von Mira Keßler
Journalisten bezeichnen sich gerne – begründet durch den Artikel 5 des Grundgesetzbuches, der die Pressefreiheit gewähren soll – als so genannte Vierte Gewalt, die die Öffentlichkeit aufklärt und das Ziel hat zwischen Politik und Bürgern zu vermitteln. Doch wie sieht es eigentlich aus, wenn Journalisten ihre eigene Meinung – statt eine umfassende objektive Berichterstattung – der Öffentlichkeit nicht nur anbieten, sondern auch propagieren? Und wie sieht es eigentlich aus, wenn diese Journalisten in der Medienlandschaft zu richtigen „Stars“ aufsteigen?
Die Rollen der Interviewer
Das Interview ist für den Journalisten ein Bestandteil der Recherche. Der Interviewer kann hier als Stellvertreter der Empfänger, als Promoter der Befragten oder als Selbstdarsteller auftreten. Als Selbstdarsteller finden sich Journalisten vor allem im Kulturbereich. In den USA polarisieren die so genannten ‚Shock Jocks’, wie beispielsweise Howard Stern, durch provokantes und zum Teil anrüchiges Auftreten. Sie versprechen den Sendern damit hohe Werbeeinahmen und Abo-Gebühren.
In Deutschland haben sich Interviewer in Print und Fernsehen durch einen eigenen Stil der Gesprächsführung selbst zu Prominenten entwickelt. Michel Friedmann (Studio Friedmann, N24) geht in seinen TV-Interviews mit strenger Schärfe vor. Er bedrängt und demaskiert seine Interviewpartner, provoziert und verunsichert sie. Als ‚geistiger Anarchist’, wie er sich selbst bezeichnet, will er vor allem Politiker auf den Prüfstand stellen und hinter ihre vorgefertigten Formulierungen kommen. Arno Luik (Stern) lässt seine Gesprächspartner immerhin, anders als Friedmann, zu Wort kommen. Aber auch er definiert Kritikfähigkeit und Schärfe als Zeichen des Qualitätsjournalismus. Mit den Lesern im Hinterkopf will er aber auf unterhaltsame Weise informieren. Durch akribische Vorbereitung und direkte und mitunter provozierende Fragen will er an den emotionalen Kern des Interviewpartners gelangen. So begann er das Gespräch mit dem Brandopfer Hans Hammerstingl mit den Worten: „Sie sehen schrecklich aus, richtig furchterregend.“ Moritz von Uslar (Magazin der Süddeutschen Zeitung) überschüttet seinen Gesprächspartner mit abwegigen Fragen, beispielsweise „Welche ist ihre Lieblingsfarbe?“, die den gewohnten Interviewablauf unterwandern. Der Ausschluss von Tiefsinn macht hierbei für ihn den Reiz aus. Durch die Übernahme subjektiver Beobachtungen verwendet er ein Element des so genannten New Journalism, eine Bewegung, in der die Autoren ihre Subjektivität und ihr literarisches Schaffen in den Vordergrund stellen! Die Frage ist nun: Was passiert dadurch eigentlich mit dem Anspruch auf die Vierte Gewalt, was mit der objektiven Berichterstattung?
Journalisten sind, wie jeder andere Mensch auch, soziale Akteure mit einer bestimmten Erziehung, Bildung und einem bestimmten sozialen und beruflichen Werdegang (Raabe 2005). Durch ihren ‚Habitus’ sind ihre Wahrnehmung, ihr Denken und ihre Handlungen geregelt, ihre kulturellen Orientierungen und Weltanschauungen definiert. So ist bei Michel Friedman deutlich, der der jüdischen Religionsgemeinschaft angehört, dass er sich stark mit dem Thema der Judenverfolgung und des Rassismus auseinandergesetzt hat. Arno Luik hat bei der Diskussion um Stuttgart 21 gezeigt, dass er – emotional motiviert – Gegner des Projektes ist und seine Meinung dementsprechend vertritt. Seine Rolle als Journalist ist also keine neutrale. Den objektiven Journalisten kann es also gar nicht geben. Das Rollenverständnis des Journalisten als 4. Gewalt, die Informationen zur Verständlichkeit übermittelt und zwischen Politik und Bürger vermittelt, wird besonders vor dem Hintergrund dieser ‚Star- Interviewer’ fraglich, vor allem dann, wenn sie sich noch nicht einmal um eine Objektivität bemühen und ihre eigene Person ins Zentrum des öffentlichen Interesses rücken.
Die Kunst des Interviews- der Journalist als „Dienstleister“
Der Auftrag der Journalisten, den Bürger umfassend und objektiv zu informieren, ist nicht nur durch die Praktizierung des Selbstkultes eingeschränkt. Das Auftreten von Personen in der medialen Öffentlichkeit, sei es im Fernsehen, im Radio oder in der Zeitung, begründet verstärkt die Reflexion der eigenen Handlung – was nimmt wer wie von mir wahr? – und den Wunsch, auf die Außenwirkung Einfluss zu nehmen.
Erving Goffmann beschreibt das Öffentlichkeitsverhältnis von Kommunikation, damit ist auch jedwedes Auftreten gemeint, als Theatermetapher und teilt sie in eine Vorder– und eine Hinterbühne (1969). Auf der Vorderbühne findet regelkonformes Verhalten statt, das der sozialen Norm entsprechen soll. Die Hinterbühne ist der Schutzraum, der sich abseits der Öffentlichkeit befindet. Dazwischen befindet sich die ‚middle region’ als Übergang. Die moderne Mediengesellschaft erzwingt von jedem ein ‚Mittelbühnenverhalten’. Durch das Internet und portable Kameras wird alles medial gespiegelt. Beim ‚Impression Management‚ ringen die Gesprächspartner von Interviews um Vorder- und Hinterbühne, also darum was „gesehen“ werden darf und was nicht „gesehen“ werden soll. Images sollen erzeugt und gesteuert werden. Somit ist es ein Bestandteil der PR wünschenswerte Wirklichkeiten durch gezielte und kontingente Konstruktionen zu erzeugen und Images zu festigen. In diesem Rahmen lässt die Bühne der massenmedialen Öffentlichkeit den Journalisten zum Dienstleister werden.
Bei Prominenten – vor allem Politikern – hat sich im Print immer mehr das ‚Verlautbarungsinterview´ gefestigt. Im meist vorher festgelegtem Gespräch ist der Journalist nur noch Bestandteil der PR-Arbeit der Prominenz. Während der Autorisierung haben neben dem Interviewten u. U. sogar Manager und Berater Einfluss auf die Textgestaltung. Bei der Veröffentlichung kann der Leser der „gelenkten“ Informationen nur noch die Vorderbühnenimages antizipieren, also nur noch das, was nach außen dringen durfte. Er erfährt nichts von den Prozessen der Gestaltung auf der Hinterbühne, also wer was nicht so stehen lassen wollte. Da Print- Interviews letztlich konstruiert sind, kann man von einer „einvernehmlich vorgenommenen Irreführung“ des Lesers sprechen. Eine mangelnde Transparenz der Produktion gibt es aber auch beim Fernsehen. Der Glaube an die Authentizität der Kamera und an die Technik verstärkt die Illusion einer „wirklichen“ Wirklichkeit, also den Eindruck, dass medial vermittelte Berichte wahr sind und die Kameras eine sinnlich erfassbare und abbildbare Wirklichkeit wiedergeben. Die mediale Entwicklung lässt sogar u. U. Pseudoereignisse entstehen, die nur für die Berichterstattung veranstaltet werden. Inszenierte Demonstrationen oder das Händeschütteln von Politkern bei Auslandsreisen auf einem Podest vor einem roten Teppich, würden ohne die mediale Berichterstattung nicht stattfinden. Mediatisierte Ereignisse sind hingegen zwar nicht nur für eine mediale Berichterstattung inszeniert, aber der Ablauf und ihre Ausgestaltung werden von ihr beeinflusst. Als besonders echt wird von dem Publikum die Live-Aufnahme empfunden, obwohl diese ebenso das Ergebnis der Operation von Medien, wie der Kameraführung, dem Schnitt, der Lichtgestaltung, den Effekten und den Retuschierungen ist.
Foto: Sophie Kröher
Literatur
Friedrichs, Jürgen/ Schwinges, Ulrich (1999): Das journalistische Interview. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Goffmann, Erving (1969): Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag. München : Piper.
Haller, Michael (1992): Das Interview. Ein Handbuch für Journalisten. Frankfurt am Main: Verlag Sauerländer.
Pörksen, Bernhard/ Loosen, Wiebke/ Scholl, Armin (Hg.) (2008): Paradoxien des Journalismus. Theorie, Empirie, Praxis. Festschrift für Siegfried Weischenberg. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Raabe, Johannes (2005): Die Beobachtung journalistischer Akteure. Optionen einer empirisch-kritischen Journalismusforschung. Wiesbaden : VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Waterstraat, Swantje (2007): Die Autorisierung politischer Presseinterviews. Spielregel zwischen Politik und Presse. Saarbrücken : VDM.
Weischenberg, Siegfried (2005): Interview. In: Siegfried Weischenberg/Hans J. Kleinsteuber/Bernhard Pörksen (Hg.): Handbuch Journalismus und Medien. Konstanz: UVK. S. 118-12.