Mädchen?
von Sebastian Luther
Ein Mann befiehlt seiner Freundin, auf allen Vieren durch die Wohnung zu kriechen. Er wirft sie auf das Bett, penetriert sie von hinten und ejakuliert auf ihre Brust. Er gipfelt in Lust, sie in Scham. Willkommen in der Wirklichkeit.
Welcome to the cruel world
Der Mann heißt Adam, er ist Künstler durch und durch. Schauspieler, Autor, Holz-Bildhauer. Damit hat er es in New York nicht leicht, die Konkurrenz ist hart, das Angebot rar und die Mieten hoch. Doch er schafft es trotz allem sich seine quirlige, exzentrische Art zu bewahren. Ein unverwechselbarer Charakter, der auch noch bis an die Zähne mit sarkastischen und brutal ehrlichen Kommentaren bewaffnet ist, die allesamt regelmäßig zum Einsatz kommen. Ein streitbarer Charakter, dessen Wirkung aus der fiktionalen Realität heraus, in der er geschaffen wurde, tief in unsere Realität strahlt. Und schließlich ein scheußlicher Charakter. Nicht im guten Sinne, dass man sich an der außerordentlichen Leistung des Schauspielers aufreibt und reale Gefühle auf eine fiktive Person projiziert, sondern scheußlich auf die scheußliche Art, auf die die Botschaft des Charakters jeden Kontext überlagert und dann verschlingt, dann versickert und dann, am Ende, vernichtend verkündet: “So sollst du sein!” Aber das ist glücklicherweise nicht allein Lena Dunhams Werk.
Stairway to Fame
Ihr Werk allein ist ein Anderes. Ihr Werk ist die Serie “Girls”, die sie zusammen mit Judd Apatow (Superbad, Get Him to the Greek) produziert hat und auch die weibliche Hauptrolle Hannah Horvath spielt. Hannah versucht sich in New York als Autorin zu etablieren, bekommt allerdings in der Pilotfolge die Hiobsbotschaft von ihren Eltern, dass sie sie nicht länger finanziell unterstützen werden, verliert dann ihre einzige, halbwegs aussichtsreiche, aber dennoch unbezahlte, Anstellung und schlingert so durch die Sphären des Big Apple Kosmos. Hannah hat außerdem eine Affäre mit besagtem Adam, die gar nicht gut läuft. Zur Seite stehen ihr die drei restlichen Girls, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Jessa, die aufgedrehte Britin, die kaum eine Feier oder einen Typen auslässt und zum ersten Mal seit Jahren wieder in NYC ist. Weil sie dort keine Wohnung hat, zieht sie bei ihrer Cousine und Freundin Shoshanna ein, dem naiven, jungfräulichen Mauerblümchen, das das Herz am rechten Fleck trägt. Und dann ist da noch Marnie, Hannahs taffe Mitbewohnerin, die einen Job in einer Galerie und einen sehr fürsorglichen Freund hat, beide aber nicht besonders gut leiden kann. So soll sich die Serie insgesamt als realistisches Pendant zu Sex and the City und Gossip Girl positionieren, da beide materielle Sorgen durch ihr Setting ausblenden. Pay-TV Platzhirsch HBO hat Dunham damit gewissermaßen ein goldenes Treppchen in den Himmel des Erfolgs gebaut, ein Raketenstart, kein Fuß in der Tür, sondern eine abgerissene Wand.
Normative Normalität
Wofür die Serie von Kritikern, Fans und der eigenen Crew gleichermaßen gefeiert wird, ist eben der Realismus. “I think it’s interesting for guys to get an insight into realistic females”, erklärt Dunham in einem Interview. Besonders wird dabei immer wieder Sex in den Vordergrund gerückt, der für Fernsehverhältnisse völlig atypisch abläuft und die dreckige Seite zeigen soll, die nur einem Partner Spaß macht (siehe oben). Das Problem ist dabei nicht, dass Adam mit seiner neuen Freundin Natalia etwas tut, das unrealistisch oder konstruiert wäre. Er bestraft sie in dieser Szene für die Demütigung, der sie ihn ausgesetzt hat, indem sie ihn als den kriselnden Künstler auf eine Party voller erfolgreicher Leute mitgenommen hat, was ihn entsprechend schlecht dastehen ließ. Obendrein trifft er vorher Hannah, was ihn zusätzlich deprimiert und wieder zur Flasche greifen lässt. Auch das ist, wenngleich in sich sehr problematisch, nicht das grundlegende Problem. Das grundlegende Problem ist, dass Adams Verhalten auf dem gleichen Zug mitfährt, der von den Realismushymnen von faz.net, sueddeutsche.de und, oh Wunder, SPON zu Ehren der Sendung angeschoben wird. Diese völlig unkritische Haltung, hier im Beitrag von DRadio Kultur, kolportiert Normalität, sein Verhalten wird entschuldbar. Denn der Adam, der so geschaffen wird, ist ja nur “leicht autistisch”, “wenig gesellschaftsfähig” und trotzdem “ein guter Liebhaber”. Er ist eben so, er ist der Exzentriker, wie es im Klappentext der ersten Staffel heißt. Er ist der Charakter, mit dem man sich dann froh identifizieren kann. Und wenn man sich bei ihm keine Sorgen machen muss, dann bei einem selbst auch nicht. Denn aller Wahrscheinlichkeit nach, kriegt er Hannah am Ende ja doch zurück. Ach ja, und wenn schon. Er war ja auch noch betrunken. Das macht es doch OK, oder?
Foto: flickr/charliedees (CC BY 2.0)