drama Itaewon Class (2020), das auf dem gleichnamigen Webtoon von Gwang Jin basiert und unter anderem Diskriminierung und LGBTQ-Themen behandelt.   

Bong Joon-hos Film Parasite (2019, im Sommer 2020 auf Amazon Prime Video verfügbar) hat ebenfalls zu der Beliebtheit koreanischer Produktionen beigetragen. Parasite ist kapitalismuskritisch und thematisiert soziale Spaltung, wurde mit vier Oscars ausgezeichnet und hat weltweit mehr als 257 Millionen US-Dollar eingespielt.

INFORMATIONSSTRÖME WERDEN IMMER KOMPLEXER

Digitale Plattformen wie Netflix lassen nationale Grenzen verschwimmen und ermöglichen die Verbreitung, sowie den Konsum nicht-westlicher Medieninhalte. Diese sogenannten Gegenströme können laut Kommunikationswissenschaftler Daya Thussu (2019) potenziell die existierenden Machtstrukturen der globalen Medienökonomie verändern. Doch während Netflix diese koreanischen Gegenströme entsendet, entscheidet der Streamingdienst auch, wie viele koreanische Serien und Filme er lizensiert oder produziert. Durch die Beteiligung an der Produktion der koreanischen Netflix Originals, könnte der US-amerikanische Einfluss auf koreanische Medieninhalte zudem potenziell größer werden. Nicht zuletzt gewinnt der Streamingdienst durch seine Eigenproduktionen neue Kund*innen, wodurch seine Stellung, und damit die der USA, in der globalen Medienökonomie gestärkt wird. Darüber hinaus bestehen die verschiedenen nationalen Netflix Kataloge nach wie vor zu einem großen Teil aus US-amerikanischen Serien und Filmen. Daher sind Netflix Abonnent*innen auf der ganzen Welt den dominanten Informationsströmen ausgesetzt, die von den USA ausgehen. Dies weist darauf hin, dass Informationsströme durch die Digitalisierung immer komplexer und multidirektionaler werden.

Media-Bubble Redakteur Fabian hat hier einige Videostreaming-Dienste verglichen und aufgezeigt, wieso es einen Wandel des Videostreamings gibt.

Zum Weiterlesen:

  • Ju, Hyejung. “Korean TV Drama Viewership on Netflix: Transcultural Affection, Romance, and Identities.” Journal of International and Intercultural Communication 13, no. 1 (2019): 32–48.
  • Lobato, R. (2019). Netflix Nations: The Geography of Digital Distribution. New York City, NY: New York University Press.
  • Thussu, D. K. (2019). International Communication: Continuity and Change (3rd ed.).
  • London: Bloomsbury Academic.
  • “’Viewership is not everything‘: K-dramas find norm-breaking recipe for success”: http://www.koreatimes.co.kr/www/art/2020/07/398_293337.html