High ohne Drogen

Von Lina Rößler

Ekstase durch LSD: Für eine Gruppe junger Tänzer wird eine Party zu einem echten Horrortrip – doch auch der Zuschauer wird durch raffinierte Kameratechnik in eine Art Rauschzustand versetzt. Mit seinem Horrorfilm „Climax“ wird Regisseur Gaspar Noé wieder einmal seinem berühmt-berüchtigten Ruf als Skandal-Regisseur gerecht.

Eine junge Frau. Blutverschmiertes Gesicht. Dreckige Hände und zerzaustes Haar. Augenringe und leichenblasse Haut. Kaputtes, durchlöchertes Kleid. Kriechend auf ihren nackten Knien im Schnee. Dunkelrote Blutspuren bleiben im leuchtenden Weiß zurück. Hallende Schreie dringen durch die menschenleere Landschaft.

Mit dieser Szene beginnt „Climax“ und führt gleichzeitig das dramatische Ende eines eskalierten Drogentrips vor Augen. Ein Trip, den Gaspar Noé mit einer Gruppe von Tänzern inszeniert hat, die eine exzessive Party feiern, die in jeder Hinsicht ausartet. Der für Skandale und Provokationen bekannte Regisseur setzt dabei seinen Experimenten mit stilistischen und narrativen Möglichkeiten des Kinos wieder einmal keinerlei Grenzen.

Nach der dramatischen Einstiegsszene scheint der Film erst einmal relativ harmlos zu beginnen: Verschiedene Tänzer antworten auf persönliche Fragen bezüglich ihrer Träume, ihrer sexuellen Vorstellungen und ihrer bisherigen Drogenerfahrungen. Daraufhin bereitet sich diese Gruppe in einem abgelegenen Übungszentrum auf die bevorstehende Tournee vor. Am Abend der letzten Probe feiern sie eine ausgelassene Party zu wilden Techno-Beats. Eine langanhaltende Tanzszene wird aus nur einer Perspektive gedreht. Die Bewegungen werden immer exzentrischer, die Musik lauter, die Stimmung scheint am Höhepunkt angelangt zu sein. Doch nach und nach bemerken die Tänzer, dass sich in der Sangria wohl noch eine andere unerwünschte Zutat befindet: LSD. Gewalt und Paranoia bestimmen jetzt den weiteren Verlauf der Geschichte. Die Protagonistin Selva (Sofia Boutella) verfällt in einen hysterischen Anfall, der Panik, Hass und sexuelles Verlangen miteinander vereint. Sie atmet schwer, schreit, windet sich auf dem Boden, geht grundlos auf andere Tänzer los und befriedigt sich selbst. Ein schwangeres Mädchen sticht sich mit dem Messer in den Bauch, es kommt zu blutigen Schlägereien. Männer haben Sex mit Frauen, Frauen haben Sex mit Männern, sogar ein Geschwisterpaar landet zusammen im Bett.

All das filmt Noé in langen, hypnotischen Kamerafahrten und hautnah berührenden Bildern. Die Handkamera folgt den Protagonisten ganz dicht hinter ihren Körpern und lässt die Perspektive einer Person in die einer anderen fließen – ganz ohne Schnitt. Es wird zwischen den Tänzern hin und hergependelt, wie ein schwankender Betrunkener auf einer Teenagerparty. Dadurch wird der Zuschauer zu einer weiteren Person im Raum, die den Höllentrip gemeinsam mit den Tänzern durchlebt und regelrecht in den Rausch gezogen wird: Rot blitzendes Licht, hektisch wackelnde Bilder, durchgehend elektronische Musik – der Kinosaal wird mit allen möglichen Reizen überflutet. Ohne selbst von der Sangria getrunken zu haben, kann einem sogar schlecht oder schwindelig werden – allein vom Zuschauen: Mal steht die Kamera auf dem Kopf; mal führen ihre Bewegungen dazu, dass sich der Film im Kreis dreht. Diese Szenen halten teilweise mehrere Minuten an, man kann vor diesen sehr unangenehmen Bildern kaum flüchten, da sie auf ihre eigene Art doch faszinieren und man den Blick nicht abwenden mag.

Noé kennt weder technische, noch moralische Limits – so nimmt er uns auf eine extreme filmische Grenzerfahrung mit. Nicht umsonst wurde ein anderer von ihm produzierter Film von einem amerikanischen Magazin mit dem Titel „most walked-out-of movie of the year“ gekürt. Dieser Film ist definitiv gewöhnungsbedürftig, aber eben auch einzigartig. Sei es wegen der außergewöhnlichen Kamerafahrten oder der sehr nah behandelten Tabu-Themen Sex, Drogen, Tod. Dieser 95-minütige filmische Rausch hat es definitiv verdient, einmal durchlebt zu werden.

CLIMAX, Frankreich 2018 – Regie: Gaspar Noé. Buch: Gaspar Noé. Kamera: Benoît Debie. Mit: Sofia Boutella, Romain Guillermic, Souheila Yacoub. 95 Min.

Quelle der Fotos: climax-lefim.com

Lina Rößler (23) ist Studentin der Medienwissenschaft an der Universität Tübingen und schaut besonders gerne Filme und Serien, die mit Drogen zu tun haben.