Liebe im digitalen Zeitalter: Machen Social Media, Dating-Apps und Co. beziehungsunfähig?
Von Katharina Braun
In einer Zeit, in der Smartphones unsere ständigen Begleiter sind und die digitale Kommunikation den Ton angibt, ist die Suche nach Liebe und romantischen Verbindungen großteils zu einer digitalen Angelegenheit geworden. Doch während Dating-Apps und Social-Media-Plattformen uns mit endlosen Möglichkeiten zur Kontaktaufnahme und potenzieller Partner*innen versorgen, kommt zunehmend die Frage auf, wie diese digitalen Plattformen unsere Fähigkeit, authentische und erfüllende Bindungen einzugehen, beeinflussen. Während ein Wisch nach links oder rechts über unser Liebesleben entscheiden kann und Beziehungen zunehmend von Likes geprägt sind, scheint die Frage, ob die Digitalisierung unserer sozialen Interaktionen uns wirklich näher zusammenbringt oder nur oberflächlicher macht, so relevant wie nie zuvor.
Zwischen Selbstbestätigung und Angst vor dem Alleinsein – Die Welt der digitalen Partnersuche
Eine Vielzahl von Gründen treibt Menschen dazu, sich in die Welt der digitalen Partnerwahl zu begeben – ob nun über Social Media oder Dating-Apps. Einer dieser Beweggründe liegt im Streben nach Ego- Boosts, Aufmerksamkeit und Bestätigung durch Likes oder Matches. Die Bequemlichkeit spielt ebenfalls eine entscheidende Rolle, da diese Plattformen den Zugang zu potenziellen Partner*innen erleichtern und den herkömmlichen Datingprozess beschleunigen. Die Jagd nach Dopamin oder auch die Furcht vor dem Alleinsein treibt ebenfalls Viele zur Nutzung, da sie eine scheinbar endlose Auswahl an potenziellen Kontakten bieten. Auch spielt schlichte Langeweile eine Rolle, weil die Apps eine unterhaltsame Möglichkeit des Zeitvertreibs bieten. Auch werden solche Plattformen nicht ausschließlich für die Suche nach romantischen Beziehungen verwendet, sondern ebenfalls als Mittel zur regelmäßigen Kommunikation, um Einsamkeit zu bekämpfen.
Die Gründe für die Nutzung sind also vielfältig, doch obwohl die Dating-App Tinder beispielsweise einen großen Pool potenzieller Partner*innen bietet, sind die Erfolgsquoten tatsächlich eher niedrig. Es braucht laut einer norwegischen Studie durchschnittlich 291 Übereinstimmungen, um eine ernsthafte Beziehung zu finden, was etwa 6 Monate der App-Nutzung in Anspruch nimmt. Dies bedeutet eine erhebliche Zeitinvestition von 100 bis 257 Stunden aktiver Nutzung der App sowie potenzielle finanzielle Kosten für Premium-Abonnements. Darüber hinaus berichteten laut einer Umfrage in der Schweiz 88 % der Befragten, dass aus ihren Tinder-Dates gar keine Beziehungen entstanden sind. Die Online- Kommunikation kann wohl kurzfristig Erleichterung verschaffen, aber langfristig zu einem verstärkten Gefühl der Isolation führen.
Die digitale Paradoxie der Verbindung
Obwohl Social Media eine scheinbare Verbindung schafft, existiert gleichzeitig die Gefahr der Entfremdung und Oberflächlichkeit. Die digitale Kommunikation kann die Fähigkeit zur emotionalen Intimität und effektiven zwischenmenschlichen Kommunikation beeinträchtigen. Die paradoxe Auswirkung dieser scheinbaren Verbundenheit zeigt sich auch in der steigenden Zahl von Menschen, die sich trotz der ständigen Vernetzung einsam fühlen.
Die Nutzung digitaler Kommunikationskanäle kann zudem zu einer Verminderung der empathischen Kompetenz und der Fähigkeit einer authentischen Kommunikation führen. Die Begrenzung auf kurze Textnachrichten und das Fehlen nonverbaler Signale können die emotionale Verbindung zwischen Menschen erschweren. Diese Verringerung der emotionalen Intimität kann langfristig die Qualität zwischenmenschlicher Beziehungen beeinträchtigen. Und auch der Aufstieg von Dating-Apps wie Tinder und Co. hat dazu geführt, dass es immer häufiger vorkommt, dass man sich zwar vielleicht verabredet, aber oft keine festen Beziehungen eingeht. Dieser Lebensstil könnte jedoch zu einer Commitment- Phobie führen. Die Unfähigkeit, tiefe und bedeutungsvolle Bindungen einzugehen, scheint zu steigen – beispielsweise, weil man Angst hat vor der Verantwortung, die mit der Liebe einhergeht, verletzlich zu sein oder bessere Partner*innnen zu verpassen. Doch ein tolles Tinder-Profil macht noch keine*n Traumpartner*in und wenn man sich nur auf gelegentliche Intimität konzentriert, fühlt man sich langfristig nur noch einsamer. So erklärt auch Jessica Strübel, Forscherin an der University of North Texas, dass Tinder-Nutzer*innen aufgrund der Funktionsweise und Anforderungen der App das Gefühl haben können, bei sozialen Interaktionen entpersönlicht und austauschbar zu sein. Sie betont, dass dies die Selbstwahrnehmung beeinträchtigen und zu Kritik am Aussehen und Körper führen kann. Doch trotz dieser verstärkten Selbstreflexion werde gleichzeitig der Glaube gestärkt, dass etwas Besseres schon in Reichweite ist – möglicherweise bereits beim nächsten Swipe.
Der Kaufhaus-Effekt – Illusion von größerer Auswahl und besseren Optionen
Doch verstärken moderne Dating-Plattformen unsere Bindungs- unfähigkeit und können Apps wirklich so einen großen Einfluss auf uns nehmen, dass sie unser Beziehungsverhalten ändern? Michael Nast, Autor des Buches „Generation Beziehungsunfähig“, sagt ja. Denn laut ihm wenden wir Regeln des Konsums mittlerweile auch aufs Zwischen- menschliche an und die sozialen Medien und Dating-Apps fördern dies. Eine schier endlose Auswahl an potenziellen Partner*innen auf Dating-Apps und Social Media kann zu Entscheidungsproblemen führen.
Die ständige Suche nach etwas Besserem und die Furcht vor dem Verpassen von Chancen, führt zu einer oberflächlichen Herangehens- weise an Beziehungen. Die Illusion der Auswahl kann die Fähigkeit zur Bindung beeinträchtigen, da Menschen möglicherweise Schwierig- keiten haben, sich auf eine*n einzige*n Partner*in festzulegen – der oder die Nächste könnte schließlich immer besser sein. Nast erklärt, dass Dating-Apps nach dem Effizienz-Prinzip entwickelt sind, Liebe brauche aber Zeit und feste Bindungen werden durch diese Konsummentalität zerstört: „Dating-Apps sind aufgebaut wie Online- Shops. Letztlich begünstigt das, dass wir als Konsumenten der Liebe agieren. Wir haben ein Riesen- Warenangebot, sodass die Menschen sich nicht mehr so richtig konzentrieren auf eine Person und da auch Ausdauer zeigen“ . Viele Menschen betreiben parallele Partnersuche aus der Angst heraus, bessere Gelegenheiten zu verpassen, ein Phänomen bekannt als „Fear of Missing Out“ (FOMO). Studien zeigen, dass etwa zwei Drittel der Dating-App-Nutzer*innen gleichzeitig in Beziehungen sind, was auf ein weit verbreitetes paralleles Dating hindeutet. Die Vergleichsmöglichkeiten auf Dating-Apps sind nun mal umfangreich und fördern die ständige Suche nach dem oder der idealen Partner*in. Zusätzlich hat die hohe wahrgenommene Partnerverfügbarkeit sowohl die Nutzung von Dating-Apps als auch die Angst vor dem Singledasein stimuliert. Paradoxerweise kann allerdings diese ständige Möglichkeit, neue Bekanntschaften zu machen, eine anhaltende Unzufriedenheit mit dem aktuellen Beziehungsstatus schüren.
Das Suchtpotenzial
Studien verdeutlichen das Suchtpotenzial von Dating-Apps, das unter anderem durch deren spieleähnlichen Aufbau entsteht, der zu einer niedrigen Aufmerksamkeitsspanne beiträgt. Die Mechanismen gleichen Glücksspielautomaten, bei denen der nächste „Gewinn“ nur einen Swipe entfernt ist und man so zum ständigen Wischen verleitet wird. Eine Sucht kann zu diesem ständigen Streben nach der nächsten Belohnung führen. Dating-Apps vor allem nutzen hierfür das psychologische Prinzip der „variablen Belohnung“, bei dem das Match oder ein Treffen die Ausschüttung von Dopamin aktiviert und den Nutzer*innen ein Glücksgefühl vermittelt.
Dieses Gefühl verblasst jedoch schnell und man wischt dann eben weiter, in der Hoffnung, eine bessere Option zu finden. Dieser Kreislauf kann manche Menschen süchtig machen. Studien zufolge bezeichneten sich neun von zehn Singles selbst als süchtig nach Dating-Apps und mehr als die Hälfte hatte das Gefühl, dass sie zu viel Zeit auf den Apps verbrachten. Die Nutzer*innen gaben an, im Durchschnitt 55 Minuten pro Tag auf den Apps zu verbringen und mit etwa 6 Partner*innen gleichzeitig zu chatten. Gleichzeitig fühlte sich allerdings fast die Hälfte der Singles nicht gut genug und 39 % fühlten sich sogar unerwünscht. Laut Cyber- Psychologe Dr. Martin Graff beobachten wir eine neue Art der Internetsucht in Form von Dating. Ihn beunruhigt dabei die Auswirkungen, die dies auf die psychische Gesundheit haben kann. Seine Besorgnis scheint berechtigt, wenn man weitere Studienergebnisse anschaut: Ein Drittel der Nutzer*innen gab an, dass sie sich aufgrund ihrer App-Nutzung deprimiert fühlten, ein Fünftel sagte, dass sie sich gestresster fühlten, und ein Sechstel berichtete von mehr Angstzuständen. Die ständige Bestätigung und Aufmerksamkeit durch Matches und Nachrichten kann das eigene Ego zwar kurzfristig stärken, geht aber nicht auf grundlegende Probleme wie Einsamkeit oder Bindungsprobleme ein.
Generation Beziehungsunfähig oder neue Formen der Liebe?
Doch führen diese Veränderungen tatsächlich zur Beziehungsunfähigkeit oder sehen wir lediglich die Entstehung neuer Formen von Liebe und Bindungen? Während Kritiker*innen Oberflächlichkeit, Suchtpotenzial oder Konsummentalität betonen, darf man natürlich auch die positiven Aspekte nicht vergessen. Die Möglichkeit, Menschen weltweit zu treffen und vielfältige Perspektiven kennenzulernen, kann zu einer Erweiterung unserer Vorstellung von Beziehungen führen. Dating-Apps und Social Media helfen, die Möglichkeiten der Kontaktaufnahme und -haltung zu verbessern. Insbesondere für Menschen mit begrenzten sozialen Kreisen, die durch diese Netzwerke die Möglichkeit erhalten, neue Kontakte zu knüpfen, ist dies von Vorteil. Auch geben solche Plattformen vor allem queeren Menschen eine Chance, sich offener und nach einer breiteren Menge an Partner*innen umzuschauen, als sie es vielleicht im alltäglichen Leben könnten. Außerdem beruhigend: Laut Psychologin und Autorin Stefanie Stahl sind nur die wenigsten Menschen auch wirklich beziehungsunfähig. Sie erklärt, dass eine wirkliche Beziehungsunfähigkeit schon im Elternhaus entstehe und sie meist nur schwer traumatisierte oder persönlichkeitsgestörte Menschen haben. Eher scheint das Problem die Bindungsangst vieler Menschen zu sein. Etwa 30 % der Menschen haben sie, dieses Phänomen hat es laut Stahl schon immer gegeben und ist nicht erst durch das Internet entstanden. Heute sei es durch die Menge an Plattformen und durch mehr Freiheit, Probleme auch zu zeigen, nur sichtbarer geworden.
Dennoch sollten wir natürlich definitiv bewusster mit all den Plattformen umgehen. Statt sich ausschließlich auf oberflächliche Verbindungen zu konzentrieren, könnte der Fokus auf die Entwicklung tieferer, bedeutungsvoller Beziehungen gerichtet werden. Slow-Dating-Prinzipien können dazu beitragen, oberflächliche Interaktionen zu reduzieren und echte Verbindungen zu fördern. Regelmäßige Dating-Pausen sind ebenfalls wichtig, um eine gesunde Beziehung zu den Apps zu entwickeln. Wir alle sollten Dating-Apps in jedem Fall mit Bedacht verwenden und alternative Möglichkeiten des Kennenlernens ausprobieren. Oft macht es ja auch sowieso mehr Spaß, andere Wege zu erkunden, um Menschen kennenzulernen – bei Aktivitäten außerhalb der digitalen Welt.
Quellen:
Engels, Barbara, 2023, Viele Matches, wenig Erfolg. So viel kostet die Suche nach der Liebe beim Onlinedating per App, IW-Kurzbericht, Nr. 10, Köln.
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/467267/umfrage/entstehung-von-beziehungen-durch-die-nutzung-der- dating-app-tinder-in-der-schweiz/
https://publizistik.univie.ac.at/aktuelles/aktuelle-meldungen/news-einzelansicht/news/die-qual-der-wahl-die- effekte-von-dating-apps-auf-unser-wohlbefinden/
https://www.gq-magazin.de/leben-als-mann/beziehung/online-dating-schadet-psyche- 180530#:~:text=Und%20wer%20regelm%C3%A4%C3%9Fig%20Dating%2DApps,Depressionen%20zu%20erkranken%2 C%20steigern%20kann.
https://www.deutschlandfunk.de/michael-nast-vs-stefanie-stahl-machen-tinder-und-co-uns-100.html • https://www.youtube.com/watch?v=T3O49Exj_5M
https://www.zdf.de/nachrichten/video/panorama-online-dating-liebe-100.html
https://www.deutschlandfunk.de/michael-nast-vs-stefanie-stahl-machen-tinder-und-co-uns-100.html