Kanal mit Potenzial? – Instagram als Plattform der Sichtbarmachung

Von Lucy Höfle

Instagram ist die Bühne für Selbstvermarktung und Selbstdarstellung. Dabei haben sich Inszenierungsmuster etabliert, die nicht nur zum Verlust von Authentizität und Individualität führen, sondern auch zu einem schädlichen Perfektionismus. Als (audio-)visuelle Plattform birgt Instagram jedoch auch großes Potenzial in sich, nämlich die Möglichkeit, Dinge zu zeigen, die sonst keine mediale Repräsentation finden.

Im letzten Blogbeitrag der Instagram-Reihe möchte ich euch anhand von ein paar Beispielen zeigen, wie Instagram ein Stückchen Authentizität zurückgewinnt und anstelle einer Plattform der Selbstdarstellung als Plattform der Sichtbarmachung genutzt werden kann.

 

Natürlichkeit wieder normal machen

Dass die Medien uns mit nahezu unerreichbaren Schönheitsidealen konfrontieren, ist allgemein bekannt. Auch Instagram bleibt von dieser Erscheinung nicht verschont. Der Unterschied: Hier hat jeder die Möglichkeit, sich selbst in Szene zu setzen. Was 2013 noch harmlos angefangen hat, ist nun ausgartet zu einem Selbstdarstellungswahn, der sich an Schönheitsidealen orientiert. Gepostet werden nur perfekte Bilder und Perfektion wird zelebriert. „Schönheitsmakel“ werden hingegen mit Bildbearbeitungsprogrammen kaschiert.

Doch es geht auch anders: Protest äußert sich zum Beispiel durch Hashtags wie #notheidisgirl oder #bodypositivity . Es gilt, vermeintliche Schönheitsmakel sichtbar zu machen und zu zelebrieren. Ein Account, der sich dieser Aufgabe verschrieben hat, ist zum Beispiel. zinteta. Die spanische Künstlerin bezeichnet sich als „feminist artivist“ und zeigt auf ihren Bildern unter anderem Dehnungsstreifen in schillernden Farben.

Die Frage ist jedoch, warum natürliche Körpermerkmale, wie Dehnungsstreifen, in unserer Gesellschaft als unschön gelten, obwohl sie normal sind und auch so angesehen werden sollten. Natürlichkeit wieder zur Normalität machen, das möchte auch die Studentin Laura, die hinter #januhairy steht. Mit dem Hashtag ruft sie Frauen dazu auf, sich im Januar nicht zu rasieren und postet Bilder, die die weibliche Körperbehaarung in Szene setzen und zelebrieren. Denn nur durch Sichtbarkeit kann ein vermeintlich unschönes Körpermerkmal wieder als etwas Normales, das man nicht verstecken muss, anerkannt werden.

https://www.instagram.com/p/BsJHcM8gpLe/?utm_source=ig_web_copy_link

Die nicht so schillernden Seiten des Lebens

Der Perfektionswahn begrenzt sich jedoch nicht auf Äußerlichkeiten, sondern betrifft auch unseren Lifestyle. So herrscht auf Instagram ein „positive vibe“ und es werden nur die schillernden Seiten des Lebens gezeigt: Reisen, gutes Essen, Luxus und Liebesglück – alles schön, alles perfekt. Auf die Idee, ein Selfie von sich zu posten, auf dem man freitagabends alleine im Bett liegt und Junkfood essend im Gammel-Look Netflix schaut, würde hingegen niemand kommen (auch wenn es noch so viel Spaß macht). Wenn das Leben dann gerade einmal richtig mies läuft, wird das natürlich erst recht verschwiegen.

Diesem „positive vibe“ hält Produzentin und Schauspielerin Saralisa Volm mit ihrem Account 365_imperfections entgegen. Ihr „journal of 365 imperfections, failures and personal f**k-ups“ stellt einen Gegenpol zu den perfekten Momenten dar, die normalerweise auf Instagram gezeigt werden. Den unperfekten Momenten hat sich auch Illustratorin eloisemarseille verschrieben. Ihre Zeichnungen zeigen auf humorvolle Art und Weise, dass persönliche Kämpfe und Probleme etwas Alltägliches sind, sie jeder von uns hat und das vollkommen okay ist. Die humorvolle Darstellungsweise mindert dabei nicht die Ernsthaftigkeit der Themen aber hilft, besser mit ihnen umzugehen.

Bewusstsein schaffen

Doch es geht noch radikaler. So kann Instagram genutzt werden, um ein Bewusstsein und ein Gefühl  für psychische Krankheiten zu schaffen. In ihrem #hospitaldiary berichtet die Lyrikerin fredminuserika aus dem  Alltag in einer psychsomatischen Klinik. Statt dem „outfit of the day“ gibt es bei ihr ein „today’s-crying-selfie“. Dass sie ihre Krankheit offen teilt und sichtbar macht, befreit sie von ihrem Stigma und trägt zur Enttabuisierung psychischer Krankheiten bei. Auch minusgold teilt auf ihrem Instagram-Account ganz Privates und verarbeitet dadurch beispielsweise den Tod ihres Freundes. Die Autorin geht offen mit ihrem Schmerz um, sensibilisiert für Trauer und Depression und ist damit zugleich Stütze für andere. Aber auch body positivity und Identität sind zentrale Themen für sie, die sie auf ganz persönliche Weise behandelt.

Unendliche Möglichkeiten

Das waren nur ein paar Beispiele, die zeigen, welches Potenzial in Instagram steckt. Doch das Spektrum ist noch viel größer: Queere Accounts, Illustrationen und Memes, die sich mit Themen wie Selbstliebe oder –zweifeln befassen oder Comics, die mit stereotypen Rollenzuweisungen brechen. Auch Randgruppen finden auf Instagram eine Plattform, Ausdrucksmöglichkeiten und Anerkennung. Mediale Repräsentation und Sichtbarkeit können genau für diese Art der Akzeptanz und Anerkennung sorgen – denn nur, was immer wieder zu sehen ist und worüber gesprochen wird, kann wieder als etwas Normales in unser Bewusstsein treten.