Senioren und Smartphones
Der Aufstieg der „Digital Immigrants“
Von Carolin Aichholz
Für die Jungen heutzutage selbstverständlich, für viele Ältere ein Buch mit sieben Siegeln: Das Smartphone. Wie und wozu die größte Bevölkerungsgruppe Deutschlands mit den modernen Geräten umgeht – und was sie damit für Probleme haben. Ein Einblick.
Noch nie in Berührung mit einem Smartphone gekommen zu sein und sich erst in einer späteren Phase des Lebens damit zu beschäftigen – für quasi alle aus der digitalen Generation unvorstellbar. Wir sind die „Digital Natives“, wuchsen früher proportional mit unseren Smartphones und können uns heute Lösungen für Probleme aus (fast) allen Lebenslagen „ergoogeln“, noch bevor wir sie überhaupt haben.
Richtig bewusst wurde mir das aber erst, als ich versuchte meiner Oma ihr neues Senioren- Smartphone zu erklären und ich nicht wusste, wo und wie ich anfangen sollte. Wie erklärt man, wie eine App funktioniert, wenn man es selbst gar nicht so wirklich weiß? Ich weiß, wie ich damit umgehen muss und das hat mir immer gereicht. Für einen Neueinsteiger macht es aber genau das so verwirrend und unübersichtlich. Ich habe mich gefragt, wie andere Senior*innen mit den „modernen Medien“ umgehen und einige von ihnen (coronakonform per Telefon oder Skype) dazu befragt.
Die Notwendigkeit und der Nutzen eines Handys wird den meisten Menschen im Laufe ihres Lebens einige Male bewusst. Vor allem natürlich dann, wenn man noch keins hat. So war es bei Heinrich B., der beim Fahrradfahren in ein Unwetter geriet und keine Möglichkeit hatte, seine Frau zu erreichen. „Sie sah den Regen und fuhr dann einfach los, um mich zu suchen, wusste aber natürlich nicht genau, wo ich war. Da wurde mir klar, dass ich in Notfällen dazu in der Lage sein muss, mir Hilfe zu holen.“ Und vom Handy zum Smartphone ist der Weg auch nicht mehr weit, immer, wenn man doch noch einige Funktionen mehr haben möchte, die über das reine „Erreichbar sein“ hinausgehen, gehen viele noch den einen Schritt weiter. Und der führt, je nach gewünschter Funktion, zum Smartphone oder zum Tablet.
Aller Anfang ist schwer
Doch schon das Kaufen eines solchen mobilen Geräts wird für viele zu einer Art Belastungsprobe. „Die jungen Verkäufer im Laden wollten mir nur ein teures Gerät aufschwatzen und konnten mir nicht erklären, worauf ich achten musste. Und ich selbst wusste es natürlich auch nicht.“ sagte Godefrida R. Die heute 71-Jährige erfuhr auf die harte Tour, was beim nächsten Smartphone besser sein sollte. „Mein erstes Billig-Teil hatte einfach viel zu wenig Speicherplatz.“ Beim nächsten Kauf war sie nicht mehr hilflos, suchte sich aber doch fachmännische Hilfe, um ihre Daten vom alten auf das neue Handy zu übertragen.
Beim Einrichten eines neuen Geräts kommen nur wenige alleine zurecht, vor allem nicht, wenn es das erste seiner Art ist. Isolde M. fuhr damals zu ihrem Neffen. „Er hat mir am Anfang einen Crashkurs gegeben, danach habe ich mich einfach weiter durchgefragt und bin so langsam warmgelaufen“, schmunzelt die 66-Jährige. „Das hat sich dann immer weiterentwickelt, inzwischen google ich, wenn ich etwas wissen möchte oder frage eben meine Enkel. Aber ich werde auf jeden Fall selbst auch immer innovativer.“ Andere haben Hilfe direkt im Haus: „Mein Schwiegersohn und meine Enkelinnen stehen mir da immer mit Rat und Tat zur Seite, das ist natürlich eine große Hilfe“, schwärmt die 75-Jährige Fanny H.
Und mit der fortlaufenden Nutzung kommt auch die Erfahrung, so Waltraud F. Die 69-Jährige gibt selbst noch einige EDV-Kurse und sieht auch bei ihren Schüler*innen Fortschritte. „Viele haben Angst, etwas kaputt zu machen, deswegen ist es gut, gerade am Anfang jemanden neben sich zu haben, der sagt, wie es geht. Und wenn man sicherer wird, traut man sich selbst auch, mehr auszuprobieren.“
Ein Helfer in vielen Lebenslagen
Denn genutzt werden die Smartphones unter Senior*innen genauso unterschiedlich wie von jeder anderen Generation. Von sehr beliebten Alltagshelfern, wie der Bahn-App, die Verbindungen und Verspätungen anzeigt, Terminplanern und Apps für Einkaufslisten, Navigationsprogrammen und Schrittzählern, sind die meisten, sofern sie es wollen, schnell überzeugt.
Aber es werden auch, je nach Interesse, ganz unterschiedliche Funktionen genutzt. Isolde M. kann hier ihr Interesse für Literatur verfolgen, Kurse und Schreibübungen absolvieren und schrieb sogar eine Zeit lang Texte auf einem eigenen Blog. Godefrida R. dagegen findet bei Pinterest viele Bastelideen. Und Heinrich B. spielt leidenschaftliche gerne Gitarre und Akkordeon und nutzt ein Programm, das ihn beim Musizieren „begleitet“ und Lieder mit anderen Instrumenten abspielt. Und auch anderen Musikbegeisterten hilft der 8-Jährige so über den Lockdown. „Ich sende von mir auf dem Akkordeon gespielte Lieder im MP3-Format an meine Mundharmonika- Gruppe und animiere sie dazu, die Melodie zu begleiten. Jede Woche schicke ich neue Lieder.“
Der Fluch…
Doch nicht alles, was möglich ist, stößt auch auf ungeteilte Begeisterung. Das zeigt sich gerade beim Thema Online-Shopping. Sich im Internet über Produkte zu informieren, ist gängige Praxis, jedoch: „Ich möchte die Produkte sehen, bevor ich sie kaufe. Und das Hin- und Herschicken ist mir auch zu kompliziert“, so Godefrida R. Ein anderes, häufig genanntes Argument: „Ich möchte den lokalen Einzelhandel unterstützen.“ Doch auch da gibt es Ausnahmen. „Dinge, die ich hier nicht bekomme und meine Klamotten aus Biowaren bestelle ich öfters im Internet“, so Waltraud F.
Und auch den sozialen Medien stehen viele der Befragten skeptisch gegenüber. „Ich weiß nicht, ob ich das nutzen will. Meine Kinder hatten eigene Profile auf diesen Kanälen, doch letztendlich war ihnen ihre Zeit dafür zu schade.“, sagt Isolde I.
Waltrauf F. geht noch einen Schritt weiter. „Was da alles rumgeschickt wird, Bilder, Sprüche und lustige Filmchen… Das sind doch alles Zeitfresser“, wundert sie sich. „Dieses ständige Erreichbar sein, dass man keine vernünftige Unterhaltung mehr führen kann, weil jeder nur noch an seinem Gerät hängt, möchte ich selbst nicht haben.“ Sie besitzt kein Smartphone und sieht in ihnen auch Probleme für kommende Generationen. „So sehr es im Alltag auch hilfreich sein mag, Kinder können teilweise nicht mehr mit ihren Eltern reden, weil diese ständig abgelenkt sind und sich nicht mit ihnen beschäftigen. Das kann zu Sprachstörungen führen und die Kinder fühlen sich allein gelassen.“ Bedenklich findet sie auch, dass diese Geräte viel zu häufig als Beschäftigung für die Kleinen genutzt werden. „Meiner Meinung nach geht auch sehr viel Zwischenmenschliches verloren. Die jungen Leute heutzutage reden viel weniger miteinander und Verabredungen werden immer unverbindlicher.“
…Und der Segen
Doch trotz allem ist das Smartphone für viele Senior*innen eine Brücke zu ihrem Sozialleben. Wie für Fanny H.: „Mit einigen Frauen, die ich schon sehr lange vom Sport kenne, haben wir eine Gruppe und sind so alle miteinander in Kontakt.“ Und auch räumliche Distanzen spielen plötzlich eine kleinere Rolle: „Ein Teil meiner Familie wohnt noch in Österreich, so haben wir vielleicht weniger persönlichen, aber dafür intensiveren Kontakt.“, findet Heinrich B. Und auch Godefrida R. erfährt so viel mehr von ihrer Familie in den Niederlanden. Während des ersten Corona-Lockdowns im Frühjahr war es gerade für die ältere Bevölkerungsgruppe, die geschützt werden sollte, schwierig, Kontakte zu halten und nicht zu vereinsamen. Da sind WhatsApp, Skype und Co. die beste Möglichkeit, unseren Lieben zu zeigen, dass wir trotzdem immer an sie denken und sie nicht im Stich lassen.
Meine eigene, auf WhatsApp inzwischen sehr aktive Oma kann so, zusammen mit meinem Opa, an den Leben ihrer noch sehr kleinen Urenkel teilhaben, zumindest mehr, als es ohne Messenger-Apps im Lockdown möglich wäre. Für mehr nutzt sie das Gerät bislang noch nicht, aber vielleicht kann ich ihr auch mit ihren 81 Jahren noch den einen oder anderen (App-)Alltagshelfer näherbringen.