Eine Bewegung in die falsche Richtung – #metoo und Rassismus

Die metoo-Debatte hat auch den rechten Rand erreicht. Vor einiger Zeit kursierte das Hashtag #120dB durch soziale Netzwerke wie Twitter und Facebook. Sogar ein Kampagnenvideo gibt es auf der Website, in dem verschiedene deutsche Frauen von sexuellen Übergriffen erzählen und wie sie sich nun davor schützen wollen. Eigentlich eine gute Idee – wäre da nicht dieser fiese Beigeschmack von Rassismus.

Weiter geht es in meiner Blog-Reihe rund um #metoo. In meinem letzten Beitrag habe ich mich mit Hashtag-Aktivismus und den Anfängen der #metoo-Debatte auseinandergesetzt. Da bleiben wir doch direkt bei den Hashtags und schauen uns an, wie eine andere Gruppierung #metoo für sich versteht.

Hashtags everywhere

Zu nahezu allem gibt es mittlerweile ein Hashtag. Genutzt werden kann er in jedem sozialen Netzwerk. Das machen sich auch viele Gruppen und Bewegungen zunutze; nicht zuletzt ist das Hashtag #metoo mit großer Resonanz genutzt worden. So habe ich auf Twitter beim Stöbern in den Trends das Hashtag „#120dB“ entdeckt.

 

Ein Taschenalarm gegen Übergriffe

Es ging darum, dass Frauen eine Art Geräuschmelder bei sich tragen, der bei Aktivierung ein extrem lautes Alarmsignal von sich gibt – 120 Dezibel laut, wie auch schon das Hashtag beschreibt. Das entspricht in etwa der Lautstärke einer Kettensäge oder eines Gewitterdonners. Aktiviert werden soll er bei Gefahr eines sexuellen Übergriffs – coole Sache, dachte ich zunächst. Aber mit zunehmender Lektüre der Posts wurde für mich die Botschaft zwischen den Zeilen deutlich. Das Hashtag ruft zwar gegen sexuelle Gewalt gegen Frauen auf, aber hauptsächlich gegen, wie es heißt, „importierte Gewalt“.

Importierte Gewalt vs. Exportierter Verstand?

Importierte Gewalt – dieser Begriff wird auf der offiziellen Website von 120db häufig genutzt. Dort wird erklärt, wer hinter der Kampagne steht und auf was sie abzielt. Die Initiatorinnen sind ein „Kollektiv aus Frauen“ aus dem deutschsprachigen Raum, die Frauen eine Plattform geben wollen, die Opfer von „Ausländerkriminalität“ wurden. Auch soll die Bewegung die gegenwärtige Politik anprangern und im Allgemeinen als offenes Sprachrohr zur Aufklärung und Information gegen sexuelle importierte Gewalt dienen.

Die Diskussions-Crasher

#120db ist eine Kampagne, die sich nicht nur auf das Internet beschränken soll („Anders als #metoo […]“), sondern auch im öffentlichen Raum auftreten will. So geschah dies bei der Podiumsdiskussion „Kultur will Wandel!“ im Rahmen der Berlinale im Februar diesen Jahres. Thema war die metoo-Debatte und ihre Relevanz in der Film- und Fernsehbranche, bei der Aktivistinnen und auch bekannte Prominente wie Natalia Wörner und Bundesministerin für Familie und Jugend, Katharina Barley, vor Ort waren. Mitten in der Diskussion traten die Aktivistinnen von #120db auf die Bühne, in den Händen ein riesiges Banner mit der Aufschrift „Die Stimmen der vergessenen Frauen – #120db“. Die Diskussion wurde daraufhin kurz unterbrochen; ein Dialog kam aber nicht zustande.

Aus der Menge der Zuschauer kamen Rufe wie „Nazis raus!“ – in öffentlicher Berichterstattung wird von einer „rechten Bewegung“ gesprochen, von einer Hetze gegen Zuwanderer und Ausländer. Auf der anderen Seite findet die Kampagne Zuspruch von Gleichgesinnten. Von zu viel „Relativierung von Vergewaltigung“ wird gesprochen und der „richtigen Antwort auf #metoo“. Dass #120db gar nicht mehr auf das abzielt, was eigentlich Thema der metoo-Debatte ist – nämlich sexuelle Belästigung und Sexismus in einem Machtgefälle, rückt in den Hintergrund. Viel mehr liegt die Konzentration auf Migranten. So nutzen die InitiatorInnen den Erfolg des Hashtags #metoo dafür aus, um gezielt Zuwanderer anzugreifen. Kritisch sehen einige, dass die Bewegung sich nur mit Frauen als Opfern beschäftigt – sie blende Gewalt gegen Jungen und Männer komplett aus.

Rassisten? Wir doch nicht!

Zu Rassismusvorwürfen nehmen die Initiatoren auf ihrer Website Stellung. Sie wehren sich gegen diese Vorwürfe und nehmen die polizeiliche Kriminalstatistik aus dem Jahr 2016 als Argumentationsgrundlage.

Auch wenn hier eine vom Staat vorliegende Polizeistatistik stützend unterstreicht, was die Initiatorinnen anprangern wollen – #120dB bietet rechten Stimmen einen hervorragenden Nährboden, um sich zu erheben. Denn die sind unzufrieden mit der Flüchtlingspolitik der Regierung und nutzen das Hashtag, um ihren Unmut auszudrücken.

Die Identitäre Bewegung – ein Wolf im Schafspelz

Dass aber bei den InitiatorInnen auch ganz andere Dinge im Fokus stehen, zeigt ein Blick in deren Kampagnen-Video. Mehrere der Frauen sind bekannte Aktivistinnen der „Identitären Bewegung“, die Experten dem Rechtsextremismus zuordnen. Die IB vertritt ein kulturrassistisches Konzept und sehen sich innerhalb Europas vom Islam bedroht. Leiter der IB Österreich ist Martin Sellner. Er ist bekannt für seine rechtsextreme Position und das damit verbundene Frauenbild.

Nach einer Recherche bezüglich Martin Sellner fand ich heraus: Ebendieser Martin Sellner hat auch die Domain 120db.info gegründet. In diesem Licht erscheint die Initiative, Frauen vor Übergriffen zu schützen, sehr fade – lassen diese Verknüpfungen zur Identitären Bewegung doch durchscheinen, was die wahren Absichten der InitiatorInnen sein können. Ihren Ansichten zur kulturellen Reinhaltung des „Volks“ kennen wir bereits aus der deutschen Geschichte des Nationalsozialismus. Dass solche Stimmen nie ganz still werden, auch in Betrachtung des Erfolgs der AfD, ist klar. Sich als rechtsextremistische Gruppierung im Opfergewand zu präsentieren, halte ich aber für fragwürdig.

Emanzipation? Eher nicht so.

Unter dem Schirm der IB finden in mehreren Ländern Europas, wie England, Frankreich, Deutschland und Österreich Demonstrationen statt, die gegen die Islamisierung im europäischen Raum protestieren. Dass die IB daneben ein klassisch-konservatives Frauenbild vertritt, in dem Frauen möglichst früh Kinder bekommen und die Rolle der Hausfrau einnehmen sollen, passt so gar nicht zum westlich-europäischen Ist-Zustand. Dazu kommen Aussagen wie „Wir sind die wahren Feministen“; so wirklich ernst nehmen kann ich das nicht, wenn eine Aktivistin auf ihrem Blog „Radikal Feminin“ eine Anleitung zum Sticken hochlädt.

Die Vertreter von #120dB zählen sich also zu den Guten; wollen Frauen helfen und auf Missstände aufmerksam machen. Das gelingt unter den vorliegenden Informationen aber nur schwer. Wenn ein Netzwerk aus rechtsextremen Aktivist_innen eine Kampagne gegen „importierte Gewalt“ startet, kann dies nicht mehr zur öffentlichen Sexismus-Debatte zählen; und erst recht nicht als „richtige Antwort auf #metoo“.