Jung, kreativ und voller Überraschungen – Die Young Animation 2015

von Maya Morlock

Bunt, schrill, triefgründig, minimalistisch, schwarz-weiß – die Young Animation sprudelte nur so vor Varianz und Ideenreichtum. Kein Film glich dem anderen, thematisch war jedes Werk einzigartig. Auch in diesem Jahr wurden die besten studentischen Kurzfilme im Bereich Animation aus allen Teilen der Welt im Rahmen des Internationalen Trickfilmfestivals vor Publikum vorgeführt. Einer wurde schließlich gekürt und mit 2500 Euro Siegerprämie belohnt.

Animation ist nicht gleich Animation

Erstaunlich waren die vielen unterschiedlichen Techniken, die für die Produktion der Filme genutzt wurden. „Animation“ wurde in vielerlei Hinsicht interpretiert: Einige Produktionen erinnerten stark an die großen Animationsstudios, wie Pixar oder Dreamworks, andere wurden komplett mit dem Bleistift gezeichnet. In einem Film aus Russland wanderten reale Mülltüten durch eine russische Stadt – dort wurden entsprechend nur die Bewegungen animiert.

Der Film „Pineapple Calamari“ von Kasia Nalewajka aus Großbritannien zeigt zum Beispiel einen typischen Puppet Animation Film, der mit Knetpuppen gedreht wurde. Liebevoll gemachte Figuren, mit einem Auge fürs Detail, entwickeln dort eine märchenhafte Szenerie. Das Pferd namens Pineapple Calamari ist ein kleines Rennpferd, dem nur noch sein größter Triumph zur Erfüllung seiner Träume fehlt. Zwei Schwestern, die eine innige Beziehung pflegen, betreuen das Pferd. Als eine Schwester auf tragische Weise ums Leben kommt, ersetzt das Rennpferd die Rolle der toten Schwester, da es die Trauer der anderen nicht ertragen kann. Es wird träge und dick – der Traum vom großen Preis scheint mehr und mehr unerreichbar.

Dagegen erinnert die Szenerie in „Abducked!“ stark an die gezeichneten Bilder des Künstlers Janosch, die unter anderem in seinem bekanntesten Werk, der „Tigerente“, vorkommen. In diesem kurzen Film versucht ein Jäger eine harmlos wirkende Ente mit einem Gewehr zu erschießen. Diese, unbeeindruckt von jeder Kugel, schwimmt einfach seelenruhig weiter. Plötzlich wird der Mann ins Gebüsch gezogen, um sogleich gefesselt und von Enten getragen in das unterirdische Geheimversteck gebracht zu werden. Dieses befindet sich im See unter der Ente – die lediglich als Attrappe diente.

Herausragend war ebenso der bulgarische Film „Traffic“, der mit der Technik „Pixilation“ gedreht wurde. Das ist eine Stop-Motion-Technik und bezeichnet das Filmen von Personen und Gegenständen mit Einzelbildschaltung. Eine Menschenmenge steht an einer roten Ampel. Das Bild zappelt und flimmert kontinuierlich, die Striche eines Gesichts beispielsweise verändern sich ständig. Immer mehr drängen sich an die Straße, gegenüber herrscht auch schon ein tumultartiges Treiben. Als die Ampel nach einer gefühlten Ewigkeit auf Grün umspringt nimmt das Schicksal seinen Lauf und eine Massenpanik bricht auf der Straße aus. Ergebnis: Einige Menschen bleiben totgetrampelt zurück, darunter auch das kleine Mädchen, welches zu Beginn führende Aufmerksamkeit erhielt. Das hektische Flimmern und die schwarz-weißen Bilder, erzeugten von Anfang an eine Unruhe, die sich im weiteren Verlauf des Filmes bestätigt.

Zwischen europäischer Denkweise und asiatischer Ausdruckskraft

Einige Filme stammten aus Asien, darunter ein Großteil von der Tokyo University of Arts – so auch der Siegerfilm. Man merkte bei fast jedem dieser Filme, noch bevor der Regisseur oder die Universität genannt wurde, dass es sich um einen außereuropäischen Beitrag handeln muss. Warum? Bild und Erzählweise waren meist sehr skurril und andersartig und hinterließen oftmals ein großes Fragezeichen. In „A tongue silent like your words“ von Vita Weichen Shu  gehen zwei menschenartige Gebilde eine Art Symbiose ein (Bleistiftzeichnung): Einer gräbt sich durch die Bauchdecke des anderen, mit seinen Fingern reißt er ihm den Rücken auf, tiefe Furchen bleiben zurück. Das Bein des Anderen findet derweil seinen Weg und kommt aus dem Hinterteil heraus – was wohl genau der höhere Sinn sein soll, ist wohl kulturbedingt oder eine Interpretationssache. In „The Pompoms“ von Shih Ying Chen aus Taiwan trotten sonderbare, zweidimensional animierte Gestalten mit langen blauen Haaren durch die Wüste und graben kontinuierlich nach Wasser. Sie erinnern leicht an Meerjungfrauen, haben jedoch Beine. Ab und zu stoßen sie auf Öl, was sie krank und hässlich macht. Einige verenden an der Hitze, ihre Kumpane reißen ihnen unbeirrt die Arme aus, um diese als Grabwerkzeug zu benutzen. Kurz bevor die übrig gebliebenen den Tod finden hören sie einen Wellengang und laufen los. Es ist das tosende Meer in das sie ohne Furcht von einer Klippe aus hineinspringen – ob dies ihre Erlösung, ihre wahre Heimat oder ihr Tod aus Gier ist, wird nicht aufgglöst.

Gewinner der Herzen

Bei dieser Fülle an gelungenen Beiträgen fällt es schwer einen Gewinner zu wählen. Wählt man eher einen Film, der sehr professionell gemacht ist und als Vorfilm eines Pixar-Films im Kino laufen könnte oder eher einen handgezeichneten, surrealistischen Film wie jene aus Asien?
Mein persönlicher Favorit, der aber leider nicht gewonnen hat, ist „Oma“ (Originaltitel „Grandma“) aus Belgien, der von Karolien Reymaerkers stammt. Es geht um ein junges Mädchen, das für ihre unheilbar kranke Oma seine Angst überwinden muss. Die Szenerie zeigt eine ländliche Gegend, hohe Sträucher und Wälder sind zu sehen. Sie sind atemberaubend gemalt und wirken ein bisschen wie die Landschaftsmalereien des Künstlers Claude Monet und haben etwas Fantastisches an sich. Den harten Kontrast dazu bilden die Figuren des Mädchens und ihrer Großmutter, die gänzlich schwarz sind – nur die Konturen und das Gesicht sind zu erkennen. Farben bestimmen hier die Stimmung, der Himmel tönt sich auf einmal blutrot, als die Thematik der todgeweihten alten Frau auftaucht und das Mädchen verängstigt die Flucht antritt.
Als das Mädchen es schafft die Oma loszulassen,  entspannen sich die Farben wieder und das traumhafte Bild ist erneut zu sehen.

Von Lügenmärchen und der Milchkuh

Zu guter Letzt nun der Film, den die Jury bestehend aus Jürgen Hagler (Linz), Marc Riba (Barcelona) und Alison Schulnik (Los Angeles) zum Sieger gekürt hat: „My Milk Up Cow“ (Originaltitel: Cup No Naka No Koushi). Die Regisseurin erzählt hier von ihrer Vater-Tochter-Beziehung und ist im Film als kleines Mädchen zu sehen. Es sind Papierzeichnungen, die nicht auf eine möglichst reale Darstellung aus sind. Ihr Vater erzählt ihr, am Boden ihres Milchbechers befinde sich eine Kuh, damit die kleine Nunu ihre Milch austrinkt. Als diese die Tasse schleunigst leert, entdeckt sie, dass dies nicht der Wahrheit entspricht. Im weiteren Verlauf tischt der Vater ihr immer mehr Lügen auf, weshalb sie allmählich aufhört, ihm Glauben zu schenken. Diese Art der Kommunikation prägt sie bis heute, denn sie beobachtet bei sich selbst, dass sie nun auch anfängt, Notlügen zu benutzen.

Bei der Fülle an tollen Filmen konnte an dieser Stelle bedauerlicherweise nicht auf alle eingegangen werden. Die Animationsfilmproduzenten von Morgen sprudeln nur so vor Kreativität und zeigten, dass auch ein geringes Budget den Möglichkeiten eines kreativen Kopfes keine Schranken setzen kann. Wer dieses Ereignis verpasst hat, sollte sich die Young Animation im kommenden Jahr dick im Kalender markieren, denn auch dann wird es heißen: „Film ab für die besten internationalen Studentenfilme!“

 

Foto: Internationales Trickfilm-Festival Stuttgart