Wasser – Wald – Gerechtigkeit:

Selbstverteidigung statt Sabotage – über den Protest gegen Tesla in Grünheide (Teil 1)

Von Jessica Dietz

Der Kampf um Wasser hat inzwischen auch Deutschland erreicht und verbindet sich mit den Forderungen nach einer sozial gerechten und ökologischen Verkehrswende. Ein zentraler Schauplatz der Kämpfe ist die Gigafactory von Tesla in Grünheide. Sowohl eine Bürger*innen-Initiative als auch das Klimagerechtigkeits-Bündnis “Disrupt” verteidigen sich mit unterschiedlichen Methoden und gemeinsamem Ziel geschlossen gegen die Erweiterung der Fabrik und die Bedrohung des Wasserschutzgebiets.

In der Luft liegt Staub und Aufregung, es glitzert. Es könnte ein Festival sein, Musik in den Ohren und einen Tag voller Vergnügungen geplant. Aber ich befinde mich in Grünheide, im Camp „Wasser – Wald – Gerechtigkeit“. Fingerkuppen werden zerstochen und beklebt, Gesichter werden bemalt. Es wird versucht, der Polizei die Identitätsfeststellung so schwer wie möglich zu machen.

Grünheide ist eine kleine amtsfreie Gemeinde in Brandenburg. Es ist ein idyllischer Ort mit mehreren Seen, die sich wie Perlen einer Kette aneinanderreihen. Seit 2022 ist Grünheide der Standort der ersten Tesla Gigafactory Deutschlands, es werden Autobatterien und Elektroautos produziert. Gegen den Bau der Fabrik gab es bereits früh Proteste von Anwohner*innen und Umweltschutzorganisationen. Aus den Lokalprotesten entstand eine Bürger*innen-Initiative, die kontinuierlich Aufklärungsarbeit betreibt und auch überregional mit weiteren Gruppen vernetzt ist. Die Bürger*innen-Initiative fürchtet um ihr Landschaftsschutzgebiet und das Trinkwasser. Zwei Drittel der von Tesla erworbenen Fläche befinden sich im Wasserschutzgebiet, 90 von 300 aufgekauften Hektar sind bereits in der ersten Phase gerodet und bebaut worden. Brandenburg gilt als eine der trockensten Regionen Deutschlands. Der Verbrauch der Fabrik hatte im vergangenen Jahr zusammen mit der anhaltenden Dürre für die Einschränkung des Wasserverbrauchs für Privathaushalte geführt, während die Wassernutzung durch Tesla weiterhin möglich war. Nun soll die Fabrik erweitert werden, dafür soll ein weiterer Teil des Wasserschutzgebiets weichen. Zugleich häufen sich die Unfälle in der Fabrik; wiederholt sind Schadstoffe ins Abwasser ausgetreten, unter anderem Phosphor und Stickstoff, und auf dem Gelände wird illegal getankt. Ein Votum der Anwohnenden im April 2024 zeigte, dass über 62,1% gegen die geplante Erweiterung sind. Politisch ist die Gigafactory jedoch durchaus erwünscht, es geht um Arbeitsplätze und Gewerbesteuer.

Auf dem Camp brodelt es derweil. Der Demonstrations-Zug hat sich schon vor einiger Zeit formiert und wartet ungeduldig auf das Go, die Polizei gibt jedoch Auflage um Auflage durch: Schlauchschals werden verboten, danach folgt die Aufforderung entweder Sonnenbrille oder Mütze zu tragen. Es ist zwar erst Mitte Mai, die Sonne brennt jedoch vom wolkenlosen Himmel und Mütze und Brille erscheinen schlüssig. Ob sie nun dem Sonnenschutz oder der Vermummung dienen sollen, kann nur vermutet werden. Das Tragen von Masken wird erlaubt, der Zug setzt sich langsam in Bewegung, schiebt sich an Mannschaftswagen und behelmten Einsatzkräften vorbei.

“What do we want?”
“Water justice!”
“When do we want it?”
“Now!”

Der Demonstrationszug wird von massiver Polizeipräsenz begleitet.

Die Einsatzkräfte rücken dichter zusammen, je näher der Zug dem Bahnübergang und dem besetzten Waldstück kommt. Hinter diesem befindet sich die Gigafactory. Es ist inzwischen brütend heiß für Mai, der Asphalt glüht, die Stimmung verändert sich merklich. Anspannung wabert durch die Reihen. „Stick together! Stick, stick together”, schallt es von vorne. Ein Ruck geht durch den Zug, Menschen greifen sich bei den Händen, ziehen die Rucksäcke fester und setzen FFP-2-Masken auf. Plötzlich bricht der Zug nach rechts aus, Menschen stürmen in den Wald, die Polizei schaltet etwas versetzt und formiert sich zuerst vor allem vor dem Waldweg, der auf direktem Wege zur Gigafactory führt, dann wird auch der Waldrand versperrt. Es ist angestrengtes Keuchen zu hören, Zweige knacken, Schlagstöcke werden gezogen, jemand wird auf den Boden gedrückt. Nichtsdestotrotz schaffen es viele Menschen durch die Polizeireihen in das Waldstück und halten auf die Gigafactory zu. Am Vortag hat der Vorstand der Fabrik, mit Blick auf die angekündigten Proteste, bereits Home-Office für die Angestellten angekündigt. War es zuvor das Ziel des Bündnisses “Disrupt“, den Ablauf der Fabrik zu stören und die Produktion, wenn auch nur kurz, zu unterbrechen, ist es jetzt eine Machtdemonstration, sind es die Bilder, die gemalt werden. Ein Strom von Menschen mit blauen Kappen hält auf die Fabrik zu, unaufhaltsam, wie es Wassermassen sind. Bahnt sich den Weg, allen Widerständen zum Trotz und nimmt in Besitz, was ihm eigentlich gehört. Nicht der Strom der Aktivist*innen ist hier der störende Faktor, die Fabrik ist es. Es wird deutlich gemacht, dass die Nutzung des Lands auf diese kapitalorientierte, nicht nachhaltige Weise, nicht geduldet und das Land als solches ebenso wie das Wasser als Gemeinwohl betrachtet wird.

Die Luft ist staubig vor dem Zaun, der die Gigafactory umgibt, die Lunge brennt beim Atmen und der Boden ist trocken. Die Fabrik ist gigantisch, ein metallisch glänzender Fremdkörper in der sommerlichen Bilderbuch-Idylle. Eine Aktivistin stöhnt, sie bekommt schlecht Luft, nachdem ein Polizist sie mit dem Schlagstock am Rücken erwischt hat. Die Gruppe sammelt sich langsam, eine aufblasbare Schildkröte wandert durch die Reihen. Schildkröten sind das Wappenzeichen Grünheides. Später soll ein Foto auf Social Media kursieren, auf welchem ein Polizist in Vollmontur mit einem Messer auf die Schildkröte einsticht.

Die Proteste werden von Presse und Aktivist*innen unterschiedlich eingeordnet.

„Sturm aufs Werkgelände. Tesla-Protest: 76 Anzeigen gegen Aktivisten (ZDF: 12.05.2024)“.

„Eskalation an der Tesla-Fabrik. Radikale versuchen das Werk zu stürmen. Flugplatz besetzt (Berliner Zeitung: 10.05.2024)“.

So und ähnlich berichten große Leitmedien am Tag nach dem Aktionstag über das Geschehen vor Ort. Das Bündnis Disrupt, welches sowohl das legale Camp „Wasser – Wald – Gerechtigkeit“ als auch die Aktionstage organisiert hat, hält die Aktionen vor Ort im Gegensatz dazu für gelungen und berechtigt. Auch die Bürger*innen-Initiative unterstützt die Proteste und steht hinter den Aktionen des Bündnisses. Disrupt ist, nach eigenen Angaben, „ein Zusammenschluss von Gruppen, die an der Idee einer gerechten und solidarischen Welt jenseits des Kapitalismus festhalten und für ökologische und soziale Gerechtigkeit kämpfen“. In Grünheide liegt der Fokus auf einer sozial gerechten ökologischen Mobilitätswende und der Frage der Wassergerechtigkeit. Wasser ist auch in Deutschland ein immer knapper werdendes Gut. Die Klimakrise sorgte in den letzten Jahren für wiederholte Dürren und ein Absinken des Grundwasserspiegels. Infolgedessen wurde die Wassernutzung von Privathaushalten in einigen Regionen während der Sommermonate eingeschränkt. Auch Grünheide gehörte zu den betroffenen Gebieten. Während die Anwohner*innen jedoch sparen mussten, durfte die Industrie unvermindert knappe Wasserressourcen zur Produktion nutzen. Wassergerechtigkeit bedeutet für Aktivist*innen der Bewegung, dass dieses weder privatisiert noch die industrielle Nutzung den Bedürfnissen der Menschen vorgezogen wird. Vielmehr soll ein allgemeinwohlorientierter Umgang mit Wasser entstehen, bei dem Sparsamkeit im Fokus steht und das Grundrecht und Bedürfnis Wasser vor die kapitalorientierte Produktion großer Unternehmen gestellt werden. Die Aktionstage stehen unter dem Motto „Wasser – Wald – Gerechtigkeit“ und vereinen die Forderung nach einer Mobilitätswende mit dem Thema Wassergerechtigkeit. Die Aktivist*innen erzählen die Geschichte von der vermeintlich erfolgreichen Gigafactory neu, kritisieren, dass die Mobilitätswende zugunsten einer Antriebswende vernachlässigt wird. Eine Mobilitätswende bedeutet für sie nicht, den Personenverkehr eins zu eins durch E-Autos zu ersetzen, sondern weitestgehend auf öffentliche Verkehrsmittel und kurze Produktionswege umzusteigen. Das Tesla-Werk produziert jedoch ausschließlich für den hochpreisigen Individualverkehr, ist laut den Aktivist*innen also weder sozial noch ökologisch. Sie betonen, dass nicht nur Tesla in der Kritik stehe, sondern Autounternehmen in ihrer gegenwärtigen kapitalorientierten Form grundsätzlich problematisch seien. So auch Volkswagen, das ebenfalls in Brandburg produziert. Ich frage Mia, Content-Creatorin von Disrupt, nach der Kritik an E-Mobilität.

Die Aktivist*innen fordern eine Mobilitätswende statt einer Antriebswende.

Abgesehen davon, dass die Produktion der Automobile sehr viel Energie benötige, sei der Abbau der benötigten Schwermetalle ein riesiges Problem, erzählt sie mir. Der Abbau benötige immens viel Wasser, verunreinige die umliegende Landschaft und finde häufig in Gebieten statt, die von indigenen Bevölkerungsgruppen bewohnt werden. So auch in der Atacama-Wüste in Chile. Diese werden durch den immensen Wasserverbrauch und das Austreten von Schadstoffen in die Umgebung in ihren Existenzgrundlagen bedroht. Ressourcen-Extraktivismus stellt eine Fortführung kolonialer Strukturen dar und ist ein zentraler Kritikpunkt der Aktivist*innen. Probleme werden lediglich ausgelagert und anderen überlassen. Wasser sei ein Thema, dass uns alle verbinde, sagt Mia. Ohne Wassergerechtigkeit gebe es auch keine Klimagerechtigkeit. Der Name des Camps und damit auch das Narrativ unter welchem die Aktionstage stehen, greift diese Verbindung auf. Ein wesentliches Motiv ist die Sorge füreinander, die die Gruppen verschiedener Couleur miteinander verbindet. Die Frage danach, wie sich umeinander gekümmert werden kann und Probleme nicht isoliert, sondern als gemeinschaftlich zu lösend betrachtet werden, verbindet Kämpfe um Wasser mit der Forderung nach einer soziale Mobilitätswende, ob im In- oder Ausland.
Die (Für-)Sorge ist einer der wesentlichen Bestandteile von Klimacamps und Aktionen jeder Form. Es wird füreinander gesorgt, jedes Bedürfnis wird ernst genommen und es werden Lösungen gesucht, mit denen sich alle Beteiligten sicher und wohl fühlen. Das klingt radikal, denke ich, radikal schön und steht in völligem Gegensatz zu dem, wie viele Leitmedien und Politiker*innen linken Radikalismus interpretieren: Als störend, unliebsam und sogar gefährlich. Aktionen werden als radikal und damit als gefährlich eingeordnet, während das, wogegen protestiert wird, in den Hintergrund rückt.

Infokasten: Linksradikalismus (Bundesfachstelle für Militanz)

Die Bundesfachstelle für Militanz als Teil des Instituts für Demokratieforschung Göttingen definiert Linksradikalität als „die äußerliche Bezugnahme einer politisch aktiven Person oder einer politisch aktiven Gruppe auf das Theorievokabular des klassischen Parteikommunismus und Marxismus-Leninismus, des Anarchismus und Antifaschismus – oft vermengt mit postkolonialistischen, globalisierungskritischen und ökologischen Motiven. Diese Bezugnahme drückt sich in Rhetorik, Semantik, Gestus, Habitus, Symbolen und Ritualen aus“.

Weiter gehts über den Protest gegen Tesla in Grünheide im 2. Teil!