Am Anfang war das Erzählen
Alumni-Portrait über die Drehbuchautorin Victoria Vosseberg
Von Ulyana Dobrochynskyy
Von Set-Runnerin bis Junior Producerin hat Victoria Vosseberg schon vieles am Filmset durchlaufen. Jetzt verfolgt sie ihren Traum des Drehbuchautorinnen-Daseins. Im Gespräch mit Ulyana Dobrochynskyy erzählt sie von ihrem Werdegang und der Faszination des Geschichtenerzählens.
Victoria Vosseberg entdeckte bereits in jungen Jahren ihre Liebe für Geschichten. Ihr war klar, dass sie sich auch im Berufsleben kreativ ausleben möchte. Doch wie verwirklicht man diesen Traum, den so viele künstlerisch veranlagte Menschen anstreben? Ein Geheimrezept dafür gibt es nicht: Der Weg zur beruflichen Erfüllung führt für viele Kreative über knallharte Kritik, Konkurrenzkampf und Knochenjobs. Auch Victoria hat ihre Erfahrungen damit gesammelt – ohne, dass ihre Leidenschaft für das Schreiben dadurch geschmälert wurde. Die Tübinger Alumna verrät, was sie antreibt und welche Lektionen sie auf ihrem bisherigen Weg durch Filmsets und Produktionsfirmen gesammelt hat.
Medienwissenschaft in Tübingen: Das All-Inclusive-Paket
Neben dem Erzählen hatte Victoria ein zweites „Steckenpferd“: Die japanische Sprache und Kultur. An der Uni Tübingen fand sie die Möglichkeit, ihre beiden Leidenschaften zu verbinden. Von 2010 bis 2015 studierte sie Japanologie im Hauptfach und Medienwissenschaft im Nebenfach. „Mich hat schon immer fasziniert, wie Menschen mit Medien umgehen“, begründet Victoria ihre Studienwahl. Obwohl sie Medienwissenschaft nur im Nebenfach belegte, hat sie in Tübingen viel medienpraktische Erfahrungen gesammelt, unter anderem durch ihr Engagement bei CampusTV. Dort lernte sie die „Basics“ der Filmproduktion, wie Kameraführung und Schnitt, kennen und entwickelte ein starkes Interesse für das Medium Film: „Als Kind habe ich mich sehr für Comics und Mangas begeistert. Und während des Medienwissenschaftsstudiums dachte ich dann: Irgendwie interessiert mich Film. Film ist ja quasi ein Comic, der sich bewegt.“ Insgesamt habe sie sich in Tübingen sehr gut aufgehoben gefühlt: „Tübingen ist eine super Uni und auch eine tolle Stadt zum Studieren. Die Universität bietet so viele verschiedene Dinge an, sei es CampusTV, das Uni-Radio oder Kupferblau, die Uni-Zeitung. Ich habe diese Vielfalt extrem geschätzt, deswegen würde ich diese Uni auch jetzt noch jedem empfehlen.“ Auch das Fach Medienwissenschaft sei für sie die richtige Wahl gewesen: „Man kriegt einen guten Überblick über alle möglichen Aspekte und kann sich dann in die Bereiche vertiefen, die einen interessieren.“
Von London zum „Laufburschen“
Ihr Interesse für das bewegte Bild veranlasste Victoria dazu, im Master Internationale Filmwissenschaft zu studieren – an der School of Oriental and African Studies in London. Die Studien- und Lebenskosten in der bekanntermaßen teuren britischen Hauptstadt finanzierte sie sich über ein Stipendium. Nach ihrem Masterabschluss kehrte Victoria nach Deutschland zurück. Sie wusste, dass sie in die Filmbranche einsteigen möchte, konkrete Vorstellungen hatte sie aber noch nicht. Am meisten habe sie sich für die Stoffentwicklung interessiert – also die Konzeption von Geschichten. Um sich erst einmal zurechtzufinden, durchlief Victoria zunächst ein knappes Jahr lang verschiedene Praktika. „Nicht, dass ich zu verpeilt gewesen wäre, um mir einen Job zu suchen. Ich wollte einfach schauen: Was gibt es alles? Wo will ich hin?“, erklärt sie. Von einer Regie-Hospitanz am Theater ging es für Victoria weiter in eine Kölner Werbeagentur, bis sie schließlich „Setrunnerin“ für einen Seriendreh in Berlin wurde. Was man als Setrunner so macht? „Im Endeffekt bist du so eine Art Laufbursche und sorgst dafür, dass die Abläufe zwischen den verschiedenen Abteilungen funktionieren.“
Wie ist ein Filmset organisiert?
Es gibt beim Film verschiedene Abteile, die heißen Gewerke: Kamera ist ein Gewerk, Regie ist ein Gewerk, Kostüm ist ein Gewerk. Und dann gibt es das Gewerk der Aufnahmeleitung, die dafür sorgt, dass das Filmset funktioniert. Ein Set ist wie eine Großbaustelle. Die Aufnahmeleitung sorgt dafür, dass die Infrastruktur funktioniert: Dass zum Beispiel die Kabel verlegt werden, die Zeitpläne eingehalten werden und so weiter. Der Runner ist der unterste Rang in diesem Abteil.
Die Tätigkeit als Runnerin war ein sehr anstrengender Job, erinnert sich Victoria: „Du bist den ganzen Tag auf den Beinen, du kommst morgens um sechs als einer der Ersten zum Set und gehörst abends zu den Letzten, die gehen. Man muss sehr auf Zack sein und es war eigentlich der Gegenentwurf zum Studium.“ Dennoch war es für Victoria eine sehr lehrreiche Zeit. Setrunner ist eine typische Einstiegsposition im Film. Man bekommt aus erster Hand mit, wie ein Filmset funktioniert, welche Abläufe ein Dreh durchläuft und welche Personen daran beteiligt sind.
Produzent, Producerin und magische Tiere
Schließlich stellte Victoria fest, dass sie kein Set-Mensch ist: „Das klingt vielleicht ein bisschen harsch, aber ein Set ist kein Ort des kreativen Arbeitens. Die kreativen Entscheidungen sind im Großen und Ganzen alle schon gefallen und am Set werden sie eigentlich nur abgearbeitet. Aber die ganzen Konzeptionsprozesse – also das, was ich eigentlich interessant finde – sieht man am Set gar nicht.“ Victoria wollte sich eher an den Entscheidungsfindungsprozessen der Geschichte beteiligen. Um diesem Ziel näher zu kommen, trat sie ein zweijähriges Volontariat als „Junior Producerin“ bei einer kleinen Produktionsfirma an, die Arthouse– und Kinderfilme produziert. Was macht nun ein (Junior-)Producer? Ist es eine andere Bezeichnung für Produzent*in? Victoria erklärt: „Ein Produzent trägt das unternehmerische Risiko für ein Filmprojekt. Der Titel der Producerin ist dagegen etwas schwammig. Einerseits kümmert man sich um das Finanzielle und Organisatorische, andererseits ist man an kreativen Prozessen beteiligt. Ich war vor allem in der kreativen Abteilung, habe aber auch die Grundlagen des Organisatorischen mitbekommen.“ Während ihres Volontariats wirkte Victoria unter anderem am Drehbuch für Die Schule der magischen Tiere mit, der Verfilmung einer beliebten Kinderbuchreihe.
Der Traum vom Autorinnendasein
Doch mit einer reinen Producer-Tätigkeit stellt sich Victoria nicht zufrieden: Sie will ihre Leidenschaft für Geschichten voll und ganz ausleben und strebt das Autorinnendasein an. Darum trat sie – allen Existenzängsten zum Trotz – nach dem Volontariat ein Drehbuch-Studium an der Filmuniversität Babelsberg an. „Schreiben ist ein Handwerk, das man lernen muss“, so Victoria. Genau das will sie mit ihrer Spezialisierung erreichen: „Ich lerne, Potenziale im eigenen Stoff und im Stoff von anderen zu erkennen; Kritik zu bekommen und Kritik zu geben sowie sie produktiv einfließen zu lassen. Es geht darum, den eigenen Weg als Autorin zu finden.“ Doch Victoria weiß, dass mehr dazu gehört, um als Drehbuchautorin Fuß zu fassen: „Dein Erfolg hängt nicht nur von dir ab, du musst die richtigen Leute finden. Connections sind das A und O.“ Sie hat aus erster Hand erfahren, dass das Filmgeschäft eine sehr harte Branche sein kann. Darum rät sie anderen aufstrebenden Drehbuchautor*innen:
„Du musst wissen, warum du das machst. Man bekommt sehr viel Kritik, die nicht immer konstruktiv ist. Manchmal denkt man sich dann: Warum tue ich mir das alles an? Es gehört also auf jeden Fall eine gewisse Resilienz dazu.“