Ist das Kunst oder Belästigung?

Die metoo-Bewegung erreichte seit ihrem Beginn schon etliche Bereiche; nun auch die Kunst. Ein Museum in London hängte im Zuge der Debatte das Bild „Hylas und die Nymphen“ von John William Waterhouse ab, da dort nackte Frauen abgebildet waren. Eine Aktion, die zum Nachdenken anregt.

Nach Themen wie Rassismus und ungleiche Bezahlung im Zusammenhang von #metoo folgt nun der letzte Beitrag der Reihe in einer Branche, die von solchen Debatten eher unberührt bleibt: Die Kunst. Im Rahmen dieses Beitrags haben wir ein Interview mit Dr. Nicole Fritz, Leiterin der Kunsthalle Tübingen, geführt und ihr unsere Fragen gestellt.

Kunsthistorisches Frauenbild in der Kritik

Als die Manchester Art Gallery im Januar diesen Jahres entschied, das Gemälde „Hylas und die Nymphen“ aus dem Jahr 1896 abzuhängen, sorgte dies für weitreichende Reaktionen und Diskussionen im Zuge der metoo-Debatte. Es hagelte zunächst viel Kritik, von Zensur war die Rede und einer übertriebenen Aktion – Kunst sei schließlich Kunst, und Debatten wie #metoo ließen sich schwierig auf diese Branche ummünzen.

Waterhouse Hylas and the Nymphs Manchester Art Gallery 1896.15

Motiv ja – aber die Kunst lass mal besser sein

Tatsächlich finden sich in Museen einige, wenn nicht sogar viele Bilder mit nackten Frauen darauf. Ein beliebtes Motiv, so scheint es, das das Frauenbild in ein recht unglückliches Licht rückt. Die Kuratorin der Manchester Art Gallery betonte in einem Statement, dass Frauen entweder als passiv-dekorativ oder als „femme fatale“ dargestellt werden und es Zeit sei, das viktorianische Frauenbild in Frage zu stellen.

Sex sells!

Forscher sollen herausgefunden haben, dass etwa nur 5% der Künstler in der Kunstgeschichte weiblich waren – als Motiv waren Frauen aber sehr beliebt und zierten so ca. 85% aller Gemälde als Motiv. Dabei ist nicht berücksichtigt, in welcher Weise Frauen auf diesen Gemälden abgebildet sind und auch nicht, warum manche Damen nackt sind. So liegt beispielsweise die „Schlummernde Venus“ vom italienischen Renaissance-Künstler Giorgione nackt auf einem selbst hergerichteten Feldbett auf einer Wiese – wieso sie komplett nackt ist, wird nicht wirklich ersichtlich, denn Sonnenbaden war zu dieser Zeit vermutlich eher nicht üblich. Ein weiteres beliebtes Motiv ist außerdem die Venus – sie findet sich auf vielen Gemälden und ist stets spärlich oder gar nicht bekleidet.

Historisch bedingte Entwicklung

Was aber genau so viel, wenn nicht sogar mehr Aufmerksamkeit erregt, ist die Tatsache, dass nur 5% der Künstler bisher Frauen gewesen sein sollen. Das ist eine wirklich sehr kleine Zahl, so sind bekannte Künstlerinnen wie Frida Kahlo eher die Ausnahme. Frauen waren (und sind) in der Kunstbranche relativ unterrepräsentiert. Dies hat mehrere Gründe; zu früheren Zeiten wurde Frauen noch abgesprochen, kreativ sein zu können. Außerdem waren Rollenbilder klar verteilt und weder schulische noch berufliche Ausbildung waren üblich oder erlaubt. Nebst der Rolle als Mutter und Hausfrau war für eine kreative Entfaltung nicht wirklich Platz und gesellschaftlich wurden andere Rollen als diese auch schwer akzeptiert und anerkannt.

Frauen sind (noch) Mangelware

Und auch heute sind in der Kunstbranche Frauen eher Mangelware. Eine Studie des Deutschen Kulturrats ergab, dass zum Beispiel die Leitung von Kunstmuseen oder -hochschulen noch immer anteilig höher von Männern geführt wird. Weniger als 5% Frauen leiten eine Kunsthochschule; immerhin sind in ca. 34% der deutschen Kunstmuseen Frauen in der Führungsposition. Gravierender ist der Verdienstunterschied bei freiberuflichen Künstler und Künstlerinnen. Frauen verdienen für ihre Kunst etwa 27% weniger als ihre männlichen Kollegen – das ist ein ordentlicher Gender Pay Gap (Wer wissen möchte, was das ist: klicke HIER). Die Kunstbranche – eine scheinbar männliche Welt?

Kunst – ein Gesellschaftsspiegel

Ein Wandel ist also spürbar. Dabei ist die Kunstbranche auch selbst ein Teil der menschlichen Geschichte. An ihr und insbesondere an den Kunstwerken können in einer Retroperspektive die gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Verhältnisse der Vergangenheit rekonstruiert und abgebildet werden. Diese selbstreflektierenden Eigenschaften von Kunst geben wertvolle Einblicke in historische Denkweisen und deren Wandel im Laufe der Zeit. So bildet der Gegensatz zwischen dem Bild-Motiv Frau und der gleichzeitigen Unterrepräsentanz ihrer in der Branche selbst die gesellschaftliche Situation in der damaligen Zeit ab – es bleibt der Lerneffekt für heute.

Post-It-Protest

Worauf die Manchester Art Gallery mit ihrer Aktion aber eigentlich abzielen wollte, war eine Auflebung des Diskurses um Frauenbilder in der Kunst und wie dieses gezeigt werden soll. Die Reaktionen kamen und übertrafen die Erwartungen der Museumsmitarbeiter. In Form von handgeschriebenen Notizen auf Post-Its drückten Museumbesucher und Kunstbegeisterte ihre Meinungen zu der Aktion aus und machten so ihren Gedanken (und auch Ärger) Luft. Ein Besucher schreibt: „Ein gutes Beispiel, um die Debatte anzuregen – aber hängt es zurück! Und analysiert den Kontext des Gemäldes.“. Eine andere Reaktion lautet: „Definiert euch nicht über binäre Genderdefinitionen!?! Wirklich. Feiert Frauen“.

Nicht so einverstanden war der Verfasser dieser Notiz: „Wieso nicht das Gemälde „Sirens and Ulysses“ aus Halle 6 entfernen? Basiert auf einem ähnlichen Konzept der ‚femme fatale‘. War es ein wenig zu schwer, um es wegzutragen?“ (‚Sirens and Ulysses‘ ist ca. 4,2m*2,9m groß). Viele andere Stimmen fanden es einerseits politisch korrekt und angemessen, andere warnten vor einer kritischen Entwicklung, in der wichtige Geschichte ausradiert werden könnte. Prinzipiell strahlt die Aktion von Sonia Boyce Solidarität aus – sie möchte sagen, „Hey, auch hier in der Kunst lief und läuft nicht alles richtig!“. Während viele die Aktion für unangebracht empfanden, halte ich sie genau für richtig: Denn auch wenn Kunst sich an solchen Themen regelmäßig vorbeischleicht – nach dem Motto „Kunst ist halt Kunst“ – heißt das nicht, dass keine Probleme existieren oder Strukturen nicht in Frage gestellt werden sollten.

Zensur? – No Way!

Unter anderem befürchteten viele Zensur im Zuge der metoo-Debatte – das war jedoch nicht die Absicht der Aktion. Kuratorin Gallaway betonte, dass die Abstinenz des Bildes keine Zensur sei, sondern zum Nachdenken über den Umgang mit solchen Kunstwerken anregen solle. Das ist ihr in jedem Fall gelungen. Außerdem sei das Abhängen des Bildes schon anfangs nur temporär geplant worden – meinte Gallaway zumindest im Nachhinein. Eine Woche später hing das Bild wieder an der Wand – und die Welt der Kunst war (fast) wieder in Ordnung.

Debatten wie #metoo sind in allen Bereichen wichtig, denn sie thematisieren aktiv gesellschaftliche Problemstrukturen und machen darauf aufmerksam. Das kann einen gesellschaftlichen Wandel auslösen, bei dem die Probleme öffentlich angegangen werden. Gesellschaftspolitische Debatten und ihr Einfluss sollten daher nicht unterschätzt werden. Sie sind wichtig – und sie werden gebraucht.

Meine anfänglichen Gedanken, als ich das erste Mal von #metoo hörte, waren in etwa: „Ach, schon wieder so ein Hashtag“. Das zeigt vielleicht schon, wie man mit dem Thema #metoo umgehen kann und wie schnell es in eine Schublade gesteckt wird. Dabei steckt so viel mehr dahinter; wir alle können in unserer eigenen Weise von #metoo betroffen sein. In meiner Reihe habe ich mich mit verschiedenen Themen beschäftigt, die allesamt mit #metoo verwoben und Teil der Debatte waren. Die unterschiedlichen Aspekte und die enorme Reichweite des Themas haben mir gezeigt, wie vielseitig damit in unserer Gesellschaft umgegangen wird. Umso wichtiger ist es, dass weiterhin diskutiert wird. Denn gesellschaftlicher Wandel kann nur entstehen, wenn Probleme erkannt und auch als solche thematisiert werden – und das kontinuierlich unter aktiver Partizipation der Gesellschaft. Das lässt sich auf unzählige Beispiele beziehen und zeigt: Wir können etwas bewirken, wenn wir es wirklich wollen. Deshalb sind Debatten so wichtig – und werden es auch bleiben.