Karl Urban

Karl Urban und die Raumfahrer

Von Stefanie Hoschka und Lea Caspar

Der Weltraum, unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2019, die Mondlandung jährt sich zum 50. Mal. In Tübingen-Bühl brennt die Sonne vom Himmel. Hier treffen wir Karl Urban, Wissenschaftsjournalist. Die unendlichen Weiten sind sein Spezialgebiet, seine Themen: Geologie, die Erde, der Weltraum. 

Seine Kommandozentrale befindet sich in einem Einfamilienhaus. Wir klingeln, die Tür geht auf. Karl Urban sieht aus wie auf den wenigen Fotos, die man von ihm findet: er ist eher schmal, jungenhaft und trägt Brille. Sein Büro ist aufgeräumt und ruhig, die Farben sind kühl. Karl hat es sich selbst ausgebaut; es gibt ein Studio, in dem er seinen Podcast AstroGeo aufnimmt und ein Schreibzimmer. Hier steht sein Schreibtisch, an den Wänden hängen ein großes Whiteboard und drei Poster, die aussehen wie alte Filmplakate. Karl erzählt, dass die Poster von der NASA stammen und dass sie seiner kleinen Tochter sehr gefallen. Zu sehen sind die Eismonde von Saturn und der Jupitermond Europa, unter ihren Oberflächen befinden sich flüssige Ozeane. Wir können uns gut vorstellen, wie Karl auf Lesereise bei seinem Publikum die Faszination für die Erde und die Weiten des Alls weckt. 

„Star Trek hat mich sozialisiert“

Bei Karl begann die Faszination mit Star Trek, und zwar mit Next Generation und Deep Space Nine. Im Alter von 15 Jahren gründete er mit anderen Star Trek-Begeisterten Raumfahrer.net, ein Portal, auf dem sie zunächst Übersetzungen von Pressemitteilungen der Raumfahrtbehörden NASA und ESA veröffentlichten. Seine Klassenlehrerin unterstützte Karls journalistische Tätigkeit und akzeptierte seine Entschuldigungsschreiben, wenn er während der Unterrichtszeit mal auf eine Pressekonferenz ging. Nach dem Abitur war klar, dass er etwas mit Astronomie studieren wollte. Er probierte es zwei Semester lang mit Physik, das Fach war ihm aber zu wenig handfest. In der Geologie fühlte er sich dann zu Hause; sein Auslandssemester in Island hat ihn begeistert. Bis zu seinem Studienabschluss ging er davon aus, wie die meisten seiner Kommilitonen nach dem Abschluss als Geologe im Rohstoffbereich zu arbeiten. 

Es kam anders. Anstatt sich auf Gold- oder Erdölsuche zu machen, bekam er einen Platz in einem Mentoring-Programm der Initiative Wissenschaftsjournalismus.  einer stiftungsgeförderten Gruppe um Holger Hettwer und Franco Zotta. Seminare, Stipendien und Kontakte zu Redaktionen verhalfen den noch jungen Karrieren der insgesamt 12 AbsolventInnen zur Initialzündung. Sowohl die Anschubfinanzierung als auch das Netzwerk zu Redaktionen und Kollegen waren die Basis für Karls freiberufliche Journalistentätigkeit, der er seit 2011 nachgeht. Gemeinsam mit seinen MitstipendiatInnen gründete er Die Fachwerkstatt, einen virtuellen Journalisten-Verbund, in dem er nach wie vor aktiv ist. 

Die Weltraumreporter

Die Weltraumreporter sind ein Magazin der Riffreporter: Hier geht es um
neue Technologien in der Raumfahrt, Gefahren durch Asteroiden oder die
nächste Mondfinsternis. Das Angebot lässt sich kostenpflichtig
abonnieren, um die Arbeit der vier Journalisten zu unterstützen. Etliche
der Artikel, der Podcast „AstroGeo“ und der Newsletter „Weltraumreport“
sind auch frei zu haben.
http://www.weltraumreporter.de

Ein Großraumbüro kommt nicht in Frage

Sein Büro ist gleichzeitig eine Außenstelle der Fachwerkstatt. Hier kann Karl in Ruhe seiner Arbeit nachgehen. Er arbeitet gern allein, stellt Anfragen lieber per Mail als per Telefon. In einer hektischen Redaktion oder einem Großraumbüro kann man ihn sich schlecht vorstellen. Er genießt es, sich tief in ein Thema einzuarbeiten, Paper zu lesen und Gespräche mit Forschern zu führen. Für einen halbstündigen Beitrag im Deutschlandfunk investiert er zunächst eine Woche, um Experten zum Thema zu finden, zeichnet dann bis zu zwölf Stunden Interviews auf und recherchiert insgesamt einige Wochen bis Monate.

Zu seinem Tagesgeschäft gehört es auch, die Meldungen in den großen wissenschaftlichen Journals zu sichten. Wenn ihn ein Thema anspricht, macht er tagesaktuelle Beiträge für das Radio. Drei bis vier Wochen im Jahr ist Karl auf Explorationsmissionen unterwegs, auf wissenschaftlichen Konferenzen oder auf Recherchereisen. Rauskommen ist für ihn eine willkommene Abwechslung und er schätzt den Austausch mit Kollegen und die gegenseitige Unterstützung sehr.   

„Ich habe lieber mehr inhaltliche Tiefe.“

 Schrott im Weltall, Raumfahrt, die Entstehung der Erde – von Steinen bis zu den Sternen: Karls Themen sind inhaltlich tief und hochkomplex. Dieser Komplexität kann er am besten in Texten und auditiven Medien gerecht werden, findet er. Er schreibt für Tageszeitungen und seinen Blog AstroGeo und nimmt Beiträge für’s Radio und seinen Podcast auf.

Unsere Erde

2013 publizierte Karl ein Sachbuch. Foto: Stefanie Hoschka

Am geschriebenen Wort schätzt er, dass die Leser sich in Ruhe damit auseinandersetzen können und nach eigenem Gusto vor- und zurückspringen können, so wie er, wenn er für einen Beitrag wissenschaftliche Texte  studiert. Für die Nachwuchswissenschaftler hat er sogar 2013 das Buch Unsere Erde. Der Blaue Planet innerhalb der Sachbuchreihe WAS IST WAS publiziert. In seinen Hörbeiträgen achtet er darauf, nicht nur die Inhalte sondern auch die Persönlichkeiten seiner Interviewpartner zu transportieren. Diese Aspekte gefallen ihm auch an anderen Interview-Podcasts, die er gern in seiner Freizeit hört, z.B. beim Joggen.

Wissenschaftsjournalismus versus PR

Karl hat das geschafft, was für viele so unerreichbar scheint wie weit entfernte Galaxien: Er arbeitet freiberuflich als Journalist und kann davon leben. Manchmal muss er sogar Anfragen ablehnen. Wie geht das? Karl ist optimistisch, was sein Feld angeht. In einer komplexer werdenden Welt gibt es immer Bedarf für Menschen, die sich an die komplexen Themen rantrauen und diese greifbar machen. Karls Spezialgebiet geht weit über die Welt hinaus, bis tief ins All hinein, seine Expertise ist gefragt.

Trotzdem macht er sich viele Gedanken über seinen Beruf und die schlechten wirtschaftlichen Bedingungen, denen viele seiner Kollegen ausgesetzt sind. Viele von ihnen haben einen Zweitjob im PR-Bereich; auch Karl macht manchmal etwas PR. Er achtet streng darauf, transparent damit umzugehen und diese Arbeit thematisch von seiner journalistischen Arbeit zu trennen. Seine Definition von Journalismus ist, dass mögliche Interessen eines Auftraggebers nicht mit in seine Arbeit einfließen, dass er selbst entscheidet, in welchem Licht er über ein Thema berichtet. Die aktuelle Diskussion, Wissenschaftsjournalismus und Wissenschafts-PR zusammenzuschließen hält er für virtuell, da es für ihn ganz klar zwei unterschiedliche Bereiche sind. Er glaubt, der Wissenschaftsjournalismus würde dadurch nur verlieren.  

“Ob das am Ende funktioniert, weiß noch keiner von uns.”

Im und um den Journalismus herum gibt es viele Diskussionen, wie die Bedingungen für Journalisten verbessert werden können. Eine Bewegung um den Geschäftsführer der Wissenschaftspressekonferenz Franco Zotta fordert, dass das Forschungsministerium eine Stiftung zur Förderung des Wissenschaftsjournalismus aufsetzt. Karl selbst hat seine Karriere ja stiftungsgefördert im Mentoring-Programm begonnen. Dennoch analysiert er diesen Lösungsansatz kritisch und befürchtet, dass er unter Umständen nicht nachhaltig sein könnte. Erstens ist da die Abhängigkeit von der Parteipolitik. Zweitens gibt er zu bedenken, dass eine Art Selbstzensur stattfinden könnte, da man “am Ende nicht die Hand beißt, die einen füttert” und die Berichterstattung in manchen Fällen etwas zu vorsichtig ausfallen könnte. Trotz kritischem Blick hält er ein Stiftungsmodell für keine schlechte Idee, findet aber, dass es durch alternative Ansätze ergänzt werden müsste. 

Einen solchen alternativen Ansatz verfolgen die RiffReporter, bei denen Karl Mitglied ist. Es handelt sich hierbei um einen genossenschaftlichen Zusammenschluss von Journalisten, den es seit 2017 gibt.  Das Konzept ist konträr zum Stiftungsmodell. Hier wird versucht, neue Möglichkeiten zu finden, wie sich freie Journalisten unabhängig von Verlagen besser aufstellen und vermarkten können.  Das Ziel ist, neue Bereiche, neue virtuelle Räume zu erschließen. Es ist eine Exkursion ins Unbekannte und ob sie am Ende fruchtet, weiß noch niemand von den inzwischen 95 beteiligten Journalistinnen und Journalisten. 

RiffReporter

2017 wurden die RiffReporter mit dem Netzwende-Preis ausgezeichnet. Ein Jahr später erhielten sie den Grimme Online Award in der Kategorie „Wissen und Bildung“. Das Besondere an diesem Online-Magazin: Du kannst als Leser Beiträge einzeln kaufen, Projekte oder das ganze Riff abonnieren, oder Autoren direkt fördern.

Wissenschaftskommunikation als Pflicht

Trotz, oder eher gerade aufgrund seiner kritischen Worte, erleben wir Karl als überzeugten Journalisten. Er sieht den Journalismus in der Pflicht, seiner wichtigsten Aufgabe nachzugehen: den Rezipienten zu helfen, (politische) Effekte in einen Kontext einzuordnen. Als Beispiel nennt er den Zusammenhang zwischen Klimawandel und Flucht und meint, dass der Wissenschaftsjournalismus hier einen Beitrag leisten muss, komplexe Vorgänge verständlicher zu machen. Ebenso bei der Glyphosat-Diskussion, dem Insektensterben, …  –  Themen gibt es genug. Dem Journalismus sollte es laut Karl darum gehen, die Gesellschaft zu erreichen und aufzuklären und ihr zu ermöglichen, aufgeklärte Entscheidungen zu treffen. Also um nichts weniger als die Ideen der Aufklärung und die Basis der Demokratie. 

“Auch die Grautöne abzubilden, das ist etwas, das mich antreibt.”

China in Space

Seine Größte Herausforderung: Ein Interview mit chinesischen Forschern. Foto: Stefanie Hoschka

Karl betrachtet sich nicht als Agenda-Setter, ihn interessieren die kleinen und unterberichteten Themen. Er strebt danach, eine realistische Abbildung der Dinge zu erreichen, die über die Allgemeinbildung der meisten Leute und die kurzen Berichte im Politikteil der Tageszeitungen hinausgeht. Ein Thema, das ihn besonders gepackt hat, ist die chinesische Raumfahrt. Zu gerne würde er darüber berichten, die Perspektive des deutschen Publikums erweitern und von Stereotypen und Vorurteilen befreien. Er recherchiert hartnäckig,  versucht mit chinesischen Forschern ins Gespräch zu kommen. Immer wieder stößt er dabei auf kulturelle und politische Grenzen, auf 20 E-Mails bekommt er durchschnittlich gerade mal eine Antwort, Doktoranden dürfen meist keine Auskunft geben. Es ist schwierig, aber Karl wird dranbleiben und versuchen etwas Licht ins Dunkel zu bringen. Manchmal ist dies auf der Erde schwieriger als im All. 

 

Karl Urban

Karl Urban

Karls Heimstudio. Foto: Stefanie Hoschka

Wohnort: Tübingen

Studium: Geologie

Weg zum Journalismus:

Mentoring-Programm der Initiative für Wissenschaftsjournalismus

(Mit-)Gründer:

Pikarl, Raumfahrer.net, Die Fachwerkstatt

 

Was macht für Dich einen Wissenschaftsjournalisten aus?

 

“Meine persönliche Definition ist, dass die Dinge, über die ein Journalist schreibt, nicht vom Auftraggeber vorgegeben werden, also dass keine Interessen des Auftraggebers mit in die Arbeit des Journalisten einfließen. Ein Medium kann einem Journalisten einen Auftrag zu einem Thema geben, aber die Entscheidung, in welchem Licht über das Thema geschrieben wird, muss der Journalist fällen. Das ist für mich der entscheidende Unterschied zur PR.”