Für mich ist das jetzt nicht so ein ‘0:1-Ding’. Das gehört halt dazu.

Von Teresa Seeger

Dem Thema „digitale Medien“ auszuweichen, stellt derzeit ein Ding der Unmöglichkeit dar. Ob in der Arbeitswelt oder im Bereich der Bildung – spätestens jetzt, in Zeiten von Corona sind digitale Medien in unserer Gesellschaft angekommen und ein alltäglicher Begleiter. Doch stellt diese Krise wirklich uns alle vor neue Herausforderungen? Nein: „Ich habe eigentlich immer Medien mitgedacht“! Im Gespräch mit Andreas Lachner über den Umgang mit digitalen Medien im Bereich der Bildung.

 

Andreas Lachner. Juniorprofessor für Erziehungswissenschaft an der Universität Tübingen, mit dem Schwerpunkt „Lehren und Lernen mit digitalen Medien“. Digitale Medien im Beruf und Alltag einzusetzen und zu integrieren ist für Andreas Lachner nichts Neues. Bereits im Studium beschäftigte er sich mit dem Schwerpunkt E-Learning und dem Thema: „Wie kann man digitale Medien gewinnbringend einsetzen“. Durch seine Dissertation, bei der es um Erklär-Kompetenzen von Lehrkräften geht, wurde sein Interesse für das Thema seiner heutigen Forschung nochmals verstärkt: „Lehren und Lernen mit digitalen Medien“ – Schwerpunkt und Steckenpferd des Wissenschaftlers.

 

 

Zwei Perspektiven: Lernforschung und Bildungsforschung

„Erste Phase Lehrerbildung“. Neben Lachners Tätigkeit in der Ausbildung, bei der es darum geht, allgemeine Aspekte beim Unterricht mit digitalen Medien aus mediendidaktischer, aber auch medienerzieherischer Perspektive beizubringen, beinhaltet seine Forschung auch die Förderung kognitiver und motivationaler Lernprozesse bei der Nutzung digitaler Medien. „Wie kann man digitale Medien einsetzen? Was ist denn effektiv, um Lernprozesse, aber auch Motivation zu fördern?“, erklärt Lachner. Doch nicht genug. Auch die Kompetenzen der Lehrpersonen spielen eine weitere große Rolle, beziehungsweise „welche Kompetenzen Lehrkräfte eigentlich haben oder entwickeln müssen, um digitale Medien didaktisch sinnvoll im Unterricht einzusetzen“.

Zwei Aspekte: E-Learning und Technologie-Integration

Wenn wir heutzutage von der Wissensvermittlung mittels digitaler Medien sprechen, ist meist die Rede von sogenannten „E-Learnings“ – nicht so bei Lachner. „E-Learning ist eher komplett online. Man hat so einen starken Medien-Fokus würde ich sagen“. Seine Forschung spricht hierbei eher von einer „Technologie-Integration“. „Wie kann ich, wenn ich jetzt Unterricht mache, da noch digitale Medien integrieren? Das sind eigentlich zwei unterschiedliche Aspekte“.

Unterscheidung zwischen Sicht- und Tiefenstruktur

Bei der Frage, ob sich innerhalb seiner Forschung bestimmte Maßnahmen im Umgang mit digitalen Medien als besonders hilfreich und effektiv erwiesen haben, antwortet Lachner: „Die Frage kann man jetzt gar nicht unbedingt beantworten im Sinne von, die eine Technologie ist total super und die andere Technologie ist total schlecht“. Von keiner Maßnahme lässt sich also behaupten, sie sei allgemein besonders effektiv und hat auf alle Lernenden die gleiche Wirkung. Unterscheiden müsse man hier zwischen Sicht- und Tiefenstruktur von digitalen Medien. „Also Sichtstruktur ist ja immer »ah ok, die machen jetzt ein Videokonferenz-Tool, oder eine super fancy Simulation«, oder »oh, die anderen machen nur ein Erklär-Video«. Da würde man aus technischer Sichtweise sagen, so ein Erklär-Video ist ja nur ein Video, aber so ein VR ist ja total fancy und sieht cool aus“, sagt Lachner. „Im Endeffekt kommt es darauf an, welche Lernprozesse damit ausgelöst werden, oder wie stark dieses Ding vielleicht sogar vom eigentlichen Lernen ablenkt. VR kann beispielsweise eine gute Lernhilfe und multimediale Möglichkeit sein, kann jedoch auf Grund dessen Wow-Effektes auch dazu führen, dass man den eigentlichen Inhalt gar nicht mehr wahrnimmt. Schülerinnen und Schüler sind oft heillos überfordert, wenn sie auf einmal alles manipulieren können.“ Eine optimale Lösung: „Für schwächere Schülerinnen und Schüler, sollte die Lehrkraft das Experiment erst einmal zeigen und in diese einführen. Für stärkere Schülerinnen und Schüler ist dann vielleicht geeigneter, dass sie gleich selbst diese Simulation nutzen“. Um also individuell jeden Lernenden fördern zu können, bleibt festzuhalten: „Es kommt auf die Voraussetzungen der Schülerinnen und Schüler an und nicht jedes Potenzial der Technologie ist unbedingt lernförderlich“.

„Explainity-Clips“

„Und wenn ich morgen nicht am Unterricht teilnehmen kann?“

„Dann werden es dir deine Mitschülerinnen und Mitschüler in der nächsten Stunde erklären!“

Mündliches Erklären ist eine effektive Methode, Lerninhalte zu vermitteln. Dies spiegelt sich beispielsweise auch im Konzept von „TheSimpleClub“, einem erfolgreichen deutschen Start-Up Unternehmen, welches durch ihre anschaulichen Erklär-Videos bekannt geworden ist, wieder (Link: Beitrag „TheSimpleClub“). Das mündliches Erklären besser ist als schriftliches Erklären, begründet Lachner wie folgt: „Das Problem beim Schreiben ist, erstens: es weist höhere Anforderungen auf als wenn man “babbelt“ und der zweite Punkt ist, dass oft Schülerinnen und Schüler, aber auch Studierende wenn sie schreiben, sich weniger leicht eine soziale Situation vorstellen können. Deshalb machen sie weniger Beispiele, aber organisieren vielleicht die Inhalte auch nicht so krass“.

Auch eine Kombination aus Erklären und Zeichnen erwies sich bisher in einigen Studien als sinnvoll – „das ist aber nicht unbedingt allgemein so“. Auch hier spielen die Voraussetzungen der Lernenden wieder eine große Rolle. Lachner ist auch hier der Meinung: „Gerade schwache Schülerinnen und Schüler, die jetzt zeichnen und erklären müssen, könnten heillos überfordert sein“.

 „Möglich ist es hier Lehre, aber auch Forschung zu machen.“

Mit Abwechslung bei der Arbeit geht es weiter. Das Tübingen Digital Teaching Lab, auch „TüDiLab“ genannt, ist eine gemeinsame Einrichtung der Universität Tübingen und des IWM, in welcher viele verschiedene Projekte stattfinden. „Es ist ausgestattet, wie man sich eine gut ausgestattete Schule, oder ein gut ausgestattetes Klassenzimmer vorstellen würde. Also mit Tablets für die ganze Klasse, interaktiven Whiteboards, Computern und es gibt für die Forschung noch zusätzlich Dinge wie z.B. „Eyetracer““, erklärt Lachner. Es stellt die Simulation eines perfekten Klassenzimmers dar, mit den Zielen: Förderung der Lehrkräfte hinsichtlich ihrer Kompetenzen für die Gestaltung medienbasierten Unterrichts und Forschung hinsichtlich der Wirkung digitaler Medien im Unterricht. 

Forschungszentrum für die Lehrerbildung

Seit Anfang März steht bereits ein weiteres Projekt als Ergänzung zum TüDiLab in den Startlöchern. Lachner verrät: „Wir sind jetzt gerade daran, ein Forschungs- und Transferzentrum für die „Digitalisierung in der Lehrerbildung“ zu etablieren. Es geht darum, ein Informationsportal für Lehrkräfte und Lehramt-Studierende zu entwickeln, um digitalisierungsbezogene Fragen klären zu können“. Eine Einrichtung mit dem Namen „TüDiLB“ – Digitalisierung in der Lehrebildung Tübingen. Ein Zentrum für Forschung und Transfer und Verbund der Universität Tübingen und des Leibniz-Instituts für Wissensmedien.

 „Es gibt ja auch immer diese „Horizon-Reports“, wie in zehn Jahren die Nutzung digitaler Medien ausschaut – die liegen immer falsch. Ich werde auch falsch liegen.“

Auf die Frage, wie sich die Wissensvermittlung mittels digitaler Medien in Zukunft entwickeln wird, geht es Andreas Lachner wie so vielen Experten, die sich mit diesem Thema beschäftigen. Doch wem ist es schon möglich, genaue Vorhersagen treffen zu können? „Ich glaube das Lernen wird nicht großartig anders sein, weil Lernen ja im Kopf passiert. Es sind kognitive, multirationale, affektive Prozesse, die dabei eine Rolle spielen und ich sehe digitale Medien ja eher als Tools, um solche kognitiven Prozesse zu fördern und zu unterstützen. Der Lernprozess wird ähnlich sein, aber ich glaube, dass es eine stärkere Offenheit für digitale Medien geben wird, für die Nutzung digitaler Medien“, so Lachners Meinung. Die notwendige Bedingung, dass eine entsprechende Infrastruktur in den Bildungseinrichtungen vorhanden ist, wird somit in Zukunft nicht ausreichen, eine Veränderung in Gang zu bringen.  

„Corona-Digitalisierung“?

Die Abwechslung zwischen Lehre, Forschung und Verwaltungstätigkeiten ist das, was für Andreas Lachner seinen Beruf so spannend macht: „Die Mischung macht’s“. Foto: Andreas Lachner

Wenn es darum geht, Entwicklungen hinsichtlich der Wissensvermittlung mittels digitaler Medien vorherzusagen, darf die derzeitige Corona-Krise nicht vergessen werden. Hat das Coronavirus Einfluss auf das Lehren und Lernen mit digitalen Medien? Eine Frage, wie sie nonstop im Internet und in den Zeitungen zu lesen ist.

„Punktuell hat es auf jeden Fall einen Einfluss, weil sich alle auf einmal in diesem “Homeschooling“ befinden und digitale Medien jetzt grade genutzt werden, um irgendwie Unterricht zu machen“, sagt Lachner. „Es kommen halt jetzt auch Leute in Kontakt mit digitalen Medien, die vorher nicht in Kontakt damit waren und machen so ihre Erfahrungen.“ Dennoch ist sich Lachner auch sicher, dass dies nicht nur positive Erfahrungen sein werden. Stichwort: Heterogenität. „Leute mit besseren Voraussetzungen, also einem besseren sozioökonomischen Status, haben vielleicht schon ein Zweitgerät oder eine bessere Internetanbindung. Diese sind momentan automatisch anderen überlegen“. Eine Bildungsschere, die nun noch weiter auseinander geht. „Man muss abwarten“, sagt Lachner und fügt hinzu: „Aber man sollte und muss gerade diese bildungstheoretischen und ethischen Aspekte mit bedenken, wenn so etwas passiert – mit allen Konsequenzen“.

Gedankenexperiment – Was wäre, wenn …

… die Verantwortung für die „Lehre mit digitalen Medien“ in ganz Deutschland in deinen Händen läge? Was würdest du tun? Welche Maßnahmen würdest du als erstes umsetzen wollen?

3 Maßnahmen, bei denen sich Andreas Lachner sicher ist:

  1. „Dass Schulen Medien-Konzepte entwickeln müssen, sodass quasi die Nutzung digitaler Medien ins Leitbild verankert wird. Es gehört ins Leitbild, und es muss ein gelebtes Leitbild sein, dass digitale Medien eingesetzt werden und nicht verstauben“.
  2. „Lehrkräfte aber auch Schulen müssen unterstützt werden. Eine flächendeckende Fortbildung muss etabliert werden – vielleicht auch “blended“, online und offline“.
  3. „Es müssen Freiräume geschaffen werden, um im Alltagsstress darüber nachdenken zu können und es müssen Lehrerkooperationen gefördert werden“.