Toxische Männlichkeit auf social Media – Manfluencer als Symptom einer Männlichkeitskrise?
Von Nico Janic
Sie sind nicht weniger als die heroischen Symbolfiguren vieler junger Männer unserer Zeit. Sogenannte Manfluencer predigen auf social Media das ihrer Meinung zufolge erstrebenswerte Bild eines echten Mannes: Ein gefühlskalter Muskelprotz mit vielen Frauen und noch mehr Geld an seiner Seite. Die Ursachen sowie die Folgen dieser Entwicklung sind Anlass zur Sorge – und auch zur Fürsorge, mit den vermeintlich starken Gliedern der Gesellschaft.
Das Männlichkeitsbild auf social Media
Herbert Grönemeyer fragte 1984 berühmterweise singend: “Wann ist ein Mann ein Mann?”. Die Wichtigkeit und Aktualität dieser Frage brachten Influencer wie der ehemalige Profi-Kickboxer Andrew Tate nach der Corona-Pandemie erneut ins Gespräch. Sogenannte Manfluencer wie Tate und Co. problematisieren die Emanzipation der Frau vor dem Hintergrund, dass der Mann der Frau praktisch von Natur aus übergeordnet sei. Klassische Narrative, wie die übermäßige Emotionalität der Frau, die im Gegensatz zu dem klaren, berechnenden Verstand eines Mannes stünde, führen dann zu jenem hegemonialen Männlichkeitsbild. Ein solch hegemoniales Männlichkeitsbild wird dann auch als ein toxisches Bild von Männlichkeit bezeichnet, weil diesem hegemonialen Männlichkeitsbild ein gesünderes und zeitgemäßes Bild von Männlichkeit gegenübersteht. Doch wie kam es dazu, dass das hegemoniale Männlichkeitsbild dermaßen an Wert einbüßen musste?
Von Grönemeyer bis Tate – was die Frauen gewonnen und die Männer verloren haben
Nicht umsonst wollte ich einleitend Herbert Grönemeyers “Wann ist ein Mann ein Mann?” zitieren. Denn einerseits war Grönemeyers Frage war zwar schon vor 30 Jahren aktuell. Andererseits haben sich wesentliche Teile der Frauenrechtsentwicklung erst in ebendiesem Zeitraum der letzten 30 Jahre vollzogen. Was ist also mit dem Männlichkeitsbild geschehen, dass es Manfluencer braucht, um Millionen von jungen Männern zu erklären, ab wann ein Mann ein echter Mann ist? Die einfache Antwort auf diese Frage lautet: Das Männlichkeitsbild hat gelitten. Gelitten hat es vor allem darunter, dass das hegemoniale Männlichkeitsbild, welches im letzten Jahrhundert noch als gängiges Gesellschaftsmodell taugte, mittlerweile überholt ist – und das vordergründig, weil die feministische Revolution die Emanzipation der Frau über die letzten Jahrzehnte immer weiter erfolgreich vorangetrieben hat. Frauen haben heute glücklicherweise die Fähigkeit dazugewonnen, auch ohne einen alleinernährenden Mann an ihrer Seite ein erfolgreiches Leben zu bestreiten – sowohl finanziell als auch familiär. Lange standen Männer in Führungspositionen dieser feministischen Entwicklung im Weg. Nun, da vielerorts kein Mann mehr das Sagen über das Leben einer Frau hat, ist der Weg für die selbstbestimmte Frau frei. Und die Männer? Während die Frauen die Freiheiten dazugewonnen haben, die die Männer bereits lange vor ihnen hatten, verloren die Männer dadurch die für sie wesentliche Macht, Frauen von sich abhängig zu machen.
Ist der einen Freud´ des anderen Leid?
Nun möchte man berechtigterweise einwenden, dass diese feministische Entwicklung doch eine einseitig positive Entwicklung darstellt, die um keinen Preis der Welt hätte verhindert werden sollen – und das ist wahr. Zur Wahrheit gehört aber ebenso, dass das hegemoniale Männlichkeitsbild von gestern praktisch vom einen auf den anderen Moment, quasi per Gesetzesänderung, umgewälzt wurde, ohne dass hierfür ein adäquater Ersatz bereitgestellt worden wäre. Es ist einfach, der Frau von gestern zu sagen, dass sie heute frei und unabhängig ist. Eine Rechtfertigung ist hierfür nicht notwendig. Dem Mann von gestern hingegen zu erklären, dass es zwischen ihm und einer Frau heute vor allem keine rechtlichen Unterschiede mehr gäbe, stößt diesem jedoch auf. Soziolog:innen sprechen im Falle eines solchen Aufstoßens von der Bedrohung der männlichen sozialen Identität.
Der Feminismus als Bedrohung für die männliche soziale Identität
In immer mehr gesellschaftlichen Teilbereichen ziehen Mädchen und Frauen mit Jungen und Männern gleich und übertreffen sie sogar: So erreichen Mädchen und junge Frauen seit Jahren häufiger einen höheren schulischen Bildungsabschluss, und sie haben Jungen und junge Männer auch bezüglich der Noten überholt. Foto: Pixabay
Aus soziologischer Perspektive können Mitglieder einer sozialen Gruppe, in diesem Fall also die Gruppe der Männer, sich bedroht fühlen. Subjektive Bedrohungsgefühle setzen bei den Mitgliedern bestimmter Gruppen beispielsweise dann ein, wenn der sozioökonomische Status dieser Gruppe durch den Status einer anderen Gruppe gefährdet wird. Sobald der soziale Status, beziehungsweise die soziale Anerkennung einer Gruppe als bedroht wahrgenommen wird, versuchen die Mitglieder dieser sozialen Gruppe den Grad der sozialen Anerkennung ihrer Gruppe wieder aufzuwerten . Das geschieht bei der sozialen Geschlechtergruppen vordergründig dadurch, dass Mitglieder der bedrohten Gruppe versuchen, den Status der bedrohenden Gruppe oder auch den Status anderer Geschlechtergruppen abzuwerten. Und ebendieser Effekt ist bei dem durch Manfluencern vermittelten toxischen Bild von Männlichkeit der Fall: Männer, die ihren Status unter dem sozialen Aufstieg der Frauen als bedroht wahrnehmen, tendieren eher dazu, Frauen und auch Mitglieder queerer Gruppierungen in deren sozialen Status als minderwertig zu betrachten. Vor allem durch die Abwertung von Frauen wollen Männer, die unter jenen sozialen Bedrohungsgefühlen leiden, den Status ihrer sozialen Gruppe, also den Stauts der Männer, aufwerten. Um toxische Männlichkeit in ein positiveres Männlichkeitsbild zu transformieren, muss also dafür gesorgt werden, dass die sozialen Bedrohungsgefühle jener Männer beseitigt werden. Doch wie ist das möglich?
Die Gründe für die Bedrohungsgefühle – und mögliche Lösungsansätze
Wenn es das Ziel sein soll, die Ängste jener Männer zu beseitigen, die sich von dem sozialen Aufstieg der Frauen bedroht fühlen, dann muss dieses Ziel als eine gesamtgesellschaftliche und auch als eine politische Aufgabe ausgerufen werden. Denn vorrangig hat der soziale Aufstieg der Frauen für die Männer konkret zwei vordergründige Folgen: Einerseits erfahren Männer auf dem Arbeitsmarkt mehr Konkurrenz – und das nun gerade mit den Frauen. Typische “Männerberufe” erfahren durch Automatisierungvorgänge in technischen Wirtschaftszweigen zunehmend Stellenstreichungen, während Stellen in typischen “Frauenberufen”, wie beispielsweise in der Care-Arbeit, mehr gebraucht werden als je zuvor.
Und andererseits müssen besonders Männer auf der Partnersuche heute anders punkten als nur mit Geld und materiellem Wohlstand. Letzterer Punkt mag insbesondere für junge Männer bedeutsam sein. Wenn Manfluencer wie Tate und Co. deshalb materiellen Wohlstand und Karriereerfolg als Eigenschaften eines echten Mannes ausschreiben und gleichzeitig eine ablehnende und degradierende Haltung gegenüber Frauen propagieren, muss dies als eine Art Trotzreaktion auf die vorherrschende Wertverschiebung innerhalb der Gesellschaft verstanden werden. Wie können wir als Gesellschaft solchen Trotzreaktionen also entgegenwirken?
Erstere Ursache für die männlichen Bedrohungsgefühle sind zweifellos Angelegenheit der Politik. Berufe, in denen typischerweise Männer tätig sind, müssen stärker gefördert werden. Doch eine Lösung für zweitere Ursache zu finden, gestaltet sich weitaus komplexer. Feministische Strömungen in Deutschland beschäftigen sich seit Jahrzehnten damit, die Sexualisierung der Frau zu entmachten, um den Wert der Frau unabhängig von ihrem Geschlecht zu definieren. Das Ziel dieser Bewegung ist es, eine weibliche soziale Identität zu erschaffen, welche gleichsam als wertvoll und als für alle Frauen erstrebenswert angesehen werden kann. Eine vergleichbare Bewegung auf männlicher Seite gibt es hingegen nicht. Es sollte deshalb ein gesamtgesellschaftliches Ziel sein, den Mann aus seiner hegemonialen Position innerhalb des bröckelnden Patriarchats zu entheben, um ihn in eine Position zu geleiten, die durch gesunde Rollenerwartungen definiert ist. Nur so kann eine männliche soziale Identität geschaffen werden, die von Männern selbst als erstrebenswert und als der weiblichen Identität im positiven Sinne gleichwertig angesehen werden kann.
Fazit
Die Gesellschaft braucht zweifellos eine feministische Revolution. Die Gesellschaft samt ihren Denkweisen zu revolutionieren, bedeutet wortwörtlich, die Gesellschaft umzuwälzen. In einigen Ländern dieser Welt, wie auch hierzulande, befinden wir uns als Gesellschaft auf einem guten Weg hin zu dieser Umwälzung. Umwälzungen sind aber nie einseitig zu vollziehen. Ebenso wichtig wie eine gelungene Verschiebung der Macht- und Denkstrukturen, ist die Integration oder die Umformung dessen, was durch die Walze der Revolution überrollt wurde. Bezogen auf das sich weiterhin verstärkende Phänomen toxischer Männlichkeit muss deshalb darauf geachtet werden, der hegemonialen männlichen Identität, deren Umsturz die antipatriarchale feministische Revolution zum Ziel hat, einen adäquaten Ersatz anbieten zu können. Dass der Mann von Morgen ein liebender und liebenswerter Mann ist, liegt nicht allein in der Verantwortung des Mannes. Parallel zur Gleichberechtigung aller Geschlechter ist es die Aufgabe der gesamten Gesellschaft, den Mann sanft von dem Thorn des Patriarchats zu holen und ihn in eine klar definierte Rolle als gleichberechtigtes Mitglied unserer Gesellschaft zu geleiten.
Quellen:
Tajfel, H., & Turner, J. C. (2004). The social identity theory of intergroup behavior. In Political psychology (pp. 276-293). Psychology Press.
https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/andrew-tate-influencer-tiktok-portraet-100.html
https://www.psychologie.uzh.ch/de/bereiche/hea/klipsypt/andromind/M%C3%A4nnliche-Depression/Zahlen-und-Anlaufstellen.html#:~:text=1%20Weltweit%20leiden%20%C3%BCber%20100%20Millionen%20M%C3%A4nner%20an,so%20hoch%20wie%20bei%20Frauen.%20…%20Weitere%20Elemente
https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/izpb/geschlechterdemokratie-342/307426/gender-datenreport/