Angst nach dem Nachrichtenkonsum?
Wie die Medien unsere Wahrnehmung prägen
Von Sarah Felten
195 Tote bei Flugzeugabsturz! Tote bei Erdbeben auf Haiti! Hast du jetzt ein wenig Angst vor deinem nächsten Flug oder überlegst, deinen Urlaub zu canceln? Solche Bedenken machen einen nicht zum „Angsthasen“, sondern sind völlig natürliche Folgen dessen, womit die Medien uns täglich konfrontieren, Meldungen liefern, die unseren „Attention-Filter“ passieren, und schließlich dafür sorgen, dass wir die Welt als sehr viel gefährlicher wahrnehmen als sie eigentlich ist. Aber was ist eigentlich dieser „Attention-Filter“ und wie kann ich meine Wahrnehmung ändern? Hans Rosling erklärt es uns in seinem 2018 erschienen Buch Factfulness: Wie wir lernen, die Welt so zu sehen, wie sie wirklich ist.
Täglich lesen oder hören wir in den Nachrichten schreckliche Meldungen. Dabei scheint es völlig normal, nur selten gute Berichte zu sehen und stattdessen sehr viel häufiger mit besorgniserregenden Horror-News konfrontiert zu werden. Womöglich bemerken wir derartige Gedanken in uns hinaufkriechen: „Oh Gott, schon wieder ein Flugzeugabsturz? Ich werde nie wieder fliegen.“ Was sehen wir hierbei jedoch nicht? Jeden Tag landen 200.000 Flugzeuge sicher an ihrem Zielflughafen ihrem Zielflughafen [1]. Das sind 73 Millionen erfolgreiche Starts und Landungen im Jahr, weshalb das Flugzeug auch als das sicherste Transportmittel der Welt gilt. „Auf der Welt passieren so viele Katastrophen, vielleicht wäre es sicherer, nicht mehr zu reisen, zuhause gibt es wenigstens keine Erdbeben oder Tsunamis.“ Es geschehen immer wieder erschreckende Dinge, die uns vor Augen führen, welche Kraft die Natur hat. Doch wäre es nicht seltsam, jeden Tag eine Auflistung der Gegenden der Erde zu bekommen, in denen mal wieder nichts passiert ist, sondern ein Tag genau so verlaufen ist wie hunderte zuvor? Sollen wir deshalb das Entdecken neuer Orte aufgeben?
Schlechte Nachrichten – schlechte Welt?
Was uns beim Ansehen von Nachrichten also nicht auffällt, ist, wie sehr diese selektierten Themen uns und unser Denken beeinflussen. Die Medien haben einen nicht zu unterschätzenden Einfluss darauf, wie wir die Welt wahrnehmen. Durch ständige Konfrontation mit negativen Nachrichten und erschreckenden Eilmeldungen über beunruhigende Tatsachen, wird in uns das Gefühl geweckt, dass die Welt sehr viel schlimmer und gefährlicher sei, als es tatsächlich der Fall ist. Hans Rosling, verstorbener schwedischer Autor, Professor für Internationale Gesundheit am Karolinska Institutet in Solna, sowie Direktor der Gapminder-Stiftung in Stockholm, setzte sich gemeinsam mit seinem Sohn und seiner Schwiegertochter in dem Buch Factfulness: Wie wir lernen, die Welt so zu sehen, wie sie wirklich ist (2018) mit diesem Phänomen auseinander. Dabei nennt er Zahlen und Fakten, die uns beweisen, wie gefährlich unsere unbewusst manipulierte Einschätzung der Welt ist. Vor allem das Kapitel, welches er The Fear Instinct nennt, beweist, wie die Nachrichten unser Weltbild beeinflussen und wie überdramatisiert unsere Einschätzungen über die Erde und die Zukunft sind. Dies schaffen Massenmedien laut Rosling durch den sogenannten „Attention Filter „(S. 103), denn dieser sortiert, was unser Gehirn erreichen und von ihm verarbeitet werden soll, weil wir unmöglich alle Informationen der Welt aufnehmen können. Die Medien machen sich dieses Wissen zunutze: „The media can´t waist time on stories that won´t pass out attention filters (…) because of our dramatic instincts and the way the media must tap into them to grab our attention, we continue to have an overdramatic worldview“ (S. 104).
Der Angst-Instinkt und wie die Medien ihn triggern
Dieser Angst-Instinkt, so führt Rosling weiter aus, wird von drei großen Gefahren getriggert: Körperverletzung, Gefangenschaft und Vergiftung. Diese Ängste haben unseren Vorfahren einst das Überleben gesichert und noch heute können wir sie nicht einfach abschütteln. Die Angst davor, körperlich verletzt zu werden, kennt sicherlich jeder von uns. Doch wie sieht es mit Gefangenschaft oder Vergiftung aus? In jedem von uns steigt Panik hoch, wenn wir uns nicht frei bewegen können oder glauben, eingesperrt zu sein. Aber Gefangenschaft bezieht sich nicht nur auf das buchstäbliche Gefangensein, sondern auch auf Kontrollverslust und Freiheitsentzug. Und ganz aktuell: Für viele Impfgegner liegt der Ursprung ihrer Abwehrhaltung in der Annahme, die Corona-Impfung injiziere ihnen Chips zur Überwachung, genmanipulierte Zellen oder ähnliches. Liegt darin nicht streng genommen die Angst vor Vergiftung, die das Urteilsvermögen trübt? Die seit Urzeiten existierende Angst vor Vergiftung, die auch in tausenden Jahren der Evolution nicht einfach verschwunden ist, sitzt so tief, dass das Misstrauen stärker ist als die Angst vor einer möglicherweise tödlichen Krankheit. Diese drei Themen – Körperverletzung, Gefangenschaft und Vergiftung – sind in der einen oder anderen Form in den Nachrichten häufig vertreten, weil sie unseren „Attention Filter“ passieren und uns erreichen. Doch warum nehmen wir diese negativen Meldungen eigentlich so viel eher auf als positive? Der Grund dafür liegt ebenfalls in der Evolution, wie Dr. Dan Radecki, Chief Scientific Officer der Academy of Brain-based Leadership (ABL), in seinem TED Talk The Struggle between the powerful emotional Brain & our logical Brain erklärt: „We have […] a higher [rational] brain and it’s new from an evolutionary perspective“ [2]. Dieses „higher Brain” ist der Teil, den wir darauf trainieren können, logisch zu denken. Aber der ältere Teil unseres Gehirns, der aus evolutionären Gründen als erster Alarm schlägt, ist das „lower Brain“. „[I]t’s default mode is to assume that something or someone is dangerous.“ Der Teil unseres Gehirns, der also stets als erster reagiert, ist der Teil, der automatisch Gefahr wittert. Was einst ein überlebenswichtiger Schutzmechanismus war, sorgt heute dafür, dass wir viel empfänglicher für potenziell gefährliche Nachrichten sind als für jene, die gar nicht erst so stark wahrgenommen werden.
Damit uns das in Zukunft aber nicht mehr aus der Fassung bringt, liefert Hans Rosling eine wirksame Strategie für einen aufmerksameren und bewussteren Medienkonsum: das Risiko zu berechnen. Wenn uns eine Meldung erschreckt oder wir mal wieder zum Überdramatisieren tendieren, müssen wir uns mit den Fakten auseinandersetzen, uns die Zahlen vornehmen und Vergleiche anstellen. Ein Flugzeug ist abgestürzt? Das ist eine erschreckende Meldung, aber wie viele sind heute sicher gelandet? Außerdem stellt Rosling verschiedenste Statistiken zur Verfügung, die verlässliche Zahlen darüber liefern, wie viele Tote es beispielsweise tatsächlich in den letzten Jahrzehnten durch Umweltkatastrophen, Flugzeugabstürze oder Kriege gab und beweist mit ihnen, dass diese Zahl immer weiter abnimmt und in manchen Kategorien mittlerweile sogar beinahe gegen Null läuft.
Die Vielseher
Es wird also immer klarer, wie sehr unsere Weltsicht durch Massenmedien beeinflusst wird. Doch Rosling war nicht der Erste und auch sicher nicht der Letzte, der sich mit einer solchen Wirkung auseinandergesetzt hat. Der ungarisch-amerikanische Kommunikationswissenschaftler George Gerbner untersuchte schon in den 1970er Jahren, welche Rolle der Fernsehkonsum auf das Publikum hat. Auch er kam zu der Erkenntnis, dass „Fernsehen die Vorstellungen formt (kultiviert), die [Rezipienten] von der Welt haben. Insbesondere Personen mit hohem Fernsehkonsum werden demnach in ihrer Wahrnehmung der sozialen Realität beeinflusst“ [3]. Diese Personen werden auch als Vielseher bezeichnet und sind der Macht der Medien im Gegensatz zu Wenigsehern besonders ausgesetzt. Das zeigt sich laut Gerbner beispielsweise darin, dass „Personen, die viele gewalthaltige Sendungen sehen, die Häufigkeit von Gewaltverbrechen im Alltag überschätzen“ und ihr Leben schließlich häufig danach ausrichten. Geht man noch einen Schritt weiter, manifestiert sich diese Angst in einer womöglich extremen Einstellung und anschließend vielleicht sogar im Wahlverhalten einer Person.
Wissen, was zu tun ist
Es lässt sich also nicht leugnen, wie immens der Einfluss der Massenmedien auf uns ist und wie wichtig es ist, dass wir das Gehörte kritisch hinterfragen und uns nicht zu einer Weltsicht verleiten lassen, die uns davon abhält, unser Leben einzuschränken, weil wir gelernt haben, zu viel Angst haben. Stattdessen gilt: Fakten checken. Uns in Erinnerung rufen, dass unsere Ängste nicht die Realität abbilden. Das Risiko berechnen und erstmal Ruhe bewahren. Nicht aus Angst, sondern mit einem klaren Kopf, handeln und leben.
Buchquelle:
Rosling, Hans et al. (2018). Factfulness: Ten Reasons We´re Wrong About the World – and Why Things Are Better Than You Think.