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Studierende und das Online-Studium: Isolation und Ansätze zur Bewältigung aus psychologischer Sicht

Von Ella Sabadinowitsch

Die Corona-Krise hat, insbesondere durch die notwendigen Einschränkungen des sozialen Lebens, massive Auswirkungen auf jede*n Einzelne*n von uns. Psycholog*innen betonen immer wieder die Wichtigkeit sozialer Kontakte und bestimmter Freizeitaktivitäten für die seelische Gesundheit der Menschen, welche durch die Corona-Krise nun stark eingeschränkt wurden. Auch das Studierendenleben hat sich aufgrund der Einschränkungen der letzten Monate stark verändert. Anstatt nach Vorlesungen oder Seminaren sich mit den Mitstudierenden zu treffen, sich auszutauschen, in der Uni zusammen zu lernen oder zum Ausgleich ab und an Bars und Clubs zu besuchen, heißt es immer noch, alleine zuhause zu bleiben und so wenige Menschen wie möglich zu sehen, um Ansteckungen zu vermeiden. Dass dies (aus psychologischer Sicht) auch negative Folgen haben kann, liegt auf der Hand.

Es fehlt einfach, unter Menschen zu sein. So auch in der Studierendenstadt Tübingen: Sei es ein entspannter Abend im Tübinger Bota oder ein Barbesuch mit Freund*innen in der Studentenbar „Kuckuck““ – Die Tübinger Innenstadt lebt von den Studierenden, die gemeinsam miteinander durch die Straßen ziehen und in verschiedenen Bars und Clubs ihre Prüfungen und Abgaben feiern oder einfach vom Uni-Alltag abschalten wollen. All das konnte in den letzten Monaten nicht stattfinden. Das Fehlen sozialer Kontakte beeinflusst unser Leben und unser Wohlbefinden. Aber wie genau?

Wieso sind soziale Kontakte eigentlich so wichtig und was macht die Vereinsamung mit uns?                                                                     

Im Forschungsfeld der Psychologie gibt es zahlreiche Untersuchungen, die sich mit der Bedeutung sozialer Kontakte und ihren Auswirkungen auf die seelische und körperliche Gesundheit, sowie auf unsere Lebensqualität auseinandersetzten. Es heißt, dass wir durch soziales Miteinander körperliche Vorteile verzeichnen. Unser Leben wird durch Menschen um uns herum bereichert. Eine Studie der Universität North Carolina kam zu dem Ergebnis, dass gesellige Menschen weniger an Entzündungen, Bluthochdruck, Übergewicht etc. leiden. Also kurz gesagt: Mit den Freund*innen in der WG kochen, mit den Kommiliton*innen mal etwas trinken gehen oder auch einfach ein Filmabend in einer kleinen Runde ist, gemäß dieser Studienergebnisse, wohl genauso wichtig für unser Wohlsein wie Sport und gesunde Ernährung. Um diesem Sachverhalt auf den Grund zu gehen, habe ich ein Gespräch mit dem Diplompsychologen Henning Weber gesucht.

Gemeinsam Lernen – ein wichtiger Aspekt. Bildquelle: Andrea Piacquadio/Pexels.

Aus Henning Webers Sicht ist die aktuelle Situation durch eine gewisse Monotonie geprägt: „Auf vielen Ebenen wird das Leben monoton und einseitig. Junge Menschen sind offener gegenüber sozialen Kontakten und der soziale Austausch ist von großer Bedeutung.“ Weber betont dabei, dass das regelmäßige Zusammenkommen der jungen Menschen oftmals weniger fest geplant sei, sondern viel mehr auf Spontanität beruhe. Er beschreibt die Gestaltung des Lebens junger Menschen durch physisches Miteinandersein als wichtigen Bestandteil. Dieses Miteinander muss jetzt durch Gruppenkonferenzen ersetzt werden. „Bei jungen Menschen entsteht dadurch eine große Lücke“, so Weber. Als besonders wichtig für das Studium sieht er auch das gemeinsame Lernen: „Gemeinsame Formen des Lernens und die soziale Interaktion tragen dazu bei, mehr Motivation zu entwickeln. Ich erinnere mich selbst an meine Studienzeit und die Vorbereitung auf mein Examen. Ich habe mich mehr als ein halbes Jahr darauf vorbereiten müssen. Dabei war essentiell, in Gruppen zu lernen und gemeinsam Inhalte zu besprechen. Das gemeinsame Lernen hat eine stimulierende und motivierende Komponente“.

Einen Aspekt, den Weber als Hürde in der Krise sieht, sind die kleinen Wohnräume Studierender: „Junge Menschen müssen sich ganz anderen Herausforderungen stellen in dieser Phase. Im Gegensatz zu berufstätigen Erwachsenen haben die meisten nicht die Möglichkeit, viel Raum in ihrem eigenen Heim zu besitzen. Viele Studierende leben in WGs oder gerade auch wieder zu Hause. Der Platzmangel kann ein beengendes Gefühl hervorrufen.“

Welche gesundheitlichen Folgen kann der Mangel an sozialem Austausch aber nun haben? „Durch das Fehlen der sozialen Interaktionen und einer daraus resultierenden Vereinsamung entsteht eine Art von Stress. Dieser Stress folgt den individuelle Stressmustern, die der Mensch hat. Manche Menschen reagieren darauf mit Fressattacken, andere essen nichts mehr. Weitere Stressmuster gehen von psychischen Symptomatiken über psychosomatische Beschwerden bis hin zu körperlichen Beschwerden und somatischen Manifestationen.“ Der Mensch brauche das reale Gegenüber, um sich selbst zu entfalten und daran zu reifen. Die realen Begegnungen seien vor allem im jungen Erwachsenenalter ein essenzieller Teil des lusterfüllten Lebens und können nicht durch digitale, künstliche Situationen ersetzt werden.

„Ich mache mir Sorgen hinsichtlich unserer Zukunft. Langsam habe ich das Gefühl, ein Stück weit zu vereinsamen.“                                                     

Viele Gespräche junger Menschen drehen sich derzeit um Covid-19, denn nahezu alle Lebensbereiche sind davon betroffen. Eine gute Freundin (im Folgenden S. genannt) hat mir ihre Wahrnehmung der aktuellen Situation geschildert.

„Etwas, was krass fehlt, ist die Spontanität, die man sich ja irgendwie in der Freizeit wünscht. Das Leben besteht gefühlt nur noch aus Vorplanen und Regeln beachten. Man kann nicht mehr wirklich spontan handeln.“
Auch in der Uni machen sich die sozialen Einschränkungen für sie bemerkbar: „Mir fehlen die Leute aus der Uni. Zur Uni gehen, in den Vorlesungen sitzen und mit den Leuten in deinem engeren Umfeld zu quatschen, hat immer zu einem spannenderen und erträglicheren Uni- Alltag beigetragen“. Die Kommunikation mit ihren Kommiliton*innen stellt für sie einen großen Teil ihrer Freizeit dar. „Bekannte treffen und neue Leute kennenlernen, war immer eine schöne Abwechslung.“ Das Gefühl, nichts mehr mit anderen Menschen unternehmen zu können, macht S. zu schaffen. S. betont, dass es sie sehr belastet, sich nicht komplett frei fühlen zu können: „Man merkt jetzt halt, wie wichtig es ist, soziale Interaktionen im persönlichen Austausch zu erleben.“ Sie unterstreicht, dass sie sich verantwortungsbewusst verhalten will und enormen Respekt vor den Risiken und Folgen hat. „Ich mache mir Sorgen hinsichtlich unserer Zukunft. Langsam habe ich das Gefühl, ein Stück weit zu vereinsamen. Je näher die Wintermonate kommen, desto mehr Bedenken habe ich. Wie wird es uns allen gehen, wenn wir in den dunklen Wintermonaten noch weniger Möglichkeiten der Ablenkung haben?“ Das Wintersemester und damit das zweite digitale Semester hat begonnen und wir werden auch weiterhin auf vorerst unbestimmte Zeit von zuhause aus studieren. Bis zuletzt gab es noch diesen kleinen Funken Hoffnung auf die Rückkehr von etwas mehr Normalität, der jedoch durch den erneuten Teillockdown (Stand November 2020) zunichte gemacht wurde.

Lockdown Light – Wie geht es jetzt weiter?

Kann helfen, zu entspannen: ein guter Film und eine Tasse Tee. Bildquelle: John-Mark Smith/Pexels.

Was können wir alle jetzt aber tun, um mit der aktuellen Situation besser umgehen zu können? Es sollte uns allen bewusst sein, dass die nächsten Wintermonate keine einfache Zeit werden. Zuhause studieren, kaum raus zu können und sich, bedingt durch die Jahreszeit und die Dunkelheit, emotional etwas gedrückt zu fühlen, macht vielen Sorgen. Diplompsychologe Henning Weber äußert sich dazu so: „Erst einmal ist es wichtig, zu sagen, dass jeder Mensch den Lockdown unterschiedlich erlebt. Für manche ist es erleichternd, für manche ist es eine Horrorvorstellung.“ Es gebe kein allgemeingültiges Rezept, das für alle gleich wirkt. Jedoch gibt Weber ein paar Hilfestellungen, die jede*r für sich selbst ausprobieren kann: „Stressbewältigung ist in so einer Phase enorm wichtig. Wenn man den Stress durch die physische Interaktion mit Mitmenschen nicht abbauen kann, braucht es andere Methoden, wie Sport oder einen kurzen Winterspaziergang.“ Diese Punkte sollen konsequent in den Tagesablauf integriert werden. Weber betont, dass Bewegung im Freien enorm dazu beiträgt, vom Stress des Online-Studiums abgelenkt zu werden. Auch, wenn das vielleicht nicht bei jedem Wetter möglich ist, solle man versuchen, so oft wie möglich an die frische Luft zu gehen. Und was hilft an regnerischen Tagen, an denen man wirklich nicht nach draußen will? Hier hat Weber folgenden Tipp: „Licht ist auch sehr wichtig. Zum einen für den Geist und zum anderen für den Stoffwechsel. Lasst Licht in eure Zimmer oder eure Wohnung, auch an regnerischen und kalten Tagen.“ Weber erklärt, dass diese Methode auch oft als Depressionstherapie genutzt wird. Auch hilft es, Belohnungssysteme aufzubauen: „Zocken, Musik hören oder auch aktive Entspannung als Belohnung sind eine gute Möglichkeit, den Tag abwechslungsreicher zu gestalten“. Als wichtigen Punkt für soziale Interaktion in Zeiten eines Lockdowns zur Erheiterung unserer Stimmung sind Gruppenkonferenzen außerhalb der Uni. Weber spricht aus eigener Erfahrung: „Ich habe selbst erst vor ein paar Tagen mit meinen Kollegen per Videochat ein Feierabend Bier getrunken“.                        

Die Gestaltung unseres neuen Alltags wird in diesem Winter(-semester) auch wieder für uns alle eine große Herausforderung sein und bestimmt werden wir hin und wieder Momente erleben, in denen wir uns einsam, gestresst oder genervt fühlen werden. Aber, wie dieser Artikel zeigen sollte, wir können aktiv etwas dagegen tun: Dinge, wie virtuelle Verabredungen mit Freund*innen über digitale Plattformen, ein Spaziergang im Freien oder eine gemütlicher Filmeabend mit leckeren Snacks können die nächste Zeit zumindest ein bisschen erträglicher machen.

Quellen:

  • https://arbeitskreis-krankenversicherungen.de/soziale-kontakte-so-wichtig-wie-sport-und-gesunde-ernaehrung-23262/.