Die Menschen brauchen Unterhaltung
Alumni-Portrait über die SWR4-Redakteurin Melanie Seiß
Von Carolin Hoos
Bunte Tattoos auf den Armen, ein Piercing an der Nase und die flotten Sprüche kommen ihr nur so über die Lippen. Dass Melanie Seiß einen kreativen Beruf ausübt, das vermutet man schon auf den ersten Blick. Aber bei SWR4 Baden-Württemberg, dem Schlagersender mit der ältesten Zielgruppe des SWR? Warum Melanie Seiß sich für diesen Sender entschieden hat, verrät sie im Interview.
SWR4 und Tattoos – Passt das zusammen? „Davor hatte ich ganz viel Angst, als ich mein erstes Tattoo habe machen lassen. Da war ich schon bei SWR4 und dachte: Was mögen die wohl von mir denken, wenn die sich jetzt auch noch tätowieren lässt?“. Aber die Kolleg*innen hätten gar nichts dabei gedacht – sie fanden es sogar cool. Am Anfang gab es aber Momente als Reporterin auf der Straße, in denen die ältere Generation ihr erst einmal kritisch begegnete. Ob sie die Praktikantin sei, wurde sie zum Beispiel gefragt. Mittlerweile habe sich das aber geändert und für die 35-Jährige sind die bunten Tattoos einfach Ausdruck von Kreativität. Und Kreativität gehört in ihrem Job als Reporterin und Redakteurin auf jeden Fall dazu.
Man muss für sich selbst einstehen
Nach dem Abitur absolvierte Melanie Seiß zunächst ein Volontariat beim Radiosender Antenne 1 in Stuttgart. Dass sie dort danach nicht übernommen wurde, war zunächst ein großer Rückschlag. Heute ist sie dankbar dafür, dass es so kam. So fing sie als Reporterin beim SWR an, wo sie für die verschiedenen Radioprogramme SWR1, SWR3, SWR4und DASDING arbeitete. Sie studierte danach an der Universität Tübingen Medienwissenschaft mit dem Nebenfach Rhetorik und kehrte zum SWR zurück, wo sie bis heute arbeitet. Wieso sie sich für das Studium an der Universität Tübingen entschieden hat? Sie lacht: „Ich wollte was mit Medien machen.“ Ihr habe vor allem gefallen, dass der Studiengang praxisnah war und auch neue Medien behandelt wurden, so beispielsweise Blogs oder Social Media. „Ich glaube, das ist die richtige Ausbildung, weil es in alle Richtungen geht. Alles, was der SWR in seinen Räumen anbietet, ist auch im Medienwissenschaftsstudium enthalten“.
Auf dem Weg zu ihrem heutigen Job als Online-Redakteurin bei SWR4 hat Melanie viel ausprobiert. Dabei gab es auch Punkte, an denen sie gemerkt hat, was sie nicht will. In ihrem Volontariat hat sie am Tag des Amoklaufs in Winnenden den Auftrag bekommen, vor Ort als Reporterin zu berichten. „Ich weiß alles noch, ich kann die ganzen Bilder nachzeichnen. Das ist jetzt zwölf Jahre her und trotzdem weiß ich noch alles, wer wo stand und wie die Pressekonferenz abgelaufen ist.“ Damals wusste sie, dass das auf Dauer nichts für sie wäre. Auch Boulevard-Nachrichten möchte sie nicht machen, das könne sie aber auch nur so deutlich sagen, weil sie es ausprobiert hat. Aber nicht nur thematisch hat sie viele Erfahrungen gesammelt. Es gab auch Zeiten, als sie viel gearbeitet hat und trotzdem andere an ihr vorbeigezogen sind. „Da habe ich festgestellt, ich muss mich um mich selbst kümmern, um weiterzukommen. Du bist diejenige, die für sich selbst sorgen muss und die selbst gucken muss, dass es vorangeht.“
Unterhaltung kann nicht jeder
Am Job der Reporterin mag Melanie Seiß vor allem, dass man immer neue Menschen kennenlernt und das allen Bevölkerungsschichten. Ein Moment ist ihr besonders in Erinnerung geblieben. Sie hatte um die Weihnachtszeit den Auftrag, Obdachlose unter der Paulinenbrücke in Stuttgart zu interviewen, wie diese mit den Minusgraden im Winter zurechtkommen. „Und ich hatte davor Angst, dort hinzugehen und auch alleine hinzugehen. Ich hatte irgendwie ein ungutes Gefühl und bin dann hingegangen und alle waren wahnsinnig nett. Die haben mich zu Leuten geführt, zu denen wäre ich nie hingekommen. Haben sich geöffnet, wo ich dachte: Krass, ich hatte so viele Vorurteile, das darf doch nicht wahr sein! Wenn man die Geschichten dahinter hört, warum die Leute auf der Straße leben, das macht schon was mit einem.“ Nach solchen Erlebnissen geht man später auch ganz anders durch die Straßen, erzählt sie. Jede Begegnung als Reporterin mache etwas mit einem, auch wenn man das im ersten Moment nicht denkt. Auf jeden Fall gehe sie seitdem anders auf Menschen zu. Auch auf Menschen, über die die meisten Vorurteile haben.
Mittlerweile hat sich Melanie Seiß aber komplett für die Unterhaltung entschieden. Damit ging auch der Wechsel vom SWR Studio Stuttgart zu SWR4 Baden-Württemberg einher. Die Welt und vor allem die Nachrichten seien oft traurig und schlimm, sie versuche aber, alles positiv zu sehen und die Menschen zu unterhalten. Und das macht ihr großen Spaß. Die Schlagerkünstler*innen, mit denen sie vor allem für die Social-Media-Auftritte zu tun hat, seien wahnsinnig nett und viele auch völlig auf dem Boden geblieben. „Du hast keine bösen Gedanken während des Tages. Es ist ein Stück weit eine heile Welt, in die man sich auch flüchtet. Und das macht mir Spaß, da einfach mit drin zu sein. Auch wenn ich weiß, dass die Realität anders aussieht. Unterhaltung ist einfach was, was die Menschen brauchen.“ Und unterhaltende Beiträge zu machen, das könne auch nicht jeder. Jeder hat sein Steckenpferd und das von Melanie Seiß ist die Unterhaltung.
Vom Privatradio zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk
Melanie Seiß hat sich im Laufe der Jahre nicht nur von der Reporterin zur Online-Redakteurin entwickelt, sie ist auch vom Privatradio zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk gewechselt. Das Volontariat beim Privatradio möchte sie aber nicht missen. „Es ist so, dass man beim Privatfunk schwimmen lernt. Da wird man ins kalte Wasser geworfen, egal in welcher Abteilung und dann geht’s los. Das hat viele Vorteile, weil man relativ schnell in den Job reinkommt, man braucht nicht viel Ausbildung. Die Wege sind deutlich einfacher, man kann zum Beispiel schnell durch ein Praktikum einsteigen.“ Beim SWR später hatte sie jedoch das Gefühl, dass man sich mehr Zeit für Inhalte nehme. Man habe mehr Zeit in den Beiträgen, um Dinge zu erklären und gleichzeitig auch mehr Zeit für die Recherche. „Es ging nicht nur um Zahlen, und zwar um die Zahl, wie bekomme ich meine Werbepartner befriedigt und wie verkaufe ich möglichst viel Werbung. Es ging darum zu sagen: Was ist der Inhalt? So hat sich das für mich dargestellt: Privatradio war für mich eher Boulevard und öffentlich-rechtlich war für mich eher fundiert.“
Steckbrief Melanie Seiß
- Geboren und aufgewachsen in Stuttgart/Filderstadt
- Volontariat bei Hit-Radio Antenne 1
- Studium der Medienwissenschaft und Rhetorik an der Universität Tübingen
- Seit 2012 beim SWR in Stuttgart als Reporterin und Redakteurin im Studio Stuttgart
- Seit 2018 in der Online-Redaktion von SWR4 Baden-Württemberg
- Weitere bisherige Stationen: ZDF-Landesstudio Berlin, Webvideo-Unit der Tagesschau, Landesschau Baden-Württemberg, SWR Aktuell Rheinland-Pfalz, SWR Sportredaktion
Im Nachhinein das Studium mehr genießen
Der Journalismus ist wahnsinnig vielfältig. Aber was würde die 35-Jährige heute sagen, welche Eigenschaften sich im Job als hilfreich erweisen? „Neugierig zu sein, ist glaube ich wirklich wichtig in dem Job. Und ich bin an sich ein wahnsinnig chaotischer Mensch, aber brauche alles total aufgeräumt. Im Kopf geht ja schon alles durcheinander, da kann es nicht auch noch sonst so sein. Das heißt also, akribisch zu arbeiten, ist wahnsinnig wichtig. Und ich bin jemand, wenn man mir einen Stein in den Weg legt, dann schaue ich erstmal, wie ich den wegbringe. Also mich killt so schnell nichts, ich bin so ein Stehaufmännchen. Man muss mit sehr vielen Rückschlägen auf dem Weg zum Job, und auch im Job, klarkommen, da darf man sich nicht unterkriegen lassen.“ Wenn sie noch einmal studieren würde, würde sie das Studium mehr ausnutzen und genießen. Alle Angebote der Uni mitnehmen, mehr Partys mitmachen und nicht so hektisch und voller Zeitdruck das Studium durchziehen. Und auf jeden Fall ein Auslandssemester machen, in der Türkei, in Frankreich, in England oder in den USA.
Jetzt geht es aber erst einmal weiter mit dem neuen digitalen Angebot SWR Schlager, für das Melanie Seiß als Chefin vom Dienst (CvD) für Instagram, Facebook, YouTube und die Webseite zuständig ist. Und sie möchte sich auch weiter auf ihre Karriere fokussieren. „Mein Ziel war es immer, Karriere zu machen. Ich will jetzt zwar nicht Intendantin des SWR werden, aber ich denke, da könnten noch zwei, drei Stufen auf der Karriereleiter nach oben drin sein.“ Und mit einem Lächeln fügt sie noch hinzu: „Und ein Stück weit Erwachsenwerden vielleicht auch“.