Kühlschränke, Frauen und Comics

von Marius Lang
Illustration von Henrike W. Ledig

Die Frau im Kühlschrank

Als Kyle Rayner seinen Kühlschrank öffnet, trifft ihn der Schock. Dort sieht er seine Freundin Alex DeWitt, oder besser das, was von ihr übrig ist. Ermordet, zerstückelt, entwürdigt. Und in einen Kühlschrank geschoben, als Warnung. Doch Alex ist nur eine von vielen Frauen in der Comicwelt, denen überproportional grausam mitgespielt wurde.

Wie alle Medien sind auch Comics von Geschlechterklischees geprägt. Allerdings werden gerade hier Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Charakteren überdeutlich aufgezeigt. Frauen in Comics, sind extrem häufig die Opfer extremer Gewalt, vor allem in denen der Big Four der Anglo-Amerikanischen Comicindustrie, DC, Marvel, Dark Horse und Image Comics. Die Website Women in Refrigerators listet Beispiele dieser Gewaltausbrüche an weiblichen Comiccharakteren auf.

Der Begriff der Women in Refrigerators bezieht sich auf Alex DeWitt. Die obenbeschriebene Szene stammt aus der Reihe Green Lantern. Einer der Träger dieses Titels ist Kyle Rayner. Einer seiner Feinde, Major Force, beschloss bei einem Einbruch in Rayners Wohnung kurzentschlossen, einfach die Freundin abzuschlachten. Anschließend schob er ihren Leichnam in den Kühlschrank, als geschmacklose Botschaft an Rayner.

Klischeeinnen

Klischeehafte Darstellungen von Frauen sind in den Medien kein Einzelfall. Gerade im Hollywood-Kino werden Frauen meist extrem negativ dargestellt. Ob als Damsel in Distress, die nur darauf wartet, dass ihr starker, männlicher Held sie rettet oder ganz einfach als plattes Sexobjekt. Alle populären, klischee-überladenen Frauenbilder finden sich so auch in den Panels der Comicindustrie wieder. Frauen sind oft entweder irrational handelnde Bösewichte, übertrieben maskuline Kampflesben oder schlichte Love Interests, die dem männlichen Helden etwas mehr Tiefe verleihen sollen. Und außerdem sind sie fast immer in denkbar unpraktische, aber dafür entblößende Kleidungsstücke gequetscht. Doch die Brutalitäten, denen diese Figuren ausgesetzt sind, setzen dieser Darstellung die Krone auf.

Die Gewalt gegen Panel-Frauen blieb nicht unbemerkt. Eine der größten Kritikerinnen war die Autorin Gail Simone (Autorin von Wonder Woman, Deadpool). Simone stellte die Website Women in Refrigerators online, in der sie Akte übertriebener und extremer Grausamkeit an weiblichen Superheldinnen auflistet. Die Spannbreite physischer und psychischer Brutalität reicht dabei vom Tod naher Angehöriger, über den Verlust ihrer Kräfte, bis hin zu Folter, Missbrauch, Vergewaltigung und Tod. Desweiteren versucht sie auf der Website Ansätze zu liefern, warum gerade Superfrauen in Comics derart gehäuft Opfer solcher Gewalt werden und sammelt Reaktionen wichtiger, männlicher wie weiblicher, Persönlichkeiten des Mediums.

Ein Einwand mag sein, dass auch männlichen Helden viel Schreckliches zustößt. Allerdings ist Gewalt gegen Männer häufiger Mittel der Charakterentwicklung. Auf der anderen Seite ist klar, dass ein Fall wie der Mord an Alex DeWitt nur dem Zweck diente, Kyle Rayner als Figur mehr Tiefgang zu geben. Ein anderes Beispiel: Als Superman starb, kehrte er nach kurzer Zeit zurück. Supergirl  war nach ihrem Tod in Crisis on Infinite Earths bei weitem nicht so glücklich und blieb lange Zeit verschwunden. Männer in Comics leiden um ihres Charakters willen –  Frauen leiden um zu leiden.

Männer vor und hinter den Panels

Comics sind, mehr noch als Filme oder Fernsehen, ein männlich dominiertes Medium. Dies gilt sowohl für Rezeption als auch Produktion und ist auch in den Geschichten auffällig. Laura Mulvey, feministische Filmtheoretikerin,  spricht in Bezug auf Film und Fernsehen von der Frau als passives Anschauungsmaterial für den Mann. Dies kann man auch auf Comicheldinnen übertragen.

Nur sind Superheldinnen und Superschurkinnen nicht wirklich passiv. Ihre Kräfte machen sie, je nach Art und Ausprägung, männlichen Figuren oft ebenbürtig und teilweise überlegen. Weibliche Figuren mit Superkräften sind deshalb eine viel größere Gefahr für Männer, und um nach Mulvey zu gehen: wecken in diesen die Angst vor Kastration. Derart mächtige Frauen verunsichern männliche Produzenten und Rezipienten. Um dem entgegen zu wirken, wird weiblichen Comicfiguren viel härter mitgespielt. Der männliche Leser rezipiert voyeuristisch, wie starke Frauen in Comics entmachtet werden, starke Männer aber obenauf bleiben.

Ausnahmen bestätigen die Regel

Natürlich muss noch gesagt werden, dass nicht alle weiblichen Figuren aus solche extremen Situationen schwächer hervorgehen. Barbara Gordon  ist hierbei ein gutes Beispiel. Als Batgirl unterstützte sie lange Zeit Batman im Kampf gegen das Verbrechen in Gotham. Als sie jedoch in The Killing Joke von Batmans Erzfeind Joker angeschossen wurde, war sie in späteren Geschichten an den Rollstuhl gefesselt. Doch Barbara ließ sich davon nicht unterkriegen und kämpfte fortan als Hackerin und strategisches Genie weiter gegen das Böse. Sie wurde so Anführerin des Superheldenteams Birds of Prey und die Geschichten nach ihrer Lähmung erfreuen sich großer Beliebtheit. Zwar wurde auch sie „geschlagen“, aber sie hat das Beste aus ihrem Schicksal herausgeholt.

Neue Zeiten?

Wenn man Comics liest, weiß man, dass man sich auf ein klischeebehaftetes Männermedium einlässt. Solange die Geschichten um weibliche Figuren weiter zentral in den Händen von männlichen Autoren und Künstlern liegt, werden Heldinnen weiter in ihre Schranken gewiesen. Doch der Erfolg einzelner Künstlerinnen bringt mittlerweile frische Luft in die Männerrunde. Und seit Simones Website Online gegangen ist, können sich die Macher nicht mehr einfach unbemerkt davonstehlen. Eine Empfehlung am Rande: Starke Frauen schaden dem Medium nicht und unsichere Rezipienten sollten sich an ihre Anwesenheit gewöhnen. Außerdem könnte Wonder Woman mit Superman problemlos den Boden wischen. Und das ist nichts schlechtes. Es gleicht nur Kräfteverhältnisse aus.

Zum Thema:

Gail Simone: Birds of Prey und Wonder Woman

Alan Moore: The Killing Joke

 

 

 

 

 

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