Suhrkamp-Verlag versinkt im Rechtsstreit
von Sabine Appel
Ein Drama ohne Showdown
Im Streit um den Suhrkamp-Verlag ist kein Ende in Sicht – außer das Ende des traditionsreichen Unternehmens. Seit Jahren sind Geschäftsführung und Gesellschafter zerstritten, 2012 spitzte sich der Konflikt zu. Der Minderheitsgesellschafter Hans Barlach verklagt die Geschäftsführung auf Ausschluss – sie tut es ihm mit einer Gegenklage gleich.
Der Verlag, einst Zentrum des deutschen Geisteslebens, steht durch den ewigen Streit kurz vor dem Ruin. Der Medienunternehmer Barlach kündigt an, das Traditionshaus übernehmen und verändern zu wollen. Für Kritiker und Autoren wäre dieses Szenario fast noch schlimmer als ein abruptes Ende des Verlags. Am 13. Februar sollte vor Gericht die Entscheidung über Suhrkamps Zukunft getroffen werden, doch erneut schoben die Richter das Urteil auf.
Ein Traditionsverlag im Konflikt
„Das wichtigste Forum des deutschen Geisteslebens“, so bezeichnet die FAZ den Suhrkamp Verlag. Er besitzt nicht nur die Rechte an Texten von Brecht und Hesse, auch namhafte Wissenschaftler wie Jacques Derrida, Claude Lévi-Strauss, Jürgen Habermas und Niklas Luhmann haben Suhrkamp die Veröffentlichung ihres Gedankenguts anvertraut.
Doch der Suhrkamp Verlag ist nicht nur ein Haus mit Geistes- und Erfolgstradition. Eine Tradition findet sich auch im wiederkehrenden Muster von zahlreichen inneren Konflikten. Momentan kommen die Konflikte zu einem Höhepunkt. Der Mitgesellschafter Hans Barlach, dessen Medienholding AG Winterthur momentan mit 39% am Suhrkamp Verlag beteiligt ist, klagt gegen die Unseld-Familienstiftung, die mit 61% den Hauptanteil besitzt.
Die Vorsitzende, Ulla-Unseld Berkewicz, hat ohne Wissen des Mitgesellschafters mit Firmengeldern Räumlichkeiten in ihrer privaten Villa für Lesungen angemietet. „Wir sehen in dem Vorgang eine Untreue“, erklärte Barlach im Dezember die Sicht der Mitgesellschafter gegenüber der FAZ. Er forderte daraufhin die Abberufung der Geschäftsführung und bekam vor dem Berliner Landgericht recht. Unseld-Berkewicz ging jedoch in Berufung und ist somit nach wie vor im Amt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Die Witwe des ehemaligen Geschäftsführers Siegfried Unseld ist der Meinung, dass Barlach sie von Anfang an gezielt diskreditieren und aus dem Verlag drängen wollte, um ihn selbst mit seiner Medienholding AG aufzukaufen und zu leiten. Dafür hat der Medienunternehmer schon konkrete Pläne im Sinn, wie er im Dezember beim Focus anklingen ließ.
Inzwischen haben beide Parteien auf gegenseitigen Ausschluss geklagt. Hans Barlach verlangt eine neue Geschäftsführung – falls Ulla Unseld-Berkewicz nicht zurücktritt, fordert er die Auflösung des Zusammenschlusses der Teilhaber Barlach und der Familienstiftung. Beide würden in diesem Fall ihre Anteile am Verlag verlieren und Suhrkamp stünde frei zum Verkauf. Barlach könnte dann nach eigenen Angaben die Hauptanteile aufkaufen. „Mir würde schon viel einfallen, was man in so einem Verlag anders machen könnte“, tönt er bereits im Dezember gegenüber der FAZ und bestätigt dabei für viele die Befürchtung, dass eine Übernahme seinerseits die alte Suhrkamp-Kultur zerstören könnte.
Über 70 Schriftsteller schlagen sich daher mittels einer Petition auf die Seite der Geschäftsführerin: Einige Suhrkamp-Autoren, unter ihnen Uwe Tellkamp, drohen gar mit einem Verlagswechsel, sollte Barlach die Geschäftsführung übernehmen. Auch die Wissenschaftsautoren von Suhrkamp fordern eine gütliche Lösung.
Verhinderter Showdown in Frankfurt
Die Entscheidung darüber, ob einer der beiden Gesellschafter, Barlach oder die Familienstiftung, ausgeschlossen wird, sollte eigentlich am 13. Februar fallen, doch sie wurde erneut vertagt. Das Frankfurter Landgericht berief sich auf die außergerichtlichen Vermittlungsbemühungen, nach denen Hans Barlach schon ein Abfindungsvorschlag von der Familienstiftung vorgelegt wurde. Dieser zeigte sich bisher jedoch nicht kompromissbereit und scheint damit seine Übernahmestrategie weiterzuverfolgen. Keiner der beiden Parteien erschien vor Gericht.
Sollte Suhrkamp nun tatsächlich vor dem Ende stehen, verlieren angesehene Autoren und Wissenschaftler ein renommiertes Verlagshaus für die Publikation ihres Gedankenguts. In ihrem Aufruf sprechen die Wissenschaftsautoren, unter ihnen Jürgen Habermas, vom drohenden Verlust eines „einzigartigen Gebildes“. Suhrkamp sei ein Verlag, der trotz des Nationalsozialismus die Tradition deutscher Geistes- und Sozialwissenschaften aufrecht erhalten und darüber hinaus auch fremdsprachige Theorien und Ansätze gefördert habe. Ein solches Traditionshaus könne nicht ausschließlich der „Logik der Gewinnmaximierung“ folgen. Letzteres ist vermutlich als Seitenhieb auf Hans Barlach zu werten, der den Verlag in Zukunft mit seiner Medienholding leiten will.
Doch wie gefährdet ist Suhrkamp wirklich? Man kann nur Vermutungen anstellen. Würde ein Gericht dem Minderheitsgesellschafter Barlach recht geben, wenn eine Auflösung der Gesellschaft kein Weiterbestehen, sondern unter Umständen gar die Liquidierung des Traditionsunternehmens bedeutet? Die größte finanzielle Basis bilden die Urheberrechte, die der Verlag besitzt und durch die er über die Backlist über die Hälfte des Gesamtumsatzes einnimmt. Es ist zu bezweifeln, dass die Gesellschafter sich die Urheberrechte auf diese Weise ausbezahlen lassen könnten, da in Härtefällen ein Rückzug der Rechte seitens der Autoren möglich ist. Diese passen nicht nur auf ihre Werke auf, sondern stehen auch hinter der Geschäftsführung.
Trotz der breit gefächerten Berichterstattung dreht sich der Konflikt um sich selbst, solange keine alternative Lösung zur Diskussion gestellt wird. Letztendlich bleibt abzuwarten, ob es wirklich so kompliziert ist, wie es klingt. Die Auflösung folgt entweder außergerichtlich im massenmedialen Spektakel oder beim nächsten Gerichtstermin am 25. September – hoffentlich, denn ein derart abwechslungsloses Drama würde im verlegten Buch keiner aushalten.
Fotos: Thomas Pusch[CC-BY-SA-3.0], via Wikimedia Commons; Shannon [GFDL oder CC-BY-SA-3.0], via Wikimedia Commons
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