Digitale Brieffreundschaften
Kommunikation zwischen Nostalgie und Medienwandel
Von Ann-Katrin Bergob
Briefe brauchten früher Tage, um ihren Empfänger zu erreichen. Nachrichten heutzutage sind in Sekunden verschickt und oft genauso schnell nicht mehr im Gedächtnis. Bewusste und überlegte Kommunikation ist zur Seltenheit geworden, findet aber wieder mehr Beachtung in Form digitaler Brieffreundschaften auf der ganzen Welt. Was verrät der Trend zum digitalen Briefwechsel über unser Bedürfnis nach entschleunigter Kommunikation? Ist das digitale Briefeschreiben bloß ein nostalgischer Rückschritt oder aber ein bewusst gewählter Fortschritt?
Brieffreundschaft – Ist das nicht ein veraltetes Konzept?
In einer Welt, in der Kommunikation auf Knopfdruck und im Bruchteil einer Sekunde vonstattengeht, stellt sich die Frage nach der Relevanz von klassischen Briefen. In Deutschland wird der Postversand zunehmend teurer und durch Streiks ein mühsames Unterfangen, in Italien soll sogar das gesamte Postwesen privatisiert werden. Zudem ist die Kommunikation über Messenger-Dienste weniger aufwendig, spart Zeit und Ressourcen. Macht es angesichts dieser Entwicklungen Sinn, am Briefeschreiben festzuhalten oder wird dies zu einer altmodischen und ineffizienten Beschäftigung?
Nichtsdestotrotz erleben Brieffreundschaften aktuell ein bemerkenswertes Comeback – und das in digitaler Form. Menschen auf der ganzen Welt vernetzen sich und schreiben einander; nicht mit Papier und Stift, sondern mittels Apps und Webseiten.
Dies führt zu der Frage, ob Medienwandel immer nur vorwärts verläuft – um schneller, effizienter und praktischer zu sein. Oder wird hin und wieder eine kleine Schleife zurück eingeschlagen?
Was sind digitale Brieffreundschaften?
Im Wesentlichen bedeutet eine digitale Brieffreundschaft nichts anderes als eine herkömmliche Brieffreundschaft – der regelmäßige Austausch mit einer anderen Person mittels des Mediums Brief. Nur eben nicht per Post, sondern über spezielle Apps oder Webseiten. Im Gegensatz zum Instant Messaging über WhatsApp und Co. liegt der Fokus dabei nicht auf schnelllebiger Kommunikation, sondern auf inhaltlicher Qualität. Ausführliche Gedanken, ehrliche Einblicke in das Leben eines anderen und authentische Geschichten finden mittels digitaler Briefe wieder mehr Gehör.
Einige Plattformen, wie etwa die App Slowly, stellen sogar den Weg nach, den ein Brief zu seinem Empfänger zurücklegt . Dieser benötigt – je nach räumlicher Distanz – mehrere Stunden oder sogar Tage, um zugestellt zu werden. Auch die Auswahl und das Sammeln verschiedener Briefmarken ist möglich. Dies setzt ein Augenmerk auf ein bewussteres Schreiben und Absenden der Briefe, so wie es traditionell üblich war und imitiert so den Charme physischer Briefe.

Global verbunden – Digitale Brieffreundschaften erfreuen sich immer größerer Beliebtheit. Bild: Pexels.
Zahlen und Fakten
Schätzungen zufolge pflegen allein in Deutschland tausende Menschen regelmäßig eine digitale Brieffreundschaft. Beispielsweise verzeichnet die App Slowly über fünf Millionen Downloads weltweit und nähert sich stetig den 10 Millionen Nutzer*innen an. Steigender Beliebtheit scheinen sich Brieffreundschafts-Apps bemerkenswerterweise auch bei jungen Menschen zu erfreuen, die ursprünglich für ihre schnelllebige und damit konträre Kommunikation, beispielsweise über WhatsApp, bekannt sind. So berichten zumindest aktive Nutzer*innen der App Slowly.
Analoger vs. digitaler Brief: Ein Vergleich
Während der Zeitaufwand bei der handschriftlichen Verfassung eines Briefes hoch ist, so gestaltet sich das Schreiben eines digitalen Briefes weniger zeitintensiv. Die digitale Version lässt sich zudem schneller bearbeiten oder verändern, ohne einen Neustart vorauszusetzen. Passagen können einfach hinzugefügt, entfernt oder umgeschrieben werden. Außerdem ist das benötigte Material für den handschriftlichen Brief deutlich höher. Jedoch ist der emotionale Wert der physischen Briefe größer als jener der digitalen. Diese können zwar durch denselben Inhalt überzeugen, aber die persönliche Gestaltung ist eingeschränkter. Ein handgeschriebener Brief besticht durch eine besondere Note: die Handschrift des Verfassers, kleine Zeichnungen oder Verzierungen, beiliegende Erinnerungsstücke wie Fotos oder getrocknete Blumen. Mit diesen charmanten und persönlichen Charakteristika können digitale Briefe zurzeit noch nicht aufwarten, denn sie finden in einem bereits in der App festgelegten Format statt, bei dem lediglich, wie bei Slowly, die Wahl der Briefmarken beeinflusst werden kann.
Die ständige Bereitschaft zum Antworten, die ein herkömmlicher Messenger-Dienst voraussetzt, kann den Druck entstehen lassen, immer und überall erreichbar sein zu müssen. Dahingegen schaffen sowohl der analoge als auch der digitale Brief eine Distanz zwischen dem Sender und Empfänger. Die Dringlichkeit ist eher gering und es wird nicht erwartet, dass umgehend eine Antwort erfolgt. Doch während der analoge Brief nur über den Postweg versendet werden kann – weshalb der Sender auf Postfilialen, ihre Öffnungszeiten und Auslieferungen angewiesen ist – so ist die Verfügbarkeit der digitalen Briefe rund um die Uhr gewährleistet, sofern eine Internetverbindung besteht. Zudem erreichen digitale Briefe häufiger ihren Empfänger, da sie nicht durch Lagerungsbedingungen oder falsche Zuordnungen auf dem Postweg verloren gehen können. Ein weiterer Vorteil digitaler Brieffreundschaft ist die Möglichkeit, durch die Funktionen der Apps und Webseiten, mit Menschen auf der ganzen Welt in Kontakt zu treten. Dabei kann frei nach den eigenen Interessen ausgewählt werden, mit wem man sich vernetzt.
Warum wir uns nach Vergangenem und Vertrautem sehnen

Eine jahrhundertealte Tradition – Briefe waren seit jeher das beliebteste Kommunikationsmedium. Laufen sie nun Gefahr, vergessen zu werden? Bild: Pexels.
Wie bei der Schallplatte scheint auch die digitale Brieffreundschaft einen rückläufigen Medienwandel zu begünstigen. Doch wieso streben viele Menschen eine langsamere und aufwendigere Kommunikationsform an?
Zum einen schwingt beim Verfassen von Briefen eine gewisse Nostalgie mit, die von handschriftlichen Briefen herrührt und die Erinnerung an vergangene Zeiten weckt, in denen zwischenmenschliche Kommunikation noch nicht von Schnelllebigkeit und ständigem Präsent-Sein geprägt war. Daraus lässt sich auch der Wunsch einer Abkehr von ständiger Erreichbarkeit und Oberflächlichkeit ableiten. Ein weiterer Grund stellt der Reiz dar, Neues und Fremdes kennenzulernen. Authentische Geschichten, tiefgehender Austausch und echtes Interesse – das wünschen sich viele, die eine digitale Brieffreundschaft beginnen. Digitale Räume ersetzen somit keine analogen Werte.
Jessica Wawrzyniak betont zudem, dass Schreiben bei der Verarbeitung und Reflexion von Geschehnissen und Gefühlen helfen kann. Jedoch wird auch vor den Grenzen digitaler Beziehungen gewarnt: Der Kommunikationswissenschaftler Manuel Steffen weist darauf hin, dass digitale Vertrautheit allein nicht genügt, um das Gefühl einer wahren Freundschaft dauerhaft aufrecht zu erhalten. Dafür seien neben der digitalen Kommunikation ebenso Treffen im realen Leben notwendig. Zudem bestehe das Risiko einer Enttäuschung durch Ghosting oder Kontaktabbruch.
Ausblick: Zwischen individuellem Briefwechsel und globaler Verbundenheit
Während der klassische Brief zunehmend aus der Mode gerät – nicht nur wegen technischer, sondern auch aufgrund struktureller Probleme des Postwesens –, steigt die Zahl digital versendeter Briefe und schafft soziale Verbundenheit auf eine neue Weise. Dabei überschreitet die digitale Brieffreundschaft die Grenzen von Ländern und Kontinenten. Und sie betont: Authentische Kommunikation ist nicht zwangsläufig eingeschränkt durch die Digitalisierung, sondern kann durch neue Medienformen sogar einen Aufschwung erfahren, wenn es genug Menschen gibt, die neugierig darauf sind, Tradition und Fortschritt zu verbinden. Anbieter wie Slowly, PenPal World, Interpals oder Brieffreunde.de bieten zahlreiche Möglichkeiten sich zu vernetzen und Personen in zahlreichen Ländern zu kontaktieren.
Somit zeigt sich: Fortschritt bedeutet nicht zwangsläufig das Ende einer Tradition. Ebenso wenig bedeutet es, alles zu beschleunigen. Digitale Brieffreundschaften eröffnen die Möglichkeit, einen Schritt zurückzutreten, um bewusster und intensiver zu kommunizieren. Damit stellen sie in einer Welt der Medienüberreizung einen Weg der Vernetzung dar, der alte Werte weiterträgt. Sie bewahren den Charme des klassischen Briefwechsels und nutzen die Möglichkeiten der modernen Technologie.
Quellen und weiterführende Literatur:
- Google Playstore. Online einsehbar unter: https://play.google.com/store/apps/details?id=com.slowlyapp&hl=gsw [zuletzt abgerufen am 29.06.2025].
- Hardcastle, Kate (2025): The Rise Of Stationerycore: Why A Digital Generation Is Falling In Love With Analogue. Online einsehbar unter: https://www.forbes.com/sites/katehardcastle/2025/03/02/the-rise-of-stationerycore-why-a-digital-generation-is-falling-in-love-with-analogue/?utm_source= [zuletzt abgerufen am 02.08.2025].
- Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (2024): JIM-Studie 2024. Jugend, Information, Medien. Basisuntersuchung zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger. Online einsehbar unter https://mpfs.de/studie/jim-studie-2024/ [zuletzt abgerufen am 02.08.2025].
- Rainews Tagesschau. Online einsehbar unter: https://www.rainews.it/tgr/tagesschau/articoli/2024/10/italien-startet-postprivatisierung-6bf9aef7-a51d-47fb-90c5-a4bfb1f46e57.html [zuletzt abgerufen am 29.06.2025].
- Slowly Blog. Online einsehbar unter: https://slowly.app/de/blog/ [zuletzt abgerufen am 29.06.2025].
- Slowly Blog. Online einsehbar unter: https://slowly.app/de/blog/introducing-slowly/ [zuletzt abgerufen am 02.08.2025].
- Steffen, Manuel (2023): Warum digitale Beziehungen rasch an ihre Grenzen stoßen. Online einsehbar unter: https://www.uniaktuell.unibe.ch/2023/warum_digitale_beziehungen_rasch_an_grenzen_stossen/index_ger.html [zuletzt abgerufen am 29.06.2025].
- Teichert, Jeannine (2022): Digital occupants – Wie digitale Medien die kommunikative Aushandlung von Freundschaften verändern. Wiesbaden: Springer VS.
- Wawrzyniak, Jessica (2025): Digitale Freundschaften und Dating: Chancen und Risiken im Netz. Online einsehbar unter: https://www.digitalcheck.nrw/digital-weiterwissen/artikel/digitale-freundschaften-und-dating-chancen-und-risiken-im-netz [zuletzt abgerufen am 29.06.2025].