Wasser – Wald – Gerechtigkeit:

Selbstverteidigung statt Sabotage – über den Protest gegen Tesla in Grünheide (Teil 2)

Von Jessica Dietz

Die Debatte um den Klimaaktivismus in Deutschland wird gegenwärtig wieder dominiert von den Aktionen der Letzten Generation. Ob deren Aktionen mit der demokratischen Grundordnung zu vereinbaren sind, wird aus unterschiedlichen Perspektiven diskutiert. Neben dieser Gruppe gibt es jedoch noch weitere, wie das Bündnis “Disrupt”, die eine bunte Aktionsvielfalt proklamieren und Radikalität nicht im Widerspruch zu legal angemeldeten Demonstrationen sehen.

Ich überlege, welche Aktionsformen ich bisher erlebt habe und frage Mia, die Content Creatorin von Disrupt, wie das Bündnis sich zur Vielfalt an Aktionsformen verhält. „Ende Gelände“, ein Zusammenschluss von Gruppen, die ursprünglich primär gegen den Kohleabbau protestiert haben, hat beispielweise einen klaren, öffentlich zugänglichen Aktionskonsens verabschiedet. Bei Disrupt sei das nicht ganz so klar geregelt, erklärt Mia. Das Bündnis setze auf Vielfalt und ein offenes und eigenverantwortliches Handeln. Bunte Aktionen seien das Ziel, um möglichst viele Menschen zu erreichen und auch für Interessierte anschlussfähig zu sein. Das unterscheide Disrupt auch von vorherigen Bündnissen wie Ende Gelände. Die Hoffnung ist, dass Bündnisarbeit somit auf einer deutlich breiteren Ebene möglich sei, indem ein Label geschaffen wird, unter welchem individuell zu einem Thema gearbeitet werden kann und dabei gleichzeitig durch dieses zusammengehalten wird.

Abschlusskundgebung vor dem Teslawerk

Ich denke an “Soulévements de la Terre”, ein französisches radikal ökologisches Kollektiv, das seit 2021 besteht. Auch bei diesem Kollektiv ist die Verteidigung des Wassers zentral. Bekannt geworden ist es, durch Proteste gegen geplante Mega-Bassins im Süden Frankreichs, bei denen neben Aktivist*innen auch Bauerngewerkschaften, Politiker*innen und Anwohnende gemeinsam gekämpft haben und kämpfen. Erst im Frühjahr 2023 sind Abgesandte durch Deutschland gereist, haben von ihren Kämpfen berichtet und sich um Vernetzung bemüht. Was das Vorgehen des Kollektivs wohl von Kämpfen, die in Deutschland geführt werden, unterscheidet? Im Interview mit “Dissens”, einem Podcast aus linker Perspektive, erzählen Aktivist*innen von “Soulévements de la Terre”, dass Anwohner*innen und Betroffene auf das Kollektiv zukommen müssten, damit dieses vor Ort aktiv wird. Sie bauen dabei auf drei Säulen: Beziehungsarbeit, Aufgaben und Aktionsdurchführung. Sie würden die Menschen lediglich dabei unterstützen, sich zu ermächtigen und das in dem Rahmen, den diese vorgeben. So käme es zu weniger Konflikten und der Protest würde durch die Unterstützung der Anwohner*innen eine breitere Zustimmung finden.

Auch in Grünheide arbeiten Bündnis und Anwohner*innen Hand in Hand und geben der Presse so zumindest keine Möglichkeit, einen Keil zwischen Parteien zu treiben, die eigentlich auf derselben Seite stehen. Das zeigt sich während der Aktionstage wiederholt durch Aussagen der Pressesprecher*innen beider Gruppen, die sich gegenseitig den Rücken stärken. “Disrupt” erscheint also nicht einfach, sondern geht in die Interaktion mit regional Betroffenen. Dazu beigetragen hat sicherlich auch die „Wasserbesetzung“, die sich seit einiger Zeit in dem von Abholzung bedrohten Gebiet mit mehreren Baumhäusern wohnlich eingerichtet hat. Die Besetzung ist gegenwärtig noch eine legal angemeldete Versammlung, doch mit Blick auf weitere Brennpunkte der Klimakrise in Deutschland zeigt sich, dass diese interessensorientiert auch sehr schnell kriminalisiert und geräumt werden kann. Lützerath ist eines der bekanntesten Beispiele. Die Besetzung im rheinischen Braunkohle-Revier wurde Anfang 2023 mit massiver Polizeipräsenz geräumt, und auch die Polizei in Brandenburg hat Einspruch gegen die Genehmigung des Camps „Wasser – Wald – Gerechtigkeit“ eingelegt.

Auch Anwohner*innen befürworten die Radikalität der Protestierenden

Auf dem Weg zurück ins Camp durch das Dorf kommt der Gruppe eine ältere Frau auf dem Fahrrad entgegen. Sie mustert das Grüppchen ausdruckslos, registriert die schwarz bemalten Gesichter, die staubigen Kleider und die Rucksäcke. Kurz bevor sie vorbeiradelt, dreht sie sich um, grinst breit, hebt den Daumen, nickt und sagt „taff!“.

Bürgervotum einhalten!

Auf der einen Seite stehen die Schlagzeilen großer Medienhäuser, die Bezeichnung des Protests als „Sturm“, Robert Habeck, der betont, dass legitimer Protest mit dem Zaun des Fabrikgeländes endet. Auf der anderen Seite stehen Menschen wie Mia, die Content-Creatorin von “Disrupt”. Mia ist Anfang 20, hat an einem Berufsorientierungs-Kolleg Menschen kennengelernt, die ähnlich wie sie ticken und ist zunächst bei “Ende Gelände” gelandet. Gerade ist sie bei “Disrupt” in der Social-Media-AG und betont, wie wichtig dieser Internet-Aktivismus sei. Durch geschickt platzierte und inhaltlich sorgfältig geplante Inhalte lassen sich Anliegen gerade heute deutlich einfacher transportieren und schaffen ein Gegennarrativ zum Bild der „Klima-RAF“. Soulévements de la Terre nutzt diese Taktik bereits im allgemeinen Sprachgebrauch. In den vergangenen Jahren wurde mehrmals das Land vor Mega-Bassins „verteidigt“. Das ist es, was Soulevéments de la Terre für sich beansprucht: , die lebensnotwendige Selbstverteidigung vor Gefahren durch Bauvorhaben und Konzerne mit kreativen Aktionen wie dem Zerschneiden der Plastikplanen, die den Boden der Mega-Bassins auskleiden. In Deutschland spricht die Presse von „Sabotage”, wenn Bagger in Kohlegruben unschädlich gemacht werden und von “Öko-Terrorist*innen“, wenn Menschen Straßen und Gruben blockieren. Die Aktivist*innen wiederum verstehen zivilen Ungehorsam und radikaldemokratischen Protest als legitim und notwendig für eine demokratische Gesellschaft. Es bleibt eine große Diskrepanz zwischen den geforderten Inhalten der Aktivist*innen, deren Selbstverständnis und dem medial und politisch gezeichneten Bild von ihnen. Der Versuch von Disrupt ein neues, breiteres Bild des Protests zu schaffen, weniger militant und deutlich bunter und vielfältiger zu sein, ohne die Offenheit und das Verständnis für radikale Aktionen zu verlieren, könnte ein Versuch sein, eine neue Vorstellung und ein neues Verständnis für Klimaproteste zu schaffen; Selbstverteidigung statt Sabotage.

Das Recht auf Protest ist im Grundgesetz verankert, ebenso das Recht auf Widerstand. Die Verantwortung des Staates, natürliche Lebensgrundlagen für künftige Generationen zu schützen ebenso. Während es sehr häufig darum geht, wie problematisch Protest in bestimmten Formen zu sein scheint, geht es sehr wenig um Inhaltliches.

Protest geschieht nicht im luftleeren Raum: Die Aktivist*innen verteidigen Lebensgrundlagen für sich und andere

Warum wird protestiert?

Wogegen wird protestiert?

Wovor haben diese Menschen so eine große Angst, dass sie Kohlegruben blockieren, sich auf die Straßen kleben, Polizeigewalt, zivile Gewalt in Kauf nehmen? Wovor?

2023 war das wärmste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Trotz des vielen Regens im Jahr 2024 leidet der Baumbestand Deutschlands und hat sich noch nicht von den Hitzejahren seit 2018 erholt. 2022 gab es über 60 000 Hitzetote in Europa. Dieser ist der sich am schnellsten erwärmender Kontinent seit den 1970er Jahren. Ein Teil Siziliens wird 2030 aus Wüste bestehen, Bauern überlegen, ihr Vieh zu schlachten und Mangos anzubauen. Barcelona geht das Wasser aus. Auf dem amerikanischen Kontinent wird mit ähnlichen Problemen gekämpft. Mexiko-Stadt leidet, ebenso wie Barcelona, unter dem anhaltenden Wassermangel. 24 Millionen Menschen im Süden Afrikas sind von Dürre betroffen. Auf den Philippinen wurden dieses Jahr bereits 53 Grad Celsius Außentemperatur gemessen. Das 1,5 Grad-Ziel, dass im Pariser Klimaabkommen 2015 beschlossen wurde, wird bei den gegenwärtigen Klimaschutzmaßnahmen als nicht erreichbar eingeschätzt.

Davor haben diese Menschen – und das sind die Aktivist*innen der Klimagerechtigkeitsbewegung in erster Linie – Angst. Und das ist der Grund, warum Aktionen wie die in Grünheide stattfinden. Warum Land nicht gestürmt, sondern befreit wird, durch einen Strom von Aktivist*innen, die sinnbildlich für das Wasser stehen. Das Wasser, das es zu verteidigen gilt. Und gleichzeitig wird der Versuch unternommen, das bestehende System, das als zerstörerisch empfunden wird, auf positivste Art herauszufordern. Indem Lebensräume wie das Camp und die Besetzung geschaffen werden, in welchen alternative solidarische Lebenskonzepte erprobt und bestehende herausgefordert werden. Die aufblasbare Schildkröte liegt im staubigen Dreck, über ihr der Polizist, das Messer in der Hand. Die blauen Kappen der Menschen wogen zielgerichtet, sie versuchen Hand in Hand das Fabrikgelände zu erreichen und ein Zeichen zu setzen. Was davon eher als Selbstverteidigung zu verstehen ist, wird sich zeigen.

Du hast Teil 1 verpasst? Dann lies hier den ersten Teil des Beitrags.