Girls: Eine Verteidigung

von Lina Heitmann

Ich gebe zu: die erste Folge von Girls war mir zu viel. Die unbezahlten Praktika nach dem Bachelor-Abschluss traten der Realität zu nahe; die Sex-Szene zwischen der Hauptfigur Hannah und ihrem nicht-wirklich-Freund Adam war so ungemütlich und zum Fremdschämen, dass ich ausschalten wollte. Aber die Serie ist lustig, die Charaktere sind zwar nicht immer sympathisch (im Gegenteil), doch sie wachsen einem ans Herz, und die Handlung beschäftigt einen noch im Nachhinein.

Mädchen? Nein, Frauen!

Wie Sebastian Luther erklärt, hat sich Girls als realistisches Gegenstück zu Sex and the City positioniert. Die Serie spielt im Hipster-Brooklyn statt in Manhattan. Die Hauptperson ist dick statt dünn und hat schlecht bezahlte Jobs und unpassende Kleidung statt Carries Glamour-Lifestyle. In der ersten Folge meint Shoshanna, „You’re definitely a Carrie, with like, some Samantha aspects, and Charlotte hair. That’s, like, a really good combination“. Das sind Frauen, die mit Sex and the City aufgewachsen sind und deren Erwartungen zum Teil auf dem von SATC vermittelten Bild von New York basieren. Mit ihrer eigenen Realität hat das aber nur wenig zu tun. Girls stellt das Leben von frischen Uni-Abgängern, die den Schritt zu einer Karriere noch nicht geschafft haben, realistisch dar. Aber es ist nicht in erster Linie diese Realitätstreue, die Girls zu einer richtig guten Serie macht.

Sex, nackte Frauen, und ein Bruch mit Konventionen

Girls ist experimentierfreudig. Eine Folge, die manche mehr (beispielsweise ich selbst), manche weniger gut fanden, lief mitten in der zweiten Staffel unter dem Titel „One Man’s Trash“. Außer Hannah taucht hier keine der anderen Frauen auf. Hannah hat eine auf ein Wochenende runtergekürzte komplette Beziehung mit dem gutaussehenden, sehr erwachsenen Arzt Joshua. Die restliche Handlung steht still und nach der Folge ist unklar, ob das alles wirklich passiert ist oder eine Art Traum- oder Fantasiesequenz war. Sie wird in den weiteren Folgen nicht nochmal angesprochen.

Weder die Quasi-Beziehungen zu Männern noch der Sex in Girls sind perfekt. Meistens ist man gar nicht nicht dafür, dass ein Paar zusammenkommt. Die Sex-Szenen sind entschieden un-Hollywood. Hannah selbst ist experimentierfreudig, denn als Schriftstellerin, insbesondere von persönlichen Essays, will sie möglichst viel erleben. So sind die Sex-Szenen auch experimenteller, sie probiert noch Sachen aus, und Adam lebt Fantasien aus, die er wahrscheinlich aus Pornos kennt. Dazu mein einziges Zitat aus einem der vielen Essays über Girls:

„Hollywood sex scenes are not typically interested in even hinting at the ways that people actually reach orgasm, and this is disheartening above all for female viewers, who develop a certain melancholy by the time that they have seen their one thousandth sex scene in which it is taken for granted that by sex we mean mutually rapturous face-to-face vaginal intercourse. […] So there you go: a dose of porn, judiciously applied by an extremely intelligent director, can save cinematic sex. I wouldn’t have believed it if I hadn’t seen it on Girls.“

Mit ihrer Nacktheit trotzt Lena Dunham dem männlichen Blick und nimmt ihm dadurch die Macht. Als Hannah zieht sie sich gefühlt mindestens einmal pro Folge aus. Bei HBO wäre das nichts Neues, wäre da nicht Dunhams Körper, der, nicht schlank und mit selbstgemalten Tattoos, dem Schönheitsideal des Mainstream widerspricht. Als Erfinderin der Serie, die die Folgen schreibt und immer wieder auch Regie führt, ist sie selbst daran Schuld, dass sie andauernd nackt zu sehen ist. Ihre Nacktheit ist aber kein Standardteil des HBO-Angebots, wo idealtypische vor allem weibliche Körper neben der Handlung gezeigt werden (Boardwalk Empire, Game of Thrones, True Blood…). Hannahs zwei schlanke Freundinnen Shoshanna und Marney sieht man beispielsweise nicht oben ohne.

Imperfection makes perfect

Keine der Hauptfiguren ist perfekt, und das ist auch gut so! Die Charakterdefekte von Tony Soprano, Walter White und Don Draper werden den entsprechenden Serien nicht vorgehalten – im Gegenteil, sie machen sie interessant. Warum müssen weibliche Figuren perfekt sein und dürfen die Zuschauer nicht in Verlegenheit bringen? Girls ist eine von mehreren Serien, die dieser Doppelmoral trotzen und sie durch ihren Erfolg widerlegen. Die Serie richtet auch selbst einen kritischen Blick auf seine Charaktere. Lena Dunham ist nicht gleich Hannah Horvath. Hannah sagt beispielsweise, sie sei die Stimme ihrer – oder zumindest einer – Generation, aber das ist nicht direkt auf die Serienmacherin zu übertragen. Kurz nachdem sie diesen überheblichen Satz von sich gibt, stielt Hannah das Trinkgeld der Putzfrau im Hotel. Das zeigt: die Serie steht nicht bedingungslos hinter allem, was Hannah sagt und tut. Außerdem dürfen die Personen wachsen: Shoshanna wurde nach der ersten Staffel als nervig und flach kritisiert. In der zweiten Staffel zeigt sie sich als viel erwachsener als ihr älterer Freund Ray, als sie mit ihm Schluss macht und ihm sagt, „I can’t be the only thing you like!“ – und sie hat absolut Recht.

Auch wenn Hannah, Marnie, Jessa und Shoshanna oft unreif und egozentrisch sind – man fühlt trotzdem mit ihnen und hofft für ihre Freundschaft. Die Szene zwischen Hannah und Marnie in der Folge „Boys“, als sie sich am Telefon anschweigen und ihr Glück einander nur vorspielen ist unglaublich berührend. Der einzige Satz, den Hannah für ihr E-Book in der letzten Folge geschrieben hat, „A friendship between college girls is grander and more dramatic than any romance…“ stimmt bei ihr einfach nicht mehr, denn in der zweiten Staffel treiben die Frauen auseinander.

Shock-value

Die Serie kann uns noch schockieren. Bei all der Gewalt, die Teil von vielen Qualitätsserien ist, ist das eine ziemliche Leistung. Wie Hannah sich selbst,bei einem Rückfall in ihre Zwangsstörung gleich zweimal den Q-Tip zu weit ins Ohr rammt, oh mein Gott.

Und sie entfacht Diskussionen – zum Beispiel um die Sex-Szene in der vorletzten Folge, in der eine Art Grauzone der Vergewaltigung gezeigt wird, bei der die Zustimmung auf jeden Fall fehlt. Sebastian Luther sieht darin, dass die Szene als realistisch verkauft wird schon eine Billigung. Dem kann ich nicht zustimmen. Diese Sex-Szene steht in großem Kontrast zu denen zwischen Adam und Hannah, wo Hannah gerne mitmacht. Natalias Widerwillen ist deutlich spürbar. Dunham hat hier wieder mal eine Dosis Porno angewendet und etwas gezeigt, was sonst nicht im Fernsehen vorkommt: Adams Samenerguss auf Natalias Körper. Dieser steht hier aber nicht für Vergnügen oder Erfolg, sondern für den beidseitigen Scham.

 

Foto: flickr/wallyg (CC BY-NC-ND 2.0)

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