Ist Klimaschutz aus der Mode?
Wie Aktivist*innen mit politischer und gesellschaftlicher Verdrossenheit umgehen (Teil 2)
Von Jan Pfretzschner
Im ersten Teil des Artikels haben wir die politische Lage aus der Perspektive der Klimabewegungen – insbesondere von Fridays for Future (FFF)– sowie die politische Verdrossenheit der Bevölkerung und mögliche psychologische Erklärungsansätze angesehen. Im zweiten Abschnitt des Artikels widmen wir uns den Methoden, mit denen Klimabewegungen aktiv bleiben und der wachsenden Verdrossenheit entgegenwirken können. Welche Strategien könnten Aktivist*innen helfen, die politische Überforderung in der Gesellschaft zu überwinden und den Klimaschutz wieder als verbindendes Thema zu etablieren?
Radikaler Klimaschutz? Wie extrem sind die Klimabewegungen wirklich?
Zu Beginn soll ein weiteres Problem betrachtet werden: die mediale Darstellung und die, dadurch verstärkte gesellschaftliche Polarisierung. Aktivist*innen der „Letzten Generation“ oder von „Extinction Rebellion“ sorgten 2023 mit ihren Protestaktionen für Aufmerksamkeit – teils auch, weil sie dabei bewusst Gesetze brachen. Die Radikalität des Protests zog mediale Aufmerksamkeit auf sich. In einer Welt, in der um öffentliche Wahrnehmung hart gerungen wird, kann das ein Vorteil sein – denn so gelangte das Thema in die öffentliche Diskussion. Allerdings kann radikaler Protest polarisieren und auch negative Auswirkungen haben. In der öffentlichen Debatte wurden sie daraufhin häufig pauschal als Kriminelle bezeichnet; in Boulevardmedien und Teilen der Politik fand sogar der Begriff „Klima-Terrorismus“ Verbreitung. Gemäßigte Klimaaktivist*innen befürchten, dass dies dem Anliegen des Klimaschutzes eher schaden könnte – Menschen könnten sich dadurch vom Thema abwenden, statt sich selbst für mehr Klimaschutz zu engagieren. Doch wie sehr wirkt sich das radikale Vorgehen von einzelnen Klimaaktivistengruppen auf FFF und andere gemäßigte Gruppen im Allgemeinen aus?
Laut Untersuchungen der Uni Erfurt bewirken radikale Gruppierungen wie „Letzte Generation“, dass es innerhalb der Bevölkerung tendenziell zu einer Befürwortung von moderatem Klimaaktivismus führt. In einer PACE Befragung kam die Institution zu dem Ergebnis, dass Aktionen radikaler Klimaaktivist*innen dazu beitragen können, dass Aktionen moderater Gruppen wie FFF als weniger radikal gesehen und eher unterstützt werden. Die positiven bzw. negativen Auswirkungen, die radikale Aktivisten einer Bewegung auf gemäßigte Vertreter derselben Sache haben, wird als Effekt der radikalen Flanke bezeichnet – moderate Gruppierungen können also durch radikale Flanken profitieren. Jedoch ist dieser Effekt klein – relevanter für die Bewertung und Unterstützung der Gruppen war die eigene Handlungsbereitschaft: Je größer die eigene Bereitschaft ist, sich für mehr Klimaschutz zu engagieren, desto stärker unterstützt man entsprechende Gruppen – und zwar deutlich mehr als durch den Einfluss der radikalen Flanke.
Imagepflege für den Klimaschutz?
Nachdem wir uns die Problemlage angeschaut haben, stellt sich nun die Frage, welche Lösungsansätze sich für FFF und Klimabewegungen im Allgemeinen anbieten, um das Vertrauen zurückzugewinnen und der Apathie in Politik und Bevölkerung gegenüber dem Klimaschutz entgegenzuwirken.
So hat FFF in Deutschland bereits gemeinsam mit den Gewerkschaften des öffentlichen Nahverkehrs wie die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft, kurz Verdi, demonstriert. Künftig könnten auch Kirchengemeinden oder Branchen wie die Stahlindustrie, die den Wandel zu klimafreundlichen Technologien beschleunigen wollen, um wettbewerbsfähig zu bleiben, ermutigt werden, sich stärker für den Klimaschutz einzusetzen.
Simon Teune, Soziologe an der Freien Universität Berlin mit dem Forschungsschwerpunkt Protestbewegungen, bestätigt: „Wenn Klimaaktivisten Allianzen mit Gewerkschaften und fortschrittlichen Unternehmen eingehen, entsteht ein starkes, breites Narrativ, dem sich eine konservative Regierung nur schwer entgegenstellen kann.
Die Herausforderungen durch Klima-Desinformationen seien größer denn je, so Experten von Scientists for Future Deutschland, einer Umweltorganisation, die von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern weltweit zur Unterstützung von Fridays for Future gegründet wurde.
Aus psychologischer Sicht empfehlen Experten Bewegungen und Aktivisten, dass Motivation klarer in den Vordergrund gestellt werden soll. „Klimaschutz bedeutet nicht nur Verzicht, sondern kann auch Gemeinschaft und Gesundheit stärken“, sagt Psychologin Dohm.
Gerade in Krisen, wie bei der Flut im Ahrtal, habe Zusammenhalt geholfen, den „Weltschmerz“ zu tragen.
Klimaschutz ist längst nicht aus der Debatte verschwunden – doch seine Wahrnehmung schwankt.
Quellen:
- Themenschwerpunkt Bundestagswahl 2025: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/670815/umfrage/umfrage-zu-den-wichtigsten-themen-im-wahlkampf-zur-bundestagswahl-in-deutschland/
- Welche Themen entschieden die Wahl 2025. https://www.tagesschau.de/wahl/archiv/2021-09-26-BT-DE/umfrage-wahlentscheidend.shtml
- Analyse Koalitionsvertrag: https://www.bund.net/fileadmin/user_upload_bund/bundintern/mitmachen/2025-Bundestagswahl/Bewertung-KoaV-20250506_01.pdf
- DW: Deutschland wie geht es weiter mit der Klimabewegung: https://www.dw.com/de/deutschland-wie-geht-es-weiter-mit-der-klimabewegung/a-71607427 · Statement FFF Koalitionsvertrag: https://fridaysforfuture.de/klima-im-koalitionsvertrag-fehlanzeige/ · Statement FFF zu Haushaltsdebatte: https://fridaysforfuture.de/statement-fridays-for-future-kritisiert-plaene-der-bundesregierung-fuer-den-neuen-haushalt/ · Präventivhaft Bayern: https://www.spiegel.de/politik/muenchen-vor-der-iaa-immer-mehr-klimaaktivisten-in-bayerischer-praeventivhaft-a-88743eda-2066-4df4-b949-bae7ebdb5e11
- FFF Beeinflusst Deutsche Kaum: https://www.tagesschau.de/inland/deutschlandtrend/deutschlandtrend-moma-100.html · Sturzflut Texas: https://www.tagesschau.de/ausland/amerika/usa-texas-hochwasser-100.html · Hitzetote Europa: https://www.tagesschau.de/wissen/klima/bilanz-hitzetote-europa-100.html · Ist Klimaschutz out?: https://www.tagesschau.de/wissen/klima/klimaschutz-psychologie-100.html
- Umfragen zum Klimaschutz: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1427817/umfrage/umfrage-zu-einstellungen-zum-klimaschutz/
- Kognitive Dissonanztheorie: https://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/dissonanztheorie/3529 · Radikal für das Klima: https://www.swr.de/unternehmen/kommunikation/ard-story-radikal-fuers-klima-2023-presse-100.html · Untersuchung der Uni Erfurt: https://projekte.uni-erfurt.de/pace/summary/14/ · Radikale Flanke Definition: https://en.wikipedia.org/wiki/Radical_flank_effect
- Nova-Funk Deutschland: https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/klimaaktivismus-radikaler-protest-fuehrt-zu-mehr-akzeptanz-gemaessigter-forderungen


