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Machen Medien Meinung?

Die „Schweigespirale“

Von Michelle Pannier

Die eigene Meinung äußern und sich möglicherweise gegen alle stellen oder sich lieber zurückhalten und sich anderen, populären Meinungen anschließen? Früher oder später stellt man sich diese Frage, wenn es darum geht, die eigene Meinung öffentlich zu repräsentieren. Der meist bequemere und einfachere Weg ist hierbei, sich der Ansichten der Masse zu fügen und es dabei zu belassen. Genau diesen Handlungszug begründet die Theorie der Schweigespirale. Worum genau es dabei geht und was mögliche Konsequenzen sind, die sich daraus ergeben können, erfahrt ihr in diesem Artikel.

Warum kommt es immer wieder vor, dass die vermeintliche Minderheitsmeinung von einer vorherrschenden Meinung in der öffentlichen Wahrnehmung verdrängt wird? Genau das fragte sich Elisabeth Noelle-Neumann. Einer der Gründe hierfür ist mit Sicherheit ihr turbulentes Leben. Die Massenmedien spielen, bezogen auf die Theorie der Schweigespirale, hierbei ebenso eine große Rolle. Vor allem momentan, zur Zeit der Corona-Krise, wird so ziemlich alles über die Massenmedien kommuniziert. Diese haben erheblichen Einfluss auf die Meinung einer bestimmter Personengruppe oder auch einer ganzen Bevölkerung. Heutzutage wird die Theorie der Schweigespirale oftmals kritisiert, jedoch besitzt sie in manchen Teilen immer noch an Aktualität.

Elisabeth Noelle-Neumann

Elisabeth Noelle-Neumann (* 19. Dezember 1916 in Berlin; † 25. März 2010 in Allensbach) war Kommunikationswissenschaftlerin an der Universität Mainz. Im Alter von 30 Jahren gründete sie, gemeinsam mit ihrem Mann, Erich Peter Neumann, die Gesellschaft zum Studium der öffentlichen Meinung. In den 70er Jahren stellt Noelle-Neumann dann die Theorie der Schweigespirale auf und ist somit deren Begründerin.

Was besagt die Schweigespriale?

Entscheiden sich viele dazu, zu schweigen, wird sich die Spirale immer weiterdrehen. Bild: Pexels.

Im Wesentlichen besagt die Theorie das: Wenn eine Meinung als Mehrheitsmeinung wahrgenommen wird, werden andere Meinungen, die davon abweichen, verschwiegen. Dabei entspricht oft die Wahrnehmung nicht der Realität. Das heißt, die Mehrheitsmeinung ist in Wirklichkeit oftmals gar nicht der Mehrheit entsprechend, sondern sie wirkt nur so. Je dominanter die Mehrheitsmeinung wirkt, desto größer ist die Hemmung, eine Minderheitsmeinung zu äußern. Die Mehrheitsmeinung wird somit die alles Beherrschende, obwohl sie es möglicherweise gar nicht ist. Daher der Begriff der Spirale. Ob man nun die eigene Meinung äußert oder nicht hängt, laut dieser Theorie, von der Einschätzung des Meinungsklimas ab. Einige Grundannahmen befestigen das. Die soziale Natur des Menschen besagt, dass viele Angst vor Isolation haben und zum Beispiel eine soziale Isolation vermeiden möchten. Ebenso streben Menschen nach gemeinsamen Meinungen, nach einem gemeinsamen Urteil. Sie möchten gewissermaßen in dieselbe Richtung „fahren“. Immer wieder macht man sich ein Bild von anderen Meinungen in der Öffentlichkeit und vor allem von der Veränderung dieser Meinungen. Menschen können sich sowohl durch direkten Menschenkontakt als auch über die Massenmedien ihre Meinung bilden. Die eigene Meinung wird überwiegend durch die Massenmedien beeinflusst und geprägt. Vor allem das Fernsehen hatte lange den prägendsten Einfluss. Die modernen Massenmedien gelten hierbei nicht als Voraussetzung für die Schweigespirale, jedoch tragen sie durchaus zur Verstärkung der Effekte bei. Zu erwähnen ist, dass eine Art Isolationsfurcht auch in „massenmedienfreien“ Gesellschaften auftritt, wenn es beispielswiese um moralische Grundsätze geht. Noelle-Neumann dazu: „Öffentliche Meinung ist gegründet auf das Bestreben von in einem Verband lebenden Menschen, zu einem gemeinsamen Urteil zu gelangen, zu einer Übereinstimmung, wie sie erforderlich ist, um zu handeln, und, wenn notwendig, entscheiden zu können. Belohnt wird Konformität, bestraft wird der Verst0ß gegen das übereinstimmende Urteil.“ (Zitat: Die Schweigespirale. Öffentliche Meinung – unsere soziale Haut. Langen-Müller, München 1980, S.II.)

Ein gewisser Druck haftet auf den Menschen, sich nicht divergent zu äußern. Dabei ist jedoch zu beachten, dass die Minderheitsmeinung nicht als rational falsch angesehen wird, sondern als moralisch schlecht. Konsequenzen, ausgehend von Noelle-Neumanns Theorie, sind ganz klar die durch Konformitätsdruck unterschiedlichen Redebereitschaften. Wird die Meinung in der Öffentlichkeit häufiger thematisiert und befürwortet, wird man diese auch leichter öffentlich äußern. Merkt man allerdings, dass die eigene Meinung nicht der der Mehrheit entspricht, wird man schweigen.

Auch in der Online-Welt ist die Schweigespirale zugegen

Nicht nur in den Massenmedien, sondern auch im Internet, auf den verschiedenen Social Media-Plattformen, tritt das Phänomen der Schweigespirale immer wieder auf. Social-Media-Schöpfer*innen sind davon ausgegangen, dass gerade auf Online-Plattformen, wie Twitter oder Facebook, die Menschen mit Minderheitsmeinung sich – auf Grund der dort möglichen Anonymität – eher trauen würden, ihre Meinung zu äußern. Die Studie des amerikanischen Meinungsforschungsinstituts „Pew Research Center“ besagt, „dass soziale Medien keineswegs im erhofften Maße zur Meinungspluralität bei kontrovers diskutierten Themen beitragen“ (Veröffentlichung des Artikels: 26.08.2014, Quelle: pewresearch.org). Dabei wurden insgesamt 1801 Erwachsene bezüglich des Themas „Edward Snowdens Enthüllungen von 2013 über die weit verbreitete staatliche Überwachung der Telefon- und E-Mail-Aufzeichnungen der Amerikaner“ befragt. Ein Ergebnis der Umfrage ergab, dass die Befragten online tatsächlich weniger bereit waren, über die Ereignisse zu sprechen als offline. Für diejenigen, welche sich diesbezüglich nicht persönlich äußern wollten, stellten die Online-Plattformen jedoch auch keine Alternative dar. Ebenfalls sichtbar wurde, dass die Befragten eher bereit waren, ihre eigene Meinung zu teilen, sobald deutlich wurde, dass mehrere diese Meinung vertraten.

Dies zeigt, dass Social-Media Plattformen, im Kontext dieser Studie, keineswegs eine Alternative darstellten, um die eigene, möglicherweise abweichende Meinung ohne Bedenken frei äußern zu können. Daraus lässt sich außerdem schließen, dass das Konzept der Schweigespirale durchaus auf die Online-Welt übertragen werden kann. Wer im echten Leben schweigt, schweigt in einigen Fällen auch online.

Kritik gegenüber der Schweigespirale

Der mit größte Kritikpunkt gegenüber der Theorie lautet, dass sie nicht ausreichend empirisch belegt sei. Ebenfalls fehle, bezogen auf die Schweigenden, eine vollständige, gezielte Bespiegelung, beziehungsweise eine vollständige Untersuchung. Noelle-Neumann begründet die eingeschränkte Redebereitschaft einiger ausschließlich mit der Isolationsfurcht. Andere entscheidungsmächtige Einwirkungen, wie zum Beispiel Persönlichkeitsattribute, wie Geselligkeit, werden außen vorgelassen. Klaus Merten, ein deutscher Kommunikationswissenschaftler, stellt fest, dass die Presse um einiges mehr Einfluss auf die Meinungsbildung habe als das Fernsehen. Bezüglich der Schweigespirale besitzt für ihn die Presse den dominantesten Effekt. Die Printmedien seien zum einen um einiges stärker politisch in eine Richtung ausgeprägt und zum anderen sei das Fernsehen nur eine Art Propagandamaschine seitens der Parteien, ohne umfangreiche Kommentierung und Bewertung der Journalist*innen.

Die Theorie von Noelle-Neumann wurde international viel kritisiert und kontrovers diskutiert. Bild: Pixabay.

Früher oder später verfallen wir alle vermutlich mal der Theorie der Schweigespirale. In gewissen Situationen kann es auch von Vorteil sein, die eigene Meinung zu verschweigen. In manchen Angelegenheiten ist es jedoch förderlich, die Theorie zu durchbrechen und – unter Umständen schädlichen – Massenmeinungen an Gewichtung zu nehmen. Die eigene Meinung offensiv artikulieren (sofern dahinter keine schädliche Absicht steckt),  kann die Spirale aufhalten und dabei helfen, dass schädliches Gedankengut, das einst oder immer noch der Massenmeinung entspricht, nicht noch weiter verbreitet wird.