Modisch empört

von Nicolai Busch

Wenn heute jemand einen Zuckerwürfel in den Bodensee wirft, könnte er das messtechnisch morgen noch nachweisen. Wenn er wollte. Die Frage ist nur, warum sollte man wollen?

Doch von vorne – Michael Jeffries, CEO des großen, US-amerikanischen Modeunternehmens Abercrombie & Fitch behauptete 2006 in einem Interview seine Kollektionen seien ausschließlich für „schlanke, gutaussehende“ Menschen bestimmt. Die Unternehmensstrategie habe letztendlich den kategorischen Ausschluss „dicker, uncooler“ Käufer zum Ziel. Ein Skandal? Oder nur eine sehr ehrliche und offene Beschreibung spätkapitalistischer Unternehmensphilosophie?

 Jeffries vs. Facebook

Erst sieben Jahre später, 2013 steht das selbe US-amerikanische Modeunternehmen im Auge eines riesigen Shitstorms. A & F sieht sich mit abertausenden wütenden Hassmails und Boykottaufrufen in sämtlichen sozialen Netzwerken konfrontiert. Journalisten hatten die umstrittenen Zeilen des CEO aus dem Jahr 2006 wieder ausgegraben, um sich im Krieg gegen den Körperkult auf die Seite der in dieser Welt diskriminierten Dicken zu schlagen.A & F lehnt es nach wie vor ab, Übergrößen anzubieten.

Stating the Obvious – der Zirkelschluss der Empörung

Nun nehmen wir einmal an, es gäbe Leute, die Zuckerwürfel in den Bodensee werfen und darin eine Relevanz sehen würden, diesen eigens in den See geworfenen Zucker im Wasser auch nachzuweisen. Ein typischer Zirkelschluss, der auch die Empörung um A & F bildlich beschreibt. Denn hier wird das zu Beweisende, bei dessen Beweis schon verwendet (Diese Gesellschaft diskriminiert dicke Menschen. A & F diskriminiert dicke Menschen. A & F ist schuld an der Diskriminierung dicker Menschen durch diese Gesellschaft). Im wütenden Gleichschritt pilgert dann ein Mob aus Weltrettern, Meinungsfreiheitskämpfern und moralisch Schwerverletzten zur Stätte der „Verunreinigung des gesellschaftlichen Grundwassers“. Will heißen, zum Bodensee, oder eben zur Facebook Fanpage des Modeunternehmens A & F. Nicht um Zucker nachzuweisen, sondern um ein mehr als hundert Jahre altes Schönheitsideal anzuprangern, das gesellschaftlich fest verankert ist. Ein Schönheitsideal, das wir nicht zuletzt unzähligen überzeugten Käuferinnen und Käufern zu verdanken haben.

A & F – Täter oder Stellvertreter?

Es soll hier keinesfalls versucht werden, das durchaus diskriminierende Geschäftsmodell von A & F zu verharmlosen. Die Zuckerwürfel-Metapher und der Zirkelschluss verweisen auf einen ganz anderen Umstand. Sie verweisen auf eine Empörungsdynamik des digitalen Publikums, die scheinbar erst losbricht, sobald das ohnehin Offensichtliche („Die Mode der Schönen und Reichen diskriminiert seit jeher keineswegs unabsichtlich die weniger Schönen und Mittellosen“), aber bisher Unausgesprochene, von einem Verantwortlichen ausgesprochen wird. Das heißt, die Bedeutung der eigentlich gesellschaftlich begangenen Tat und damit die Wut aller Zeugen steigt, sobald ein einzelner Täter gefunden ist, der sich durch sein ehrliches Statement zum Täter macht und uns Alle dadurch entlastet. Einer, der uns entlastet von unserer diskriminierenden Sehnsucht, uns körperlich und modisch voneinander abzugrenzen.

Der Skandal ist ein gesellschaftlicher

Dabei hätte man sich doch freuen können über die Worte Michael Jeffries. Endlich gibt da mal einer zu, ein Arsch zu sein. Endlich betreibt da mal einer ganz offen die zielgerichtete Ausschließung unerwünschter Kunden und bekennt sich hierdurch als Mitverantwortlicher unwirklicher Stereotype, den Magermädchen und Milchbuben im Strandoutfit. Doch anstatt sich glücklich zu schätzen, dass jemand die Schuld auf sich nimmt, taucht das Publikum online nach Zucker im Bodensee, ohne das wahre Ausmaß des eigentlichen Skandals überblicken zu können. Anstatt sich mit Jeffries Marketingstrategie ehrlicherweise zu identifizieren und sie dann als gesellschaftliches Problem kontrovers zu diskutieren, fordert die Netzgemeinde „mehr Übergrößen“ bei A & F.

Wie klein und unnütz scheint doch plötzlich die Macht des Publikums im digitalen Netzzeitalter, wenn die skandalisierte Normverletzung des Einzelnen nur über das unveränderbar skandalöse Bewusstsein einer ganzen Gesellschaft hinwegtäuscht?

 

Foto: flickr.com/ E L Montgomery; Bearbeitung Sanja Döttling (BY-NC-SA 2.0)

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