Mann oder Bär: Welchen Einfluss hat TikTok auf Feminismus?
Von Anna Adamenko
Stellt euch vor, ihr verbringt eine Nacht in den dunklen Tiefen eines Waldes. Eure einzige Begleitung kann entweder ein fremder Mann oder ein Bär sein. Seit Ende April kursiert auf TikTok ein Video, das genau diese Frage aufwirft und eine hitzige Debatte entfacht. Frauen berichten von persönlichen Erfahrungen, während zahlreiche „Men-fluencer“ versuchen, den Ruf des männlichen Geschlechts zu verteidigen. Aus diesem schrägen Gedankenexperiment ergibt sich die Frage, welchen Einfluss diese Plattform für den Feminismus hat.
Zwischen Gedankenexperiment und realer Angst
Der Trend „Mann versus Bär“ auf TikTok entstand aus einem einfachen, aber provokanten Gedankenspiel: Wenn ihr die Wahl hättet, eine Nacht allein in einem Wald zu verbringen, würdet ihr lieber von einem fremden Mann oder einem Bären begleitet werden? Diese Frage, die ursprünglich von einem Account namens Screenshot HQ aufgeworfen wurde, hat schnell die Runde gemacht und eine hitzige Diskussion entfacht. Für sieben der acht befragten Frauen war die Antwort klar: „Bär!“und auch viele andere Frauen melden sich zu Wort. Unter dem Hashtag #manvsbear findet man auf TikTok 17,9 Tausend Beiträge und in vielen davon teilen Frauen ihre erschreckendsten und übergriffigsten Erfahrungen mit Männern. Von respektlosem Anbaggern auf der Straße bis hin zu sexuellem Missbrauch in der Familie. All das sind erschütternde Geschichten und traumatische Erlebnisse von Frauen, die genutzt werden, um die Entscheidung für den Bären zu verdeutlichen . Der Kern dieser Frage wird also deutlich, denn er liegt in den tief verwurzelten Ängsten und Erfahrungen vieler Frauen im Umgang mit Männern. Diese Frage spricht die alltäglichen Unsicherheiten und potenziellen Bedrohungen an, denen Frauen sehr oft in ihrem Leben ausgesetzt sind. Ein Bär, obwohl dieser ein physisch gefährliches Tier ist, symbolisiert eine einschätzbare Bedrohung, während ein fremder Mann eine unvorhersehbare Gefahr darstellen kann. Diese Wahl reflektiert die Realität, dass viele Frauen sich in der Nähe von einem unbekannten Mann unsicher fühlen.
Statements und wütende Männer
Die traurigen Erfahrungsberichte hinterlassen Sprachlosigkeit. Doch die provokante Natur der Frage macht sie auch ideal für die virale Verbreitung auf TikTok. Bekannte feministische Influencer*innen, wie @josischreibt_ nehmen diese Debatte zum Anlass, um über sexualisierte Gewalt zu sprechen . Neben aufklärerischen Videos begannen Nutzer*innen, ihre Standpunkte durch humorvolle Videos zu teilen. Memes wurden erstellt, die das Thema aufgreifen und verschiedene Aspekte der Debatte satirisch und ironisch beleuchten. KI- generierte Bilder, die Frauen und Bären in idyllischer Atmosphäre lebend abbilden, oder Lieder, in denen der Bär romantisiert wird. Man muss zugeben, dass das Schmunzeln schon auch mal durchringt. Es ist nicht unschwer zu erkennen, dass der Trend zu einer Vielzahl von feministischen Reaktionen führt. Und dort, wo eine feministische Diskussion ins Rollen kommt, steht eine patriarchale Kritik häufig daneben. Zahlreiche „Men-fluencer“ melden sich zu Wort, um das Image des männlichen Geschlechts zu verteidigen und gegen die pauschalisierte Darstellung von Männern als Bedrohung zu argumentieren. Videos, in denen Männer minutenlang über die Gefahr, die von Bären ausgeht aufklären, Podcasts, in denen sich mit Spott über eine Täter- Opfer- Umkehr lustig gemacht wird und verharmlosende Schuldzuweisungen bilden eine besorgniserregende Gegenposition ab. Die toxischen Reaktionen und problematischen Aussagen einiger „Men- fluencer“ verdeutlichen, dass die metaphorische Fragestellung eine dunkle Realität in sich trägt. Diese Influencer kommentieren die Diskussion oft auf unsensible und abwertende Weise, was die Bedeutung der Debatte untergräbt, aber gleichzeitig die Ängste der Frauen bestätigen.
Die Rolle von Memes und Framing
Gerade für junge Menschen dient TikTok als Bühne für politische Debatten, wie dem Feminismus. Der virale Trend „Mann oder Bär“ hat nicht nur persönliche Geschichten ans Licht gebracht, sondern auch Fragen nach Sicherheit und Vertrauen in sozialen Kontexten aufgeworfen. Doch wie hat diese Plattform, die oft als Spielwiese für Tanzvideos genutzt wird, so viel Macht einen Raum für derart wichtige feministische Debatten zu stellen? Wie bereits erwähnt, sind unter dem Hashtag #manvsbear zahlreiche Memes zu finden. Der Evolutionsbiologe Richard Dawkins kombinierte in seinem Werk „Das egoistische Gen“ (1978) das altgriechische Wort „mimeme“ (nachahmen) mit dem englischen Wort „gene“ und kreiert so den Begriff „Meme“. Es handelt sich dabei um Ideen und kulturelle Phänomene als virale Einheiten, die sich ähnlich wie Gene vervielfältigen. Nur nicht im Körper, sondern in der Gesellschaft. Memes sind besonders effektiv, wenn sie einfach zu verstehen und leicht zu reproduzieren sind. TikTok ist eine Plattform, die diese Eigenschaften ideal unterstützt, indem sie kurze, einprägsame Videos fördert, die schnell viral gehen können. Die Frage „Mann oder Bär?“ ist provokativ, leicht verständlich und regt sofort zum Nachdenken an. Dies macht sie zu einem idealen Meme. Die Darstellung eines Themas spielt demnach eine große Rolle, wenn über sie gesprochen werden soll. Der Kommunikationswissenschaftler Urs Dahinden beschreibt die Framingtheorie (2018) ausführlich und unterstütz dieses Argument. Die Art und Weise, wie die Frage „Mann oder Bär?“ gestellt wird, lenkt die Aufmerksamkeit auf das Gefühl der Unsicherheit und die potenzielle Bedrohung, die fremde Männer darstellen können. Dieses Framing verstärkt das Bewusstsein für die alltäglichen Ängste, denen Frauen begegnen. Auch satirische und ironische Darstellungen, wie durch Memes, können die Aufmerksamkeit auf dieses Thema lenken. Einige „Men- fluencer“ versuchten, die Debatte umzudeuten, indem sie die Frage als übertrieben oder ungerecht gegenüber Männern darstellten. Diese Gegenframes zielten darauf ab, die Diskussion zu delegitimieren. Der Effekt bleibt jedoch ähnlich, denn in beiden Fällen wird über das Thema gesprochen und eine breite Aufmerksamkeit mobilisiert.
TikTok als Katalysator feministischer Diskurse
Inmitten der Frage, ob man lieber eine Nacht mit einem Mann oder einem Bären im Wald verbringen würde, zeigt sich, wie tief verwurzelt das Gefühl der Unsicherheit in unserer Gesellschaft ist. All die Beiträge werden zum Symbol für die alltäglichen Ängste und Herausforderungen, denen Frauen begegnen. Diese Diskussion verdeutlicht auch die Bedeutung von sozialen Medien im Kampf für Gleichberechtigung und Sicherheit. TikTok mag auf den ersten Blick nicht als Ort für tiefgründige politische Debatten erscheinen, und doch treffen hier persönliche Geschichten auf globale Bewegungen. In einer Welt, in der die Stimmen der Frauen oft überhört werden, bietet TikTok ihnen ein vielseitiges Megafon. Die Frage nach der nächtlichen Begleitung im Wald wird so zu einem eindringlichen Aufruf, die Realität vieler Frauen anzuerkennen und aktiv zu verändern. Der Einfluss dieser Plattform auf feministische Debatten ist klar und zeigt, wie digitale Räume als Katalysatoren für soziale Gerechtigkeit dienen können. Anhand von Memetic und Framing lassen sich aber nicht nur positive Folgen begründen, sondern auch ein Potenzial für die Förderung polarisierender und toxischer Gegenpositionen. Während viele Frauen ihre traumatischen Erlebnisse mit Männern teilen, reagieren zahlreiche „Men-fluencer“ defensiv und kritisierten die pauschale Darstellung von Männern als Bedrohung. All das durch problematische und oft toxische Aussagen. Nichtsdestotrotz, zieht auch dies die Aufmerksamkeit auf das Thema und unterstreicht erneut die Notwendigkeit eines ernsten Dialogs über die Sicherheit von Frauen. Eines ist jedoch auch klar: In den tiefen dunklen Wäldern, würden Bären es niemals für notwendig halten, ihr Verhalten und ihre Spezies auf TikTok zu verteidigen.
Quellen:
1. https://vm.tiktok.com/ZGeqpKx6h/
2. Encinas, A. (30. April 2024). Man or bear? Breaking down the TikTok debate. USA Today. https://www.usatoday.com/story/tech/news/2024/04/30/man-bear-tiktok-debate-explainer/73519921007/
3. https://vm.tiktok.com/ZGeqW8TfF/
4. Dawkins, R. (1978). Meme, die neuen Replikatoren. In: Das egoistische GEN. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-66899-9_11 (https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-642-66899-9_11#citeas)
5. Dahinden, U. (2018). Framing. Eine integrative Theorie der Massenkommunikation. Herbert von Halem Verlag, Köln. (https://books.google.de/books?hl=de&lr=&id=W1d7DwAAQBAJ&oi=fnd&pg=PA11&dq=Framing+Theorie&ots=6aR2PXt5gE&sig=HRV3fz8h9U4WUnVZgBFeDVb4Ibs&redir_esc=y#v=onepage&q=Framing%20Theorie&f=false)