Pixabay: Gerd Altmann

Zwischen Logikfehlern und Rosinenpickerei

Desinformation erkennen mit der PLURV-Formel

Von Franziska Moser

In digitalen Sphären scheint Desinformation heutzutage allgegenwärtig. Doch was tun, um sich davor zu schützen? Wie kann man in der digitalen Informationsflut erkennen, wann es sich um unwahre Behauptungen handelt? Die PLURV-Formel kann eine erste Abhilfe leisten.

Am fünften Oktober 2020 veröffentlichen drei Wissenschaftler*innen der renommierten Universitäten Harvard, Oxford und Stanford eine Erklärung. Darin kritisieren sie die Maßnahmen zur Eindämmung von COVID-19 und schlagen stattdessen eine andere Strategie vor: „Diejenigen, die nicht schutzbedürftig sind, sollten sofort wieder ein normales Leben führen dürfen“, fordern sie. Zu verheerend seien die Auswirkungen der Maßnahmen auf die öffentliche Gesundheit. Stattdessen solle, auch ohne Impfung, Herdenimmunität erlangt werden. Lediglich vulnerable, ältere Gruppen sollten vor dem Virus geschützt werden.

Daraufhin hagelt es Kritik. Der WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus nennt die Forderungen „wissenschaftlich und ethisch problematisch“. Es sei nicht vertretbar, die Menschen schutzlos dem Virus auszusetzen und verweist dabei auf Corona-Tote aus allen Altersklassen. Abgelehnt werden die Forderungen mitunter auch von der Gesellschaft für Virologie und dem deutschen Virologen Christian Drosten. Dieser bezeichnet die Erklärung im NDR-Podcast Coronavirus-Update als Desinformation. Es handele sich um Pseudo-Expert*innen mit einer Minderheitsmeinung, die sich trotzdem lauthals zum Thema äußerten. Trotzdem erregt die Erklärung großes Aufsehen. Was also kann helfen, Desinformation besser zu erkennen? Die PLURV-Formel könnte Abhilfe schaffen.

Die „Great Barrington Declaration“ erklärt die Funktionsweise der PLURV-Formel. Diese Aneinanderreihung von Buchstaben beschreibt die fünf häufigsten Methoden der Desinformation. Neben Pseudo-Expert*innen sind das Logik-Fehler, unerfüllbare Erwartungen, Rosinenpickerei und Verschwörungsmythen. Erstmals erwähnt wurde die Formel 2013 vom australischen Kognitionswissenschaftler John Cook, der sich mit falschen Behauptungen zum Klimawandel beschäftigt. Die fünf Desinformations-Techniken wurden bereits vorher von verschiedenen Wissenschaftler*innen beschrieben. Im Englischen spricht man von der FLICC-Formel (Fake Experts, Logical Fallacies, Impossible Expectations, Cherry Picking und Conspiracy Myths). Innerhalb dieser fünf Überkategorien gibt es mehr als 20 Untertypen.

P – Pseudo-Expert*innen

Pseudo-Expert*innen sind Personen oder Institutionen, die sich zu einem Thema äußern, für das sie unqualifiziert sind. Das können auch Wissenschaftler*innen sein, die zwar einen Doktor- oder Professorentitel haben, aber eben in einem anderen Fach.

Im Internet grassiert jede Menge Desinformation. Die PLURV- Formel kann helfen, sich in diesem Labyrinth zurechtzufinden. Bild: Pixabay.

Desinformation entsteht dann, wenn auf einige unqualifizierte Pseudo-Expert*innen verwiesen wird, um einen Sachverhalt anders darzustellen. Man spricht hier auch von einer „aufgeblähten Minderheit“. Wenige, abweichende Meinungen werden aus dem Kontext gezogen und fälschlicherweise als wissenschaftlicher Konsens und Mehrheitsmeinung dargestellt.  Und auch die „fingierte Debatte“ fällt unter diese Kategorie. In einem Pro- und Contra-Format debattieren seriöse Forscher*innen mit Pseudo-Expert*innen, wodurch der Eindruck erweckt wird, beide Standpunkte hätten den gleichen Anteil.  Hier spricht man auch von einer „false balance“, also zu Deutsch von einer falschen Ausgewogenheit.

L – Logik-Fehler

Logik-Fehler bergen die Gefahr, schnell zu Desinformation werden zu können. Ein solcher Fehler liegt etwa dann vor, wenn aus korrekten Informationen falsche Schlüsse gezogen werden. Drosten spricht im Coronavirus-Update-Podcast den Artikel eines Philosophen an, der ohne fachliche Kenntnis epidemiologische Modellierungen kritisiert. Die Modellierungen seien zwar nicht so eingetreten, wie von den Wissenschaftler*innen prognostiziert, das liege aber nicht an den, wie der Autor behauptet, falsch gewählten Parametern. Stattdessen hätten die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus den Pandemieverlauf entsprechend beeinflusst.

Auch die „Blendgranate“ ist eine Art Logik-Fehler. Totschlagargumente wie „Die Altersheime müssen abgeschirmt werden“ sind genauso einfach, wie sie auch falsch sind. Denn weder leben alle alten Menschen in Altersheimen, noch sterben einzig und allein ältere Personen am Virus.

Dabei gelten diese Techniken der Desinformation nicht nur in Bezug auf die Corona-Pandemie, sondern lassen sich ebenso auf Aussagen zum Klimawandel beziehen. „Das Klima hat sich schon immer geändert, deshalb ist der Mensch nicht schuld daran“, ist ein weiteres klassisches Beispiel für einen Logik-Fehler. Der erste Teil der Behauptung ist zwar korrekt, der Schluss, der daraus gezogen wird, aber umso weniger. Der Grund für die aktuelle Erderwärmung ist zweifelsfrei nachgewiesen.

Andere Logik-Fehler können sein, Zuhörende mit mehrdeutigen Aussagen in die Irre zu führen, Situationen falsch oder verzerrt darzustellen, genauso wie übermäßige Vereinfachungen anzustellen. Weitere Arten von Logik-Fehlern sind in dieser Infografik zur PLURV-Formel veranschaulicht.

U – Unerfüllbare Erwartungen

Sind die Menschen denn tatsächlich an Corona gestorben und nicht viel eher mit dem Virus? Und was bringen überhaupt PCR- und Antigen-Tests, wenn diese nicht 100-prozentig richtig liegen? Zweifler*innen erwarten von der Wissenschaft gerne, Unmögliches zu leisten. Die Corona-Tests werden auf diese Weise schlecht gemacht. „Das klammert jede Quantität aus“, erklärt Drosten. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Tests richtig liegen, ist dennoch hoch.

Ähnlich verhält es sich auch mit der Forderung eines experimentellen Nachweises dafür, dass durch den Anstieg an CO2 in der Atmosphäre der Klimawandel verursacht wird. Ein Nachweis aus dem Labor reicht den Zweifler*innen aber nicht. Diesen gibt es bereits seit 1869. Stattdessen wird ein Experiment mit der ganzen Erde gefordert.

R – Rosinenpickerei

Die “false balance” erzeugt den Eindruck, eine Minderheitsmeinung hätte den gleichen Anteil wie die Konsensmeinung. Bild: Pixabay.

Hier werden Informationen bewusst lückenhaft gewählt, um die eigene Position zu stützen. Zum Beispiel können selektiv Studien herangezogen werden, die andere, mehrheitliche Sichtweisen ausklammern. Wer also die Pandemie verharmlosen will, sucht sich Studien heraus, die auf eine geringe Sterberate kommen. Und wer behaupten will, das Virus sei für Kinder irrelevant, greift auf Statistiken zurück, die zeigen, dass kaum Kinder im Zusammenhang mit COVID-19 im Krankenhaus landen. Andere Sichtweisen, laut denen sich Kinder häufiger infizieren als das in erwachsenen Gruppen der Fall ist, bleiben außen vor. „Es wird etwas generalisiert, das nicht generalisierbar ist“, so Drosten.

Gerne werden auch persönliche Anekdoten herangezogen, also rein subjektive Erfahrungen, um einen Sachverhalt zu erklären. Oder die Informationssuche wird an dem Punkt beendet, an dem die erwarteten Informationen gefunden wurden. Veröffentlichungen, die nicht das eigene Weltbild bestärken, bleiben so außen vor.

V – Verschwörungsmythen

Und auch sie dürfen in dieser Liste nicht fehlen: Verschwörungsmythen. Seit Ausbruch des Corona-Virus ist besonders eine Person zur Zielscheibe von Verschwörungstheoretiker*innen geworden: Bill Gates. Er soll für den Ausbruch des Virus gesorgt haben und wolle der Menschheit durch Impfungen Mikrochips einsetzen, um sie zu kontrollieren. Nebenbei wolle er durch Impfungen dafür sorgen, dass die Menschheit dezimiert werde, und, und, und…

Von Verschwörungsmythen existieren stärkere, aber auch subtilere Formen. So wird Expert*innen häufig unterstellt, sie würden Unwahrheiten verbreiten, um daraus wirtschaftliche Vorteile zu ziehen. Wenn sich diese dann nicht gegen die eindeutig falschen Vorwürfe wehren, fühlen sich Verschwörungstheoretiker*innen umso mehr in ihrem Weltbild bestätigt. Das wiederum kann zur Basis eines wachsenden Misstrauens in die Wissenschaft werden.https://media-bubble.de/wp-admin/post-new.php#save

Das Muster erkennen

Egal in welchem Kontext – ob Corona, Klimawandel oder Aids – Pseudo-Expert*innen, Logik-Fehler, unerfüllbare Erwartungen, Rosinenpickerei und Verschwörungsmythen spielen meist eine zentrale Rolle im Schaffen von Desinformation. Doch auch bei denjenigen, die für die Verbreitung von Desinformation verantwortlich sind, besteht ein Muster. In den USA ist Donald Trump ein bekanntes Beispiel, in Deutschland fällt die AfD wiederholt mit faktisch inkorrekten Aussagen zum Klimawandel („Der Klimawandel ist nicht menschengemacht“) und zur Bundestagswahl („Briefwahl bedeutet Wahlbetrug“) auf, genauso wie mit Verharmlosungen der Corona-Pandemie.

Die gute Nachricht ist: Wer die Tricks kennt, mit denen Desinformation erzeugt wird, ist besser dazu in der Lage, diese zu entlarven. Und falls trotz der PLURV-Formel Unsicherheiten bestehen, können Faktencheck-Portale wie Correctiv, Mimikama oder der Faktenfinder der ARD-Tagesschau erste Abhilfe leisten.

Quellen:

Drosten, Christian. (2021, 30. März). (82) Die Lage ist ernst [Audio-Podcast]. In Corona Virus Update. NDR Info. https://www.ndr.de/nachrichten/info/82-Die-Lage-ist-ernst,audio861448.html

https://www.klimafakten.de/meldung/p-l-u-r-v-dies-sind-die-haeufigsten-desinformations-tricks-von-wissenschafts-leugnern

https://www.tagesschau.de/faktenfinder/great-barrington-declaration-101.html

https://www.theguardian.com/world/2020/oct/12/who-chief-says-herd-immunity-approach-to-pandemic-unethical

https://www.g-f-v.org/node/1358

https://skepticalscience.com/translationblog.php?n=4706&l=6

https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/corona-krise-und-klimawandel-fuenf-desinformations-tricks-die-jeder-kennen-sollte-a-6892ff9b-fb28-43ae-8438-55b49d607e57