Fans & Fiktionen – Bromance, Slash und andere schwule Geschichten
von Sanja Döttling
Sherlock Holmes und Dr. Watson, Starsky und Hutch, Captain Kirk und Spock – sie alle tun es. Zumindest, wenn frau den Fans Glauben schenkt.
Erzählungen und Serien aus den letzten 50 Jahren haben einen Haufen männliche Hauptcharaktere. Was sich aus unserer männlich geprägten Gesellschaft ergibt, bietet den Fans (oder: Faninnen) umso mehr Zündstoff für ausufernde Kreativität: Den weiblichen Fans dieser Serien/Bücher/Medienprodukte stellte sich im Angesicht der übermäßigen Männlichkeit auf der Leinwand schnell die Frage: Sind die schwul?
Von Mann zu Mann
Wie in vorigem Artikel „Es war einmal…“ schon angesprochen, gab es im der Fan-Community um Star Trek die ersten explizit schwulen Fanfiction, in denen männliche Charaktere (Kirk/Spock) „verkuppelt“ wurden. (Wir reden in diesem Zusammenhang wirklich aussließlich von schwulen Liebesgeschichten. Lesbische Geschichten, unter „fem slash“ bekannt, gab es erst später und erreichten nie ein großes Publikum.) Oder, um es mit den Worten Joan Martins zu sagen: „It offers detailed and loving descriptions of beautiful men making love lovingly“ (Joan Martin in Jenkins, S.188). Henry Jenkins bietet die pragmatische Erklärung für ein solches Tun:
„The media simply does not provide the autonomous female characters needed to create a heterosexual romance between equals; fan writers have chosen the path of least resistance in borrowing ready-made figures, such as Kirk and Spock, to express their utopian visions of romantic bliss.“ (Henry Jenkins, S.196)
Doch die Fans blieben nicht bei dem Dreieck Bones/Krik/Spock. Die Slash-Bewegung breitete sich über andere Fandoms aus, bis sie heute überall zu finden ist – obwohl die Zahl er starken weiblichen Charaktere sicherlich (leicht) gestiegen ist.
Auch in den „großen“ Fandoms, wie Herr der Ringe oder Harry Potter, haben sie ihren Stammplatz. Obwohl bestimmte Vorraussetzungen für ein „perfektes Slash-Paar“ gegeben sind (sie müssen Problemlöser sein, außerhalb der Mainstream-Gesellschaft stehen und voneinander abhängig sein, siehe hier) gibt es heute keine Begrenzungen mehr, wer mit wem was tut. Das rief und ruft bis heute auch innerhalb der Community Gegner hervor: Nicht jeder will lesen, wie Harry Potter und Draco Sex haben. Deshalb hat sich der Spruch „Don’t like, don’t read“ unter den Slashern eingebürgert.
Slash ist viel mehr als nur ein Randphänomen. Obwohl es keine verlässlichen Zahlen gibt, machen sie einen großen Teil der Fan-Communities aus.
Inzwischen hat das Hausfiltern schwuler Untertöne in Medien auch auf die Mainstream-Kultur übergegriffen.
Frauen, die auf (küssende) Männer starren
Doch was ist der Grund für die weibliche Faszination für schwule Paare? In der Einleitung ihres Buches „Fan Fiction and Fan Communities in the Age of the Inernet“ tragen Karen Hellekson und Kristina Busse den Forschungsstand zu dieser Frage zusammen (S. 17-24).
Joanna Russ, Teil er feministischen Debatte über Pornografie in den 80er Jahren, schlägt vor, Slash als weibliche Pornografie zu lesen. Sie unterscheidet aber klar von „männlicher“ Pornografie, denn Frauen legen mehr Wert auf Charaktere und Hingabe.
Patricia Frazer Lamb und Diane Veith dagegen kommen zu dem Schluss, dass selbst explizit sexueller (Slash-) Inhalt für Frauen ein Weg darstellt, um ihren Wunsch nach eine gleichberechtigeten Partnerschaft auszudrücken. Durch gleichgeschlechtliche Partner ist sichergestellt, dass Geschlechts-Hierarchie in der Beziehung keine Rolle spielt. Für sie ist Slash also nicht anderes als der Ausdruck einer idealisierten heterosexuellen Beziehung.
April Selley konzentrierte sich auf das Pairing Kirk/Slash und analysierte am Text, dass Slash nicht anderes ist als „explorations of this obvious textual tension“.
In den 90er Jahren kamen weitere Theorien zu diesem Feld dazu. Constance Penley stellte die Theorie auf, dass Slash heterosexuellen Leserinnen erlauben würde, beide Charaktere „zu haben und zu sein“. Es ging ihr also hauptsächlich um die Identifikation mit den Charakteren.
Catherine Salmon und Don Symons wollten beweisen, dass Slash nicht anderes wäre als eine Weiterentwicklung von „Woman’s Erotic Fiction“, in der es hauptsächlich um die Schaffung einer monogamen und langen Partnerschaft geht, die nicht (so sehr) auf Sex beschränkt ist.
Susanne Jung sagt von sich selbst, dass ihre Slash-Fiction politischen und gesellschaftskritischen Hintergrund hat. Ob und in wie weit Slash auf die reale Ungleichbehandlung von Homosexuellen hindeuten soll, ist aber in der Wissenschaft ungeklärt.
In seinem Buch „Textual Poachers“ versucht auch Henry Jenkins, Slash wissenschaftlich in den Griff zu bekommen. Er empfindet Slash als eine Reaktion auf das Männerbild, das Porno und Medien uns vorschreiben wollen und sieht „a refusal of fixed-objects choices in favor of a fluidity of erotic identification, a refusal of predetermined gender charactersitics in favor of a play with androynous possiblity“ (S.189).
Allerdings ist Slash nicht etwa der Vorreiter einer hierarchielosen Welt, in der wir uns alle liebhaben (wortwörtlich). „Slash also runs the risk of celebrating gay male experience (and more traditional forms of male bonding) at the expense of developing alternative feminine identities“ (S.190), kritisiert er. Mit der Mystifizierung männlicher Sexualität machen sich Frauen eigentlich keine Freude, sondern unterstützen die männliche Überlegenheit weiterhin. Auf der anderen Seite argumentiert Joana Russ, dass Slash Frauen erlaubt, das von der Gesellschaft geprägte Frauenbild in Slash-Fiction zu vergessen und zu verneinen.
Bromance – schwule Heterosexuelle
Slash ist längst mehr als unterschätze Untergrund-Literatur. „Die neue Liebe unter Männern“ betitelte ein Artikel in der Zeit das Phänomen, dass inzwischen als „Bromance“ bekannt ist. Die Wortneuschöpfung aus „Brother“ und „Romance“ bezeichnet eine tiefe, aber bitte bloß nicht sexuelle(!) Liebe zwischen ganz klar(!) heterosexuellen Männern. In den neuen Buddy-Filmen wird diese Art der Liebe à la Platon oft dargestellt: In den amerikanischen Neuverfilmungen von „Starsky und Hutch“ oder auch „Sherlock Holmes“ zum Beispiel.
Zwei Schlüsse lassen sich ziehen: Zum einen gibt es eine Entwicklung hin zum sensiblen Mann, der auch Gefühle zeigen kann – zum anderen gelten, vor allem in Hollywood, noch immer harte Standards, was gesellschaftlich anerkannt ist (Männer, die zusammen Frauen abschleppen gehen) und was nicht (Männer, die Sex mit Männern haben): Die Anti-Schwulen-Komödie „Chuck and Larry“ zieht diese Linie genauso konsequent wie hinterwäldlerisch.
Das ganze lässt sich aber viel besser besingen als beschreiben.
People will talk – Intertextualität
Inzwischen ist vielen Autoren bewusst, dass es eine große und vielfältige Slash-Gemeinde gibt, die nach homoerotischen Untertönen sucht. Nach dem Motto: „Gib ihnen, was sie wollen, aber nie genug“ bauen sie in die Serien/Filme selbst genug Anspielungen (oder „Hints“) ein, um die Fan-Community zum diskutieren zu animieren. So ist heute ein Dialog zwischen Original und Fans an der Tagesordnung. Die Verweise von Original auf Fanfiction auf das Original lässt sich mit dem medienwissenschaftlichen Begriff „Intertextualität“ beschreiben; beide Texte verweisen aufeinander.
Ein Beispiel ist die britische Serie „Sherlock“ (BBC, 2010). Missverständliche Flirtversuche, unglaubwürdige Beteuerungen zu der einen oder anderen sexuellen Orientierung und augenzwinkernde Verweise auf die Slash-Community sind fester Bestandteil der Serie.
Hier geht’s zur Serie: Fans und Fiktionen – wir machen’s uns selbst!
Fotos: Anki, Cosmic Bath und Sherlock BBC Wallpaper (Rechte liegen bei den Inhabern)
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