Ein Antisuperheldenfilm?
Von Marius Lang
Eines steht dieser Tage wohl nicht zur Diskussion: Wir befinden uns im Zeitalter des Comicheldenfilmes. Das MARVEL-Filmuniversum startet in diesem Jahr in seine dritte Phase, DC steht mit seinem eigenen geteilten Filmuniversum in den Startlöchern und TV-Serien auf Basis von Comics oder Comichelden dominieren das Fernsehprogramm. Franchises werden auf lange Hand geplant und selbst wenn mal einer der Filme floppen sollte, fällt das im großen Ganzen nicht wirklich ins Gewicht. Wirkliche Überraschungen werden da immer seltener. DEADPOOL soll wieder Schwung in das Genre bringen. Sein Marketing verspricht einen blutigeren, dreckigeren und abgefahreneren Vertreter des Genres. Der titelgebende Held ist ein durchgeknallter Söldner und Auftragskiller mit einem losen Mundwerk und einem versauten Humor. Also immerhin ein klarer Gegensatz zu den edlen Heroenfiguren, die sonst so das Genre bevölkern.
Fick dich, Krebs!
Doch worum geht es in DEADPOOL eigentlich? Nun, der Film ist im Kern, und darauf legt die Hauptfigur größten Wert, eine Liebesgeschichte. Unsere „Held“ ist Wade Wilson (Ryan Reynolds), ein ehemaliges Mitglied der Special Forces, der sich in derselben Welt, in der auch die X-Men und andere Mutanten durch die Gegend wuseln, als Schläger und Söldner verdingt. Das Glück trifft ihn hart, als er auf die schöne, selbstbewusste und wie er völlig abgedrehte Vanessa (Morena Baccarin) trifft. Man verliebt sich, wird ein Paar, zieht zusammen, das Glück ist perfekt.
Doch dann kommt es zu einem Schicksalsschlag. Wade erhält die Diagnose Krebs. In seiner Verzweiflung unterzieht er sich einer gefährlichen Therapie, geleitet von dem sadistischen Francis/Ajax (Ed Skrein). Die Therapie hat Erfolg und Wade erhält übermenschliche Heilkräfte, die ihm die Fähigkeit geben, sich von jeder Verletzung zu erholen. Doch der Preis ist immens. Wade ist fortan am ganzen Körper von Narben übersät und seine durchgeknallte Art wird nur noch verstärkt. Um die Nebenwirkungen wieder rückgängig zu machen, geht Wade, unter dem Alias des Söldners DEADPOOL auf die Jagd nach Francis, dem Mann der sein Leben zerstört hat. Und nebenbei muss er noch Vanessa zurückgewinnen.
Action und Witz
DEADPOOL kann getrost als einer der am meisten erwarteten Filme des ersten Quartals 2016 betrachtet werden. Das Marketing versprach einen anderen Comicfilm, den Antisuperheldenfilm. Viele sagten im Vorhinein, dass der Film ein Risiko ist. Aber seien wir ehrlich, bei der Popularität, die dem Charakter im Internet zuteilwird, ist ein Misserfolg praktisch ausgeschlossen. Finanziell zumindest. Die größere Frage ist, ob es auch ein guter Film ist.
Um es kurz zu machen, ja, DEADPOOL ist ein guter Film. Er ist weit davon entfernt, großartig zu sein, aber das ist offensichtlich auch nicht die Intention von irgendwem, der an dem Film mitgearbeitet hat. Was den Film jedoch viel Charme verleiht, ist der Spaß, den klar jeder Beteiligte hatte. DEADPOOL sprüht nur so vor Freude, einfach nur als Film zu existieren. Hier sollte kein Meilenstein entstehen, die Macher wollten einfach diesen Film machen und dabei viel Spaß haben und diesen Spaß dann an das Publikum weitergeben. Der Humor ist dreckig, oft niveaulos und immer kindisch, aber er funktioniert. Und dazu kommen die unheimlich guten Actionsequenzen, die brutal und blutig ablaufen und gut gefilmt sind. Doch das Herz des Films bilden die Charaktere.
Am besten nicht alleine
Hier kommen wir zum größten Problem der Titelfigur: Deadpool ist keine gute Hauptfigur. Sein dreckiger Witz, seine Angewohnheit, die vierte Wand zu durchbrechen, seine flexiblen Moralvorstellungen, all das ist zunächst lustig und bleibt auch lustig, wenn man geringe Dosen davon bekommt. Auf Dauer nutzt sich dies aber recht schnell ab. Und danach neigt Deadpool dazu, einem etwas auf die Nerven zu gehen. Vielen, die den Charakter nur als Meme aus dem Internet kennen, ist dies offensichtlich nicht bewusst. Deadpool funktioniert am besten, wenn ihm ernste Charaktere zur Seite gestellt werden. Als komödiantischer Sidekick in Teams von variabler Größe. Er allein kann eine Story selten stemmen. Ein Glück, dass dieses Problem den Machern wohl selbst mehr als bewusst war.
Ryan Reynolds ist, da besteht keine Frage, fantastisch, sowohl als Wade Wilson, als auch als Deadpool. Zuvor war Reynolds bereits als eine etwas andere Interpretation von Wade in X-MEN ORIGINS: WOLVERINE aufgetreten. Der Film, wie auch die Interpretation von Deadpool, nach seiner Operation, wurde universell zerrissen, doch tatsächlich war Reynolds Spiel als Wade Wilson, vor der Operation, einer der besseren Teile des Films. Seine Rückkehr in der Rolle funktioniert nun endlich richtig gut. Reynolds bringt den wüsten, kindischen Humor, die ironische Art und all die irren Anwandlungen des Titelcharakters auf den Punkt. Und man erkennt ihm an, dass Reynolds eine wahnsinnige Freude daran hat, die Rolle zu spielen. Deadpool durchbricht die 4. Wand, redet direkt mit dem Zuschauer, macht Bemerkungen über vorangegangene Comicfilme und niveaulose Witze. Und in jedem Moment spürt man eine wahrhaftige Freude Reynolds.
Doch da Deadpool, wie gehabt, am schlechtesten funktioniert, wenn er alleine ist, haben ihm die Macher eine Reihe guter bis fantastischer Nebencharaktere zur Seite gestellt. Zunächst ist da Wades Love-Interest Vanessa. Morena Baccarin glänzt in der Rolle und verleiht der Figur genau die richtige Mischung aus diebischem Spaß, Sexappeal und Individualität, die sie benötigt, um neben dem aufgedrehten Reynolds nicht unterzugehen. Neben ihr tritt T.J. Miller als Wades bester/einziger Freund Weasel auf, der mit einem knochentrockenen Humor und behäbigeren Art einen guten Gegenpol zum überdrehten Wade Wilson abgibt.
Doch die wohl besten Szenen des Films gehen an all jene, in denen Colossus, ein Mitglied der X-Men, und sein Schützling Negasonic Teenage Warhead auftreten. Colossus (gesprochen von Stefan Kapičić und dargestellt von Andre Tricoteux) vertritt genau die Art von Helden, zu denen Deadpool eine Antithese bilden soll. Und aus irgendeinem Grund hat Colossus sich nun in den Kopf gesetzt, Deadpool zu einem echten, ehrbaren Helden zu machen, ohne die moralische Flexibilität, die ihn sonst auszeichnet. Diese Momente sind lustig, doch noch viel besser ist Brianna Hildebrand als Negasonic Teenage Warhead, eine minimal apathische Teenagerin, die Deadpool in keiner Sekunde ernst nimmt und ihn eher erbärmlich zu finden scheint. Die Szenen mit ihr sind die wahren Höhepunkte des Films.
Simpler Spaß
Wie bereits gesagt, DEADPOOL ist weit davon entfernt, wirklich großartig zu sein. Dies ist aber nicht das Ziel, stattdessen soll einfach ein kindisches Kinovergnügen ohne Reue geliefert werden. Und das hat funktioniert. Die vielen kleineren Schwächen, etwa die sehr blassen Bösewichte oder die weniger runden Aspekte der Story, fallen da gar nicht so sehr ins Gewicht, da der Film kein Meisterwerk sein will. Nur bloßer Spaß. Einzig größerer Mangel ist, dass der Film nicht so blutig und dreckig ist, wie man sich vielleicht erhofft. Ja, es spritzt Blut, es werden Menschen grafisch enthauptet und die Schimpfwortfrequenz ist deutlich höher, als man es anderen Comicfilmen gewohnt ist. Doch scheint es, dass die Macher hier noch mehr hätten leisten können. Doch das ist nur ein kleines Problem. Ansonsten ist DEADPOOL alles, was man sich von einem Film über den durchgeknallten Antihelden wünschen kann. Ein kindischer, oft dummer, aber immer lustiger Heidenspaß.
Fotos: © 2015 Twentieth Century Fox