Hollywood Wissenschaftsjournalismus

Hollywood im Wissenschaftsjournalismus?!

Von Linda Prey und Lisa Troidl

 

Was haben Wissenschaftssendungen und Hollywoodblockbuster gemeinsam? Die meisten würden wahrscheinlich antworten: „Nicht viel.“ Der Fernsehjournalist Christian Friedl sieht das anders. Wie er zum Wissenschaftsjournalismus steht und welche Rolle Hollywood dabei spielt, führt auf einen Exkurs über schwarze Löcher und Joseph Campbells Heldenreise.

Christian Friedl

Gutes Storytelling ist für Friedl im Journalismus essentiell. Foto: Lisa Troidl

Wir treffen Christian Friedl an einem warmen Sommertag auf dem Gelände des BR in München. Wir sind etwas zu früh, aber nach einem kurzen Telefonat holt er uns gleich an der Pforte ab, die sich als wahres Baustellenlabyrinth herausstellt. Friedls Äußeres spiegelt seine unkomplizierte Art wider: lässige Freizeithose, schlichtes weißes T-Shirt, Dreitagebart, Umhängetasche und Sonnenbrille. Und nett ist er. Als erstes besorgt er uns Getränke aus der Kantine, nachdem wir die Einladung zum Mittagessen dankend abgelehnt haben.
Was sofort auffällt ist seine Leidenschaft für Wissenschaft und physikalische Zusammenhänge. Durch seinen enormen Wissensschatz und seinen ganz eigenen Erzählstil schafft er es auch komplexe Zusammenhänge spannend und verständlich zu erklären. Neben seinem umfangreichen Wissen hilft ihm aber auch seine Begeisterung für gutes Storytelling im Job. Obwohl er Autor für Wissensendungen ist, schaut er in seiner Freizeit lieber Hollywoodfilme. „Ich liebe amerikanische Thriller.“ Besonders Der unsichtbare Dritte von Hitchcock hat es ihm angetan.

Dass Friedl ein vielseitig interessierter Mensch ist, zeigt sich auch in der Wahl seiner beruflichen Aktivitäten. Neben seiner Tätigkeit als Autor für verschiedene Wissenssendungen beim BR arbeitet er freiberuflich in der Lehre an der ARD.ZDF medienakademie und hat das Buch „Hollywood im journalistischen Alltag“ geschrieben. Eine gute Geschichte zu erzählen ist für Friedl in seinem Job essenziell, um seine Zuschauer für wissenschaftliche Themen zu begeistern und das Interesse für Wissenschaft in der Gesellschaft zu stärken.

Zur Person

Christian Friedl ist Diplom-Physiker und Fernsehjournalist mit dem Schwerpunkt Wissenschaftsjournalismus. Zudem bildet er Volontäre des BR aus. An der ARD.ZDF medienakademie arbeitet er vor allem mit dem Schwerpunkt Storytelling. 2008 wurde Friedl mit dem Georg-von-Holtzbrinck-Preis für Wissenschaftsjournalismus

Aus der Not eine Tugend machen – Wege in den Wissenschaftsjournalismus

Obwohl er nie für eine Schülerzeitung geschrieben hat, wusste Christian Friedl schon in der elften Klasse, dass er Journalist werden will. Da er laut eigener Aussage weder im Fach Deutsch noch in Naturwissenschaften besonders gut war, also weder zum Wissenschaftler noch zum Autor wirklich taugte, machte er aus der Not eine Tugend und versuchte beides im Beruf des Wissenschaftsjournalisten zu vereinen. Mit Erfolg: Nach seinem Physik-Studium, dem Volontariat beim BR und verschiedenen Praktika, unter anderem bei der FAZ und dem WDR, wurde er schließlich der ersten Physiker beim BR.

Was ein Naturwissenschaftler bei einem Fernsehsender verloren hat, musste Friedl den Leuten aber erst noch begreiflich machen. 1992 war er als Fachjournalist außerhalb von Politik und Wirtschaft eine Rarität. Trotzdem bezeichnet Friedl die Wahl eines wissenschaftlichen Studiums mit anschließendem Volontariat noch heute als Königsweg in den Journalismus. Der Erfolg gibt ihm Recht und die Verleihung des Georg-von-Holtzbrinck-Preis für Wissenschaftsjournalismus im Jahr 2008 bestätigt Friedls Behauptung umso mehr.

„Was hat in den letzten 200 Jahren die Gesellschaft vorangebracht? Die Kriege der Politiker waren es nicht. Es war die Dampfmaschine, es war der Webstuhl, es war der Transistor und so weiter.“

Neben seiner wohl nicht ganz ernst gemeinten Begründung für die Wahl seines Berufs, spielt noch eine ganz andere Motivation eine wichtige Rolle: Christian Friedl glaubt als Wissenschaftsjournalist Gutes zu tun, indem er Menschen aufklärt und informiert. „Ich hätte ein Problem in der Pressestelle eines Tabakkonzerns zu sitzen.“ Er würde sich nicht wohl dabei fühlen, hinter einem Produkt zu stehen, das Menschen schadet. Wissenschaft hingegen nutzt dem Menschen und bestimmt die Gesellschaft und ihre Zukunft. In seinen Augen sogar etwas mehr als Wirtschaft und Politik. Deshalb sollte jeder Bescheid wissen und nicht nur die Elite.                                                                                                           
Die Fortschritte der Menschheit, wie heute beispielsweise die Digitalisierung, seien alles Errungenschaften der Wissenschaft. „Der erste Computer war 40 Tonnen schwer mit 80 Kilometer Kabel und heute machen wir das mit so einem Ding!“, erklärt Friedl und deutet auf das Smartphone auf dem Tisch. Auch in Bezug auf aktuelle Problemfelder, wie den Klimawandel, sieht Friedl die einzige Lösung im wissenschaftlichen Fortschritt. Er glaubt nicht, dass Menschen anfangen, der Erde zuliebe auf etwas zu verzichten. „Gott, seit der Bibel, die Menschheit hat noch nie verzichtet. Das macht sie nicht!“ Zum Beispiel sei es nicht realistisch, dass weniger geflogen wird. Daher müssten Flüge ökologischer werden und dafür braucht es Forschung. Und die braucht finanzielle Förderung. Hier kommt wieder der Wissenschaftsjournalismus ins Spiel. Seine Aufgabe liegt für Friedl daher nicht nur darin, die Öffentlichkeit gut zu informieren, sondern bahnbrechende Forschung bekannt zu machen, damit Gelder zur Verfügung gestellt werden.

Sorgenkind Wissenschaftsjournalismus?

Es ist kein Geheimnis, dass der Wissenschaftsjournalismus existentielle Probleme hat. Eine Möglichkeit, dem entgegenzuwirken, könnte in einem Stiftungsmodell liegen. Hierbei stellt sich allerdings die Frage, ob damit nicht ein Neutralitätsproblem auftreten würde. Friedl kennt die Schwierigkeiten in der Branche, obwohl er sagt, dass es beim Fernsehen noch nicht so schlimm ist, wie beim Radio- oder Printjournalismus. „Generell geht der Journalismus den Bach runter.“ Ein Stiftungsmodell würde für Friedl deshalb absolut in Frage kommen.

Ein pauschales Problem mit der Neutralität sieht er dabei nicht, das müsse von Einzelfall zu Einzelfall unterschieden werden. In Amerika sind Stiftungsmodelle oder private Investoren im Journalismus gang und gäbe, die Deutschen seien aber keine Stifter, weshalb er sich keine hohen Chancen dafür ausrechnet.
Eine weiter Möglichkeit, dem Wissenschaftsjournalismus finanziell unter die Arme zu greifen, sieht Friedl in der Stärkung des öffentlich-rechtlichen Systems. Dieses sei etwas, worauf man in Deutschland stolz sein kann. „Die Leute trauen den öffentlich-rechtlichen noch am meisten Glaubwürdigkeit zu.“ Die Qualität sei bei gebührenfinanziertem Journalismus viel höher als beim Quotenfernsehen, wobei er das ProSieben Wissensmagazin Galileo als Exempel anführt. „Mit Verlaub. Das größte Sushi der Welt? Das kann nicht der Wissenschaftsfilm der Zukunft sein.“
Die Empörung über Rundfunkbeiträge kann Friedl überhaupt nicht verstehen, schließlich bezahle er selbst auch Steuern für die Bezuschussung von Opernhäusern, obwohl er nicht in die Oper geht und beschwert sich nicht darüber. Das sei eben normal und wichtig für die Gesellschaft, auch wenn nicht jeder im gleichen Maß von allen Angeboten profitiert. Eine Abschaffung der Rundfunkbeiträge ist für Friedl nicht zielführend und eher unrealistisch. Viel mehr hat er das Gefühl, dass hierbei gerade ein Umdenken in der Politik stattfindet, das hoffentlich eine Stärkung des öffentlich-rechtlichen Journalismus nach sich zieht.

„Nein, das ist unser Film.“

Neben finanziellen Problemen hat der Journalismus in Deutschland aber auch mit anderen Schwierigkeiten zu kämpfen: den Umgang mit Fake News und Populismus. Dem stellt sich nun ein Expertengremium von Wissenschaftskommunikatoren aus Instituten, Forschung und Hochschulen entgegen. Der sogenannte Siggener Kreis möchte sich im Kampf gegen Fake News und Populismus mit dem Wissenschaftsjournalismus verbünden. Einige Journalisten sehen darin eine Vereinnahmung ihrer Berichterstattung und wollen sich nicht instrumentalisieren lassen. Friedl bleibt gelassen, denn diese Ängste sind für ihn ein konstruierter Konflikt. Der Siggener Kreis werde als auslösendes Moment für etwas gesehen, das schon längst die Realität ist. Nicht die Instrumentalisierung von Journalisten, sondern ihre enge Zusammenarbeit mit den Instituten.

Warum jetzt wegen des Siggener Kreises die feindliche Übernahme durch Frauenhofer oder das Max-Planck-Institut erfolgen sollte, leuchtet ihm nicht ein. Im Gegenteil: Friedl erlebt in seinem Arbeitsalltag viel mehr, dass Kommunikatoren wissenschaftlicher Einrichtungen sich aus seiner Arbeit raushalten wollen. Nicht selten fallen Sätze wie „Herr Friedl, wir hätten da eine Idee, aber das ist natürlich Ihr Film. Das müssen Sie entscheiden.“ Friedl antwortet dann stets: „Nein, das ist unser Film.“
Journalisten und Institutionen haben seiner Meinung nach, dasselbe Anliegen: Forschung bekannt machen, denn Wissenschaft ist kein Nischenprodukt. Und das funktioniert eben am besten in Zusammenarbeit. Wenn überhaupt irgendjemand Probleme macht, sind das in den seltensten Fällen die PR-Leute der Institute, sondern die Wissenschaftler selbst, denen so ein „TV-Futzi“ wie Friedl egal ist, weil sie einfach forschen wollen und kein Verständnis dafür haben, dass auch die Kommunikation über ihre Forschung wichtig ist. Gerade im Kampf gegen Fake News.
Friedl findet, dass diese nicht nur ein gesellschaftliches Problem sind, sondern auch ein Problem für Wissenschaftler und Journalisten, gegen das man gemeinsam angehen muss. Deshalb ist es für ihn nicht verwerflich, wenn seiner Zusammenarbeit mit der Wissenschaft ein gemeinsames Anliegen zugrunde liegt. Außerdem gehören zur Instrumentalisierung zwei Parteien: „Da muss ich mich ja auch instrumentieren lassen. Aber dann sag ich halt zu den Typen ‚sorry, aber so mach ich das nicht‘.“

Fernsehen als Wissenschaft

Dass Christian Friedl sich von niemandem instrumentalisieren lässt, glauben wir ihm. Wozu auch? Mit seiner Arbeit möchte er vor allem Menschen für Wissenschaft begeistern, weil er auch davon begeistert ist. Bei jedem seiner Worte merkt man ihm an, wie wichtig ihm das ist und er seinen Job gern macht. Seinen Arbeitsalltag beschreibt er als abwechslungsreich. Der einzige Mangel: Zeit. Er kann nicht alle Aufträge annehmen. Seit 2011 macht er keine Redaktion mehr, weil er es vermisst hat „an der Front“ tätig zu sein. Jetzt kommen die Redaktionen auf ihn zu, sobald ein Thema in seinen Fachbereich fällt und Friedl entscheidet, ob er Zeit dafür hat oder eben nicht. Unter anderem schreibt er als Autor für die Sendungen Gut zu Wissen, Faszination Wissen und Xenius. Die Hälfte seines Arbeitstags sitzt er dabei zu Hause auf dem Sofa und recherchiert in einem solchen Umfang, dass er sich manchmal vorkommt wie bei einem Zweitstudium.           
Auch wenn ihm die Dramaturgie sehr wichtig ist, findet er, dass man vor allem über die Thematik gut Bescheid wissen muss. Nachdem Friedl sich eingelesen hat, kommt dann aber die Story. Wenn die steht, überlegt sich Friedl geeignete Protagonisten für seine Geschichte und castet sie für sein Drehbuch, fast wie ein Hollywoodautor. Manchmal stößt er mit dieser Vorgehensweise auf Unverständnis, weil oftmals zuerst die Protagonisten gefragt werden und man dann in Absprache mit ihnen eine Geschichte entwickelt. Friedl sieht das gelassen. Wenn der Darsteller nicht einverstanden ist, wird er eben umbesetzt. Das sei aber so gut wie nie vorgekommen.

„Ich bin ja viel im Weltall unterwegs, gedanklich zumindest.“

In Friedls Vorgehensweise scheinen tatsächlich Hollywood und Wissenschaft aufeinanderzutreffen. Er erzählt, dass er gerne Beiträge über das Weltall macht. Denkt man an Star Wars oder Star Trek, zeigt sich, dass auch Hollywood gerne Geschichten aus den endlosen Weiten des Universums erzählt. Nur sind die selten wissenschaftlich genau, sondern erzählen von Außerirdischen, Zeitreisen und Teleportation. Einen solchen Gestaltungsspielraum hat Friedl nicht, wenn er einen Beitrag über „Schwarze Löcher“ oder „Nanotechnologie“ macht. Dabei zählen Daten und Fakten und häufig sind seine Themen nicht gerade anschaulich oder einfach zu verstehen. Friedl findet, dass sich trotzdem kaum ein Medium besser eignet, um Wissenschaft verständlich zu machen, als das Fernsehen. Für einen Beitrag zu Schwarzen Löchern filmte er Wissenschaftler beim Mittagessen in der Kantine, um zu zeigen, dass auch Schwarze Löcher ‚essen‘. Wie Menschen nehmen kleine Schwarze Löcher weniger zu sich als Große und sie verschlingen nicht alles auf einmal, sondern ‚ernähren‘ sich gabelweise. Mit dieser anschaulichen Parallelität können auch Nicht-Wissenschaftler verstehen, um was es geht.

„Die Idee, dass sich Wissenschaft nicht fürs Fernsehen eignet, finde ich unmöglich.“

Friedl erzeugt einleuchtende Bilder und Geschichten, die für eine breite Masse zugänglich sind. Das spricht deutlich für das Medium Fernsehen. Trotzdem stieß er bei seinem Beitrag über schwarze Löcher einigen Beteiligten auf Unverständnis – das sei unter ihrem Niveau und bestimmt auch unter dem von Fernsehzuschauern, die Wissenssendungen ansehen. Laut Friedl stimmt das aber nicht. „Die Massen aus bildungsfernen Schichten schauen sich lieber das schwarze Loch im Fernsehen an als ein Buch von Steven Hawkin zu lesen.“ Der typische ARTE-Zuschauer hingegen, den er als die Elite bezeichnet, habe überhaupt keinen Fernseher. 60 Prozent seiner Zuschauer hätten lediglich einen Hauptschulabschluss. Für diese Menschen macht Friedl verständliche Wissenssendungen, auch wenn er es als Physiker manchmal frustrierend findet, ein gutes Stück Komplexität weglassen zu müssen.

Trotzdem steht er dafür ein, Wissen für möglichst viele Menschen zugänglich zu machen. Letztendlich ist das Medium laut Friedl dabei unerheblich, solange Bilder entstehen. Das sei beim Radio genauso wichtig wie beim Fernsehen, Print- oder Onlinebeiträgen. Bilder erzeugt man durch eine gute Geschichte und die ist fast immer in einer Drei-Akt-Struktur aufgebaut.

Hollywood in der Wissenschaft

Um diese Drei-Akt-Struktur geht es auch in Christian Friedls Buch Hollywood im Journalistischen Alltag. In Anlehnung an Joseph Campbell überträgt er das Konzept der Heldenreise auf den Journalismus. Wichtig sind ihm dabei vor allem der Protagonist, eine zentrale Fragestellung und die Symmetrie im Handlungsverlauf. Nur so kann aus einem Beitrag eine gute Geschichte werden. „Mit Helden meine ich nicht unbedingt einen Luke Skywalker oder Harry Potter. Das kann auch die Gesundheitsversicherung oder ein Tier sein.“

An einem Buchverkauf verdient Friedl gerade einmal eine Kugel Eis. Eine Veröffentlichung war eigentlich gar nicht geplant. Friedl hat es ursprünglich als Hilfe für seine Studierenden an der ARD.ZDF medienakademie geschrieben. „Ich wollte ein Buch schreiben, das ich selbst gerne gehabt hätte, als ich als Volontär angefangen habe.“ Dass es dann aber tatsächlich veröffentlicht wurde, hat ihn sehr gefreut. “Wenn man Physik studiert und dann mit einem Lehrbuch über Dramaturgie endet, hat man einen weiten Weg hinter sich.“ Und vielleicht liest es der ein oder andere Journalist und bringt so noch ein bisschen mehr Hollywood in den Wissenschaftsjournalismus.