Von Faktenchecks bis Medienkompetenz
Wie man Desinformation erkennt
Von Franziska Moser
Was bringen eigentlich Fakten-Checks? Wie kann es gelingen, Medienkompetenz zu vermitteln? Und welche anderen Mittel können im Kampf gegen Desinformation helfen?
In den letzten Artikeln zum Thema „Desinformation“ haben wir uns damit beschäftigt, was unter dem Begriff zu verstehen ist, was soziale Medien und Messenger-Apps damit zu tun haben und mit welchen Strategien Desinformation erzeugt wird. Außerdem haben wir einen Blick auf den Youtube-Ban von RT DE geworfen und uns mit der Frage beschäftigt, was der Staat Russland mit Desinformation hierzulande zu tun hat. Damit wird es höchste Zeit für ein paar Lösungsansätze. Was tun gegen all die irreführenden, falschen Behauptungen, die im Netz kursieren?
Was uns anfällig für Desinformation macht
Bevor es um konkrete Lösungsansätze geht, ist erst einmal ein kleiner Exkurs in die Psychologie nötig: Was hindert uns Menschen daran, die Glaubwürdigkeit von Informationen korrekt einzuschätzen und macht uns so anfällig für Desinformation?
Eine mögliche Ursache ist der Confirmation Bias (dt. Bestätigungsfehler). Menschen nehmen vor allem diejenigen Informationen wahr, die ihr eigenes Weltbild bestätigen. Dieses Phänomen wird von sozialen Medien ausgenutzt: Diese wollen, dass Nutzer*innen möglichst viel Zeit auf den Plattformen verbringen und zeigen daher vor allem Inhalte, die deren Meinungen bestätigen und bekräftigen. Hinzu kommt der Evaluation Bias: Diejenigen Informationen, die der eigenen Sichtweise entsprechen, werden für glaubwürdiger gehalten – unabhängig von deren Faktengehalt.
Ein weiteres Hindernis ist der Dunning-Kruger-Effekt. Im Jahre 1999 beschreiben die Psychologen David Dunning und Justin Kruger einen Effekt, bei dem sich Menschen deutlich fähiger einschätzen, als sie eigentlich sind. Gleichzeitig unterschätzen sie die Leistung kompetenterer Mitmenschen. Ein Beispiel: Viele junge, männliche Autofahrer sind der Meinung, besser fahren zu können als der Rest der Gesellschaft. Tatsächlich stellen aber genau sie das größte Unfallrisiko im deutschen Verkehr dar. Der Dunning-Kruger-Effekt dient dazu, ein positives Selbstbild aufrecht zu halten und sich stark zu fühlen. Gleichzeitig kann er zu gefährlichem Halbwissen führen. Wer der Meinung ist, er oder sie wüsste bereits alles zu einem bestimmten Thema, sieht keinen Grund, sich weiterzubilden und neigt dazu, das eigene Wissen zu überschätzen.
Aber auch von außen lauert Manipulationspotenzial. Im dritten Artikel dieser Reihe ging es um die PLURV-Formel . Hinter diesen Buchstaben verbergen sich fünf Strategien, mit denen häufig Desinformation erzeugt wird: Pseudo-Expert*innen, Logikfehler, unerfüllbare Erwartungen, Rosinenpickerei und Verschwörungsmythen. Informationen, die aus ihrem Kontext gezogen werden oder übermäßig vereinfacht werden, sind klassische Beispiele für Logikfehler. Sie haben das Potenzial, uns schnell in die Irre zu führen.
Fakten-Checks
Seit sich Desinformation durch das Aufkommen der neuen Medien verstärkt durchsetzt, lautet die Antwort größerer Medienhäuser und Organisationen darauf: Fakten-Checks. Im analogen Zeitalter wurden Informationen vor dem Publizieren überprüft und durch Journalist*innen reguliert. Das gilt zwar auch heute noch für Qualitätsmedien, auf den sozialen Medien sieht das aber anders aus. Privatpersonen posten und teilen häufig Inhalte, ohne deren Wahrheitsgehalt zuvor überprüft zu haben. Hinzu kommt, dass die Algorithmen der Plattformen provokative und polarisierende Inhalte (also auch Desinformation) besonders häufig verbreiten, da diese häufiger geklickt werden. So kann Desinformation schnell außer Kontrolle geraten. Das spiegelt auch ein Ergebnis aus dem Digital News Report 2019 wider, für den Befragungen in 38 Ländern durchgeführt wurden. Mehr als die Hälfte der Befragten seien besorgt, wahre von falschen Aussagen im Internet nicht unterscheiden zu können. Richtigstellungen von falschen Behauptungen scheinen also erforderlich. Doch wie erfolgreich sind die Fakten-Checks von Organisationen wie Correctiv, Mimikama oder der ARD-Tagesschau?
Fakten-Checks können das Entstehen und die Verbreitung von Desinformation nicht verhindern. Sie können lediglich nach Veröffentlichung den Wahrheitsgehalt von Aussagen überprüfen. Das Problem dabei: Während die Algorithmen Desinformation befeuern, erhalten deren Richtigstellungen deutlich weniger Aufmerksamkeit. Diese scheinen erst gar nicht bei den Nutzer*innen anzukommen und wenn doch, ignoriert zu werden. Außerdem haben Fakten-Checks vor allem im politischen Bereich mit einem Backfire-Effekt zu kämpfen: Je mehr die Richtigstellungen dem Weltbild der Internetnutzenden widersprechen, desto stärker tendieren diese dazu, sich den Informationen zu verweigern und sich in ihrem Weltbild bestätigt zu sehen.
Fakten-Checks sind also kein Allheilmittel im Kampf gegen Desinformation. Trotzdem sind sie ein wichtiges Puzzleteil und können erste Abhilfe leisten. Viel wichtiger hingegen ist, dass Bürger*innen selbst seriöse Quellen von „Fake News“ unterscheiden können.
Medienkompetenz
Im Verhältnis zu den massiven Effekten, die der digitale Wandel mit sich bringt, war wenig Zeit, sich das nötige Wissen und Können für neue Technologien anzueignen. Wenn Journalist*innen nicht mehr kontrollieren können, was zur Nachricht wird und was nicht, benötigen Mediennutzer*innen vor allem eines: Medienkompetenz. Denn sie sind es, die Informationen verbreiten und die die Qualität bereits zirkulierender Meldungen einschätzen müssen.
Wer über Medienkompetenz verfügt, der kann souverän mit Medien umgehen und diese kritisch beurteilen. Bernhard Pörksen, Medienwissenschaftsprofessor an der Uni Tübingen, schlägt hierzu das Ideal der redaktionellen Gesellschaft vor. Darunter versteht er eine Bevölkerung, in der der seriöse Journalismus zum allgemeinen Ethos wird. Die wichtigsten Prinzipien wären dann Wahrheitsorientiertheit, das Überprüfen und Heranziehen von mehreren Quellen und eine Offenheit für die Gegenseite. Genauso im Vordergrund stünden die Relevanz und Proportionalität von Informationen und der transparente Umgang mit den eigenen Fehlern. Zur Umsetzung dessen schlägt Pörksen ein eigens dafür angelegtes Schulfach vor. In diesem sollen die Schüler*innen dann in publizistischen Belangen geschult werden.
Doch die Umsetzung eines solchen Ideals ist zunächst einmal schwierig. Die redaktionelle Gesellschaft fordert nicht nur einen großen politischen Handlungswillen. Hinzu kommt, dass der Weg dorthin einige Generationen dauern würde, sofern dieser ausschließlich über ein Schulfach beschritten werden soll. Schulen in Deutschland sind außerdem bereits ein Ansatzpunkt für Projekte zur Medienkompetenzförderung. Zum Beispiel bieten Medienunternehmen wie die Süddeutsche Zeitung, der SWR oder regionale Tageszeitungen Projekte an, die Schüler*innen in Sachen Medien weiterbilden sollen. Und auch Vereine wie Mimikama stellen Unterrichtsmaterial zur Stärkung der Medienkompetenz von Schüler*innen bereit. Doch ob wenige Projekttage zum Thema ausreichen, um die Medienkompetenz der Schüler*innen maßgeblich zu stärken, bleibt fragwürdig. Und auch die Frage danach, wie Grundkenntnisse im Umgang mit Medien an andere Altersklassen herangetragen werden können, bleibt zunächst unbeantwortet. Medienkompetenz-Projekte gibt es zwar auch in verschiedenen Betrieben, aber längst nicht zur Genüge. Und selbst dann braucht es ein Interesse der Menschen am Thema und den Willen, das Gelernte umzusetzen.
Regulierung von Plattformen
Im vierten Artikel dieser Reihe ging es um den Youtube-Rausschmiss von RT DE. Wegen wiederholter Veröffentlichung von desinformativen Inhalten zur Corona-Pandemie wurde der russische Staatssender, ehemals als Russia Today bekannt, von Youtube verbannt. Dieses Vorgehen wird als deplatforming bezeichnet. Und das scheint seine Wirkung zu zeigen: Werden einzelne Accounts dauerhaft von bestimmten Plattformen ausgeschlossen, büßen sie an Reichweite ein.
Mitte September 2021 hat Facebook etwa 150 Kanäle, die der Querdenken-Bewegung zugeordnet werden, dauerhaft gelöscht. Laut Facebook sei dies weltweit die erste Verbannungs-Aktion gegen eine Gruppierung, die für eine „koordinierte Schädigung der Gesellschaft“ verantwortlich sei. Doch derartige Löschungen haben auch ihre Schattenseite. Dieses Vorgehen von Plattformen wie Facebook und Youtube ist wenig transparent. Schlussendlich handelt es sich dabei um große Unternehmen, die im Alleingang entscheiden, was in die digitale Öffentlichkeit gehört und was nicht. In Teilen profitieren diese Firmen sogar finanziell durch Werbeeinnahmen von den desinformativen Inhalten von Querdenkern, RT DE & Co. Unklar bleibt, wie genau Facebook eine „koordinierte Schädigung der Gesellschaft“ definiert. Ist diese an demokratische Maßstäbe gebunden?
Es könnte also bereits helfen, wenn die Plattformen genauer kenntlich machen würden, wie genau und warum sie gegen welche Kanäle vorgehen. Dies sollte nach demokratischen Maßstäben geschehen. Wichtig ist vor allem, dass gewinnorientierte Konzerne wie Facebook nicht im Alleingang darüber entscheiden, was gesagt werden darf und was nicht.
Das Ende des postfaktischen Zeitalters? – Ein Kommentar
Desinformation hat es schon immer gegeben und wird es auch immer geben. Die Frage ist eher, in welchem Ausmaß sie in Zukunft durch unsere Netzwelten zirkulieren wird. Das Ende des postfaktischen Zeitalters erreichen wir aber nicht allein dadurch, falsche Behauptungen aus dem Internet zu verbannen oder durch Fakten-Checks zu korrigieren. Genauso wenig kommen wir ans Ziel, wenn Konsument*innen von alternativen Medien öffentlich als dumm oder verblendet dargestellt werden. Ganz im Gegenteil: Das befeuert nur den Trend zur Polarisierung der Gesellschaft und zur Flucht in die eigene Filterblase. Das Manipulationspotenzial von falschen und irreführenden Behauptungen ist definitiv nicht außer Acht zu lassen. Genauso wichtig ist es aber auch, ein tiefergreifendes Verständnis dafür zu etablieren, warum Menschen das Vertrauen in Politik und Medien verlieren. Warum sie eher der Meinung sind, in einer Diktatur zu leben als gesundheitliche Schutzmaßnahmen zu erfahren. Oder weshalb sie sich weigern, den Staat durch schützende Impfungen in ihre persönliche Gesundheit eingreifen zu lassen.
Gleichzeitig ist eine gesamtgesellschaftliche Steigerung der Medienkompetenz unumgänglich. Die große Zahl an Menschen, die sich nicht in der Lage fühlen, Fakten von Falschinformationen zu unterscheiden, spricht Bände. Der digitale Wandel hat massive gesellschaftliche Veränderungen mit sich gebracht, die ein gewisses Know-How erfordern. Im Gegensatz zum reinen Verbannen von Desinformation hat die Förderung von Medienkompetenz das Potenzial, einen Teil des Problems an der Wurzel zu packen. Und schließlich bleibt nicht zu vergessen, dass es sich bei all den provokativen, hetzerischen Kommentaren und Posts nur um sehr laute Minderheitsmeinungen handelt. Im Rahmen der Tübinger Mediendozentur 2016 fordert Sascha Lobo dazu auf, diesen Außenseiterpositionen nicht die ganze Bühne der sozialen Netzwerke zu überlassen.
Schlussendlich handelt es sich beim Thema „Desinformation“ um eine Herausforderung ohne Allheilmittel. Stattdessen braucht es viele verschiedene Ansätze, um dem Problem zu begegnen: Von Fakten-Checks über Medienkompetenz und deplatforming bis hin zu einem gesamtgesellschaftlichen Dialog.
Quellen:
Hohlfeld, R. et al. (Hrsg.) (2020), Fake News und Desinformation. Herausforderungen für die vernetzte Gesellschaft und die empirische Forschung. Baden-Baden: Nomos.
https://www.nationalgeographic.de/wissenschaft/2020/06/dunning-kruger-effekt-warum-sich-halbwissende-fuer-besonders-klug-halten
https://www.br.de/nachrichten/netzwelt/confirmation-bias-warum-uns-fakten-so-schwer-ueberzeugen,SNUD9gu
https://www.swr.de/swr2/wissen/luegen-bullshit-und-corona-wahrheit-in-zeiten-der-pandemie-swr2-wissen-aula-2021-01-10-100.html
https://www.tagesschau.de/inland/facebook-querdenken-101.html
https://www.deutschlandfunk.de/russischer-staatssender-youtube-sperre-gegen-rt-wirft.2907.de.html?dram:article_id=503650