Hollywood im War on Drugs
von Lara Luttenschlager
Als Joaquín „El Chapo“ Guzmán, Mexikos berüchtigter Drogenbaron, Anfang des Jahres festgenommen wurde, war der Grund wahrhaftig filmreif: Hinweise auf sein Versteck bekamen die mexikanischen Behörden unter anderem dadurch, dass Guzmán sich mit Schauspieler Sean Penn wegen eines Filmprojektes über sein Leben getroffen hatte. Schon während seiner Haft 2015 war er mit Angeboten aus Hollywood überhäuft worden. Deutlich wird durch diese Geschichte nicht nur die große Eitelkeit des Kartellbosses, sondern auch die wachsende Begeisterung der Filmindustrie für die Drogenkartelle. Traffic (2000), Breaking Bad (2008-2013), Savages (2012), oder Cartel Land (2015): Die Liste der Filme und Serien über die Drogenschmuggler wird länger und länger. Zwei Filme, die sich typischer Narrative der „Narco-Mania“ bedienen, sind Escobar: Paradise Lost (2014) und Sicario (2015).
Die mexikanischen Tony Sopranos
Für Kanadier Nick eröffnet sich eine faszinierende Welt, als er sich in Kolumbien in die schöne Maria verliebt und in die Gesellschaft ihres charismatischen, großzügigen Onkels eingeführt wird. Dieser Onkel, eine Art Robin Hood der Kolumbianer, ist kein anderer als Pablo Escobar. Schnell verfällt auch der Zuschauer bei Escobar: Paradise Lost der Anziehungskraft, die der Drogenbaron auf den jungen Surfer hat. Das Bild des charmanten, Anzug tragenden, fürsorglichen Familienvaters und Ehemannes, kontrastiert auf faszinierende Weise mit der gängigen Vorstellung des schwitzenden, goldzähnigen, bösen Mafiabosses. Doch in dem Paradies, in dem Nick glaubt gelandet zu sein, sind bald erste Rauchwolken zu sehen. Denn als Escobar für einige Zeit ins Gefängnis geht, um eine Auslieferung an die USA zu verhindern, muss Nick dessen Diamanten verstecken. Den minderjährigen Informanten, der ihm das Versteck zeigen soll, soll er danach erschießen. Dass er nun Teil des mordenden Medellín-Kartells ist und dessen Anhänger auch ihn töten, wenn er seinen grausamen Auftrag nicht erfüllt, realisiert er zu spät.
Der Titel, den Regisseur Andrea Di Stefano für seinen Film wählte, erinnert an das Gedicht Paradise Lost von John Milton über die Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies. Er verweist auch auf die Mythologie, die die Kartelle mittlerweile umgibt. Auch das Paradies von Escobar ist voller Verführungen, die Menschen sonnen sich ich seiner Macht, seinem Geld, seinem Charisma. Auf diese Weise zeigt der Film die Anziehungskraft der Drogenkartelle, der sich scheinbar kaum jemand entziehen kann. In dieser verkommenen Welt, in der sich alle mit den Gräueltaten des Barons abfinden, solange sie ein Stück vom Kuchen abbekommen, wurde auch Nick von seiner Maria dazu verführt, in den Apfel zu beißen. Doch Lichtfigur Escobar verwandelt sich schon bald in eine abscheuliche, hässliche und egoistische Figur: Unrasiert, betrunken und im Jogging-Anzug verkörpert er bald das klassischere Bild eines Mafiabosses. Je mehr Escobar sein Imperium vom Zerfall bedroht sieht, desto mehr Blut lässt er vergießen. Nick versucht, aus dem brennenden Paradies zu fliehen.
Das rauschende Leben voller Geld, Waffen und Frauen von Escobar ist auch Thema der Serie Narcos (2015), in der die Darstellung des Kartellchefs stellenweise an Tony Soprano in der Erfolgserie Sopranos erinnert. Oft wurde die Serie auch mit Scorseses Film Goodfellas (1990) verglichen – die italienischen Mafiosi machen Platz für die lateinamerikanischen.
Die Mauer zwischen Ordnung und Chaos
Filme, deren Handlung in der heutigen Zeit angesiedelt ist, machen die Kartelle zu einer wachsenden Bedrohung für die amerikanischen Bürger. In Sicario kann FBI-Agentin Kate Macer trotz ihres todesmutigen Einsatzes nahe der mexikanischen Grenze die Geißeln eines mexikanischen Drogenkartells nicht befreien. Stattdessen findet sie die Leichen, deren Köpfe mit Plastiksäcken überzogen sind, eingemauert in den Zimmerwänden. Ein Anblick, der auch dem Zuschauer einen Schauer über den Rücken laufen lässt. Kaum versieht sie sich, ist sie einige Tage später Teil eines Einsatzteams, das die Strippenzieher in Mexiko festnehmen soll. Doch auch ihr eigenes Team erweist sich als zunehmend zwiespältig. Kate bekommt Zweifel an der Legalität ihrer Mission, bei der sie mit Alejandro, einem kolumbianischen „Sicario“, einem Auftragskiller, kooperieren muss.
In Sicario ist die Grenze zwischen den USA und Mexiko nicht nur visuell ein immer wiederkehrendes Motiv. Sie markiert die Grenze zwischen der mexikanischen Vorhölle, in der überall Gefahren lauern, an allen Ecken Leichen von Brücken hängen und die Polizei Teil eines korrupten, allgegenwärtigen Terror-Netzwerks ist, und den zivilisierten USA mit ihren Ballroom-Festen und ihren modernen, sauberen und beruhigend aufgeräumten Büros. Doch die Grenze ist porös, die Einflusszone der Kartelle und deren Kriminalität dringen in die USA ein. Die Bilder der Grenzposten, an denen hunderte Autos darauf warten, in die USA zu strömen, während kaum Autos in die andere Richtung wollen, vermitteln das Gefühl einer Invasion, vor der es sich zu schützen gilt. Dass die amerikanischen Einsatzkräfte mit gefühlten 200 km/h ungebremst durch die Grenzposten rasen können, um auf mexikanischem Staatsgebiet agieren, scheint hier selbstverständlich.
Die Darstellung der mexikanischen Kartellmitglieder, mit denen sich das Team einen Schusswechsel liefert, ist ein weiteres gutes Beispiel für das Bild, das in der Popkultur von Kartellmitgliedern gezeichnet wird: Schwer bewaffnet, tätowiert, schmutzig, mit Goldketten behängt. Männer, die schon nach außen hin so abstoßend sind wie ihre Taten. Auch wird die mexikanische Landschaft grundsätzlich aus einer Vogelperspektive visualisiert, die stark an Aufnahmen von Drohnen und Militärflugzeugen aus dem amerikanischen War against Terror erinnert – der Norden Mexikos wird zum Kriegsschauplatz erklärt. In diesem Krieg ist die Rolle der US-amerikanischen Truppen in ihrem fragwürdigen Einsatz keineswegs positiv. Trotzdem lässt Regisseur Villeneuve den Zuschauer die große nächtliche Kampfszene durch die Nachtsichtgeräte des amerikanischen Teams erleben. Die Ästhetik, die hier der eines Computerspiels ähnelt, verleiht dem Einsatz etwas cooles, heldenhaftes.
Ein Feindbild, das in seine Zeit passt
Filme wie Sicario und Escobar: Paradise Lost zeichnen das Bild eines skrupellosen Feindes, das auf der einen Seite von nahezu mythischen Vorstellungen eines rauschenden Lebens voller Waffen und Reichtum lebt, aber auch von einer drohenden Ausbreitung in die USA spricht. Indem ein Feind geschaffen wird, der eine Gefahr für die U.S.-amerikanischen Bürger darstellt, stellen sie die Forderung nach einem Eingreifen des Staates. Ähnlicher Narrative bediente sich Hollywood in Action-Filmen während des Kalten Krieges und des War on Terror. Auffällig ist, dass das Interesse der Filmindustrie für den Drogenkrieg zu einer Zeit aufflammt, in der sich die Berichterstattung in den USA über Verbrechen und Korruption in Mexiko überschlägt und das Land über die Kosten und Misserfolge im „War on Drugs“ sowie über den Ausbau seines Grenzzauns debattiert. Ein gutes Beispiel dafür, dass unsere Bilder von Gut und Böse in den Unterhaltungsmedien oft nicht ganz frei von politischen Einflüssen sind.
Fotos: flickr.com/Alexis Ziritt (CC BY-NC-ND 2.0), flickr.com/Diógenes 😉 (CC BY 2.0), flickr.com/Noah Jacquemin (CC BY-NC-ND 2.0), flickr.com/Quim Gil (CC BY-SA 2.0)
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