(c) Kerstin Ott (WDR)

Über eindrückliche Recherchen, jungen Journalismus bei funk und Bekehrungstherapien für Homosexuelle:

EIN GESPRÄCH MIT JOURNALIST TIMM GIESBERS VOM FORMAT REPORTER

 

Von Elias Raatz

 

Entscheidet man sich für eine Laufbahn als Journalist, muss man steinige Wege gehen, bekommt aber auch viele Möglichkeiten, sich zu entfalten und Neues kennenzulernen. Timm Giesbers hat das gemacht und arbeitet heute bei funk, dem öffentlich-rechtlichen Medienangebot für Jugendliche und junge Erwachsene. Wir haben mit ihm unter anderem über seinen Weg zum Journalist und seine dahinterstehende Leidenschaft, über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und funk an sich sowie über eine seiner Reportagen zu Bekehrungstherapien für Homosexuelle gesprochen.

Timm, du hast Journalistik und Politikwissenschaften an der TU Dortmund studiert und gleichzeitig dein Volontariat beim WDR gemacht. Wann war dir klar, dass du in den Journalismus gehen möchtest? Und warum?

Ich habe neulich witzigerweise in einem Umzugskarton mein altes Poesiealbum aus der ersten Klasse gefunden und da stand schon als Berufswunsch „Jornalist“ drin. Rechtschreibung habe ich dazugelernt, aber das Ziel des Journalismus ist gleichgeblieben. Es hat mich schon immer fasziniert, Neues zu lernen, Menschen zu treffen und mich mit Themen zu beschäftigen, die ich sonst vielleicht nicht einmal mitbekommen würde. Auch der kreative Teil an der Arbeit hat mich gereizt und spätestens beim Abi war mir dann klar, dass ich wirklich Journalist werden will.

Im Vorfeld unseres Gesprächs habe ich dich natürlich ein bisschen gestalkt und dein altes Autorenprofil auf dem Uniblog der TU Dortmund gefunden. Da steht, dass dein Ziel Auslandskorrespondent sei. Was hat dich da gereizt und steht das eigentlich noch?

Mit Anfang 20 hatte ich ein wenig den Drang, weit weg ins Ausland zu gehen und in London, New York oder Paris zu leben. Ich fand das spannend und kann mir immer noch vorstellen, mich irgendwann als Auslandskorrespondent zu versuchen. Aber ich habe gemerkt, dass es auch in Deutschland viele Themen gibt, die es wert sind, darüber zu sprechen. Irgendwie hat sich mein journalistischer Fokus dann auf die Lebenswelt vor meiner Haustür verschoben, denn spannende Geschichten findet man wirklich überall.

Timm Giesbers ist einer von acht Hosts des funk-Formats „reporter“. (c) Kerstin Ott (WDR).

Genau solche Geschichten präsentierst du als Host beim funk-Format „reporter“. Was gefällt dir daran?

Unser Format kann natürlich jeder in Deutschland schauen, aber in erster Linie berichten wir für junge Menschen Anfang bis Mitte 20, die sich bei unseren Reportagen wiederfinden und etwas über die Probleme und Chancen in unserem Land erfahren sollen. Genau das finde ich spannend, weil ich dadurch die Möglichkeit habe, meine eigene Lebensrealität als Mittzwanziger zu spiegeln und Themen zu recherchieren, die meine Altersgruppe beschäftigen.

Was würdest du jemandem mitgeben, der sich für eine Laufbahn im Journalismus interessiert und dich gerne irgendwann als Host bei den „reportern“ beerben möchte, wenn du doch noch ins Ausland gehst?

Ich glaube fest an den Spruch „Appetit kommt beim Essen und Ideen kommen vom Arbeiten“. Um Dinge zu erreichen ist immer harte Arbeit nötig, aber das Wichtigste beim Journalismus ist einfach loszulegen und keine Scheu davor zu haben, sich anzustrengen. Man sollte sich immer fragen, auf welche neuen Projekte man noch Lust hat, wo neue Ideen schlummern oder wo man sich zusätzlich engagieren kann. Man muss also viel Zeit und Herzblut reinstecken. Aber ich glaube, wenn man den Wunsch hat, Journalist zu werden und da Leidenschaft dahintersteckt, kommt das von ganz allein.

Im Laufe der letzten Jahre hast du einige Reportagen für „reporter“ abgedreht. Wie läuft eigentlich so ein Dreh und die Produktion ab?

Das ist natürlich bei jedem Format anders und ich kann nur für die „reporter“ sprechen. Wir werden auf verschiedene Wege auf neue Themen aufmerksam, beispielsweise durch aktuelle Ereignisse, durch das, was uns selbst beschäftig, oder auch durch unsere eigene Community. Dann suchen wir als Redaktion zusammen die einzelnen Themen aus und fangen an zu recherchieren. Dazu gehört dann, mögliche Gesprächspartner wie betroffene Protagonisten und Experten zu finden und sich komplett in das Thema einzulesen. Im Endeffekt machen wir dann Drehtermine mit den beteiligten Personen aus, führen Interviews, erleben Dinge, gehen auf Demos, fahren irgendwo hin und so weiter. Wenn alles abgedreht ist, geht es in den Schnitt. Da sitzen wir dann ein paar Tage und bauen aus den ganzen Puzzleteilen ein fertiges Video, das immer mittwochs um 16:30 Uhr auf unserem YouTube-Kanal und auf funk.net erscheint. Außerdem produzieren wir spezielle Versionen unserer Reportagen mit vielen Hintergrundinformationen und neuen Einsichten für Snapchat und Instagram. Da lohnt es sich also definitiv auch mal vorbeizuschauen, wenn einen ein Thema interessiert.

Wer sind die „reporter“?

„reporter“ ist ein Format von funk, das Reportagen zu gesellschaftlichen und politischen Themen für eine junge Zielgruppe produziert. Sie schreiben über sich selbst, ihre Filme seien „nah am Geschehen, mutig, überraschend und investigativ“.

Vor einiger Zeit hast du einen Film über Konversionstherapien gemacht, bei denen Menschen aus der LGBTQ*-Community wieder zur Heterosexualität „bekehrt“ werden sollen. Mittlerweile ist das gesetzlich verboten. Das war schon eine sehr bewegende Reportage.

Es war wirklich eindrücklich, was da passiert ist. Unser Versuchsaufbau war, dass ich investigativ, also verdeckt, an solchen Pseudotherapien und Seminaren teilnehme, um herauszufinden, was hinter den Kulissen passiert. Wenn also nicht damit gerechnet wird, dass öffentlich gemacht wird, was dort erzählt wird. Ich habe an zwei verschiedenen „Verfahren“ teilgenommen und aufdecken können, dass sich eigentlich alle Vorwürfe an Konversionstherapien bestätigt haben. Vor allem, dass Betroffenen dort menschenverachtende, homophobe Theorien eingepflanzt werden, die psychisch schlimme Dinge anrichten können, gerade in der Wahrnehmung der eigenen Identität. Teilnahmen an diesen Therapien haben auch schon zu Suiziden geführt, weil falsche Versprechungen gemacht werden, die man absolut verurteilen muss.

Ist es sowohl arbeitstechnisch als auch psychisch anspruchsvoller, sich mit so einem Thema auseinanderzusetzen, als zu etwas eher Unverfänglichem zu recherchieren?

Ich glaube, jedes Thema bringt seine eigenen Herausforderungen mit sich und ist auf seine eigene Art interessant, aber auch anspruchsvoll zugleich. Da würde ich grundsätzlich keinen großen Unterschied machen. Eine investigative Arbeit, wie die Reportage über die Konversionstherapien, ist aber immer zeitaufwändiger.

Bei funk gibt es natürlich nicht nur die reporter, sondern auch viele andere Formate. Hast du einen Lieblingskanal oder sogar eine Lieblingsreportage?

Ich glaube, man kann allgemein sagen, dass Mai Thi Nguyen-Kim (maiLab) herausragenden Journalismus macht. Aber auch unsere Kollegen vom Y-Kollektiv oder von STRG_F machen tolle Reportagen, die man super anschauen kann. Mir fällt eine Reportage vom Y-Kollektiv ein, die ich klasse fand und wo ich viel darüber nachdenken musste. Eine Reporterin ging der Frage nach, was der Holocaust eigentlich heute für uns Menschen noch bedeutet und wie er uns noch immer betrifft.

Brauchen wir diese ganzen funk-Formate überhaupt?

Junge Menschen wie wir sind heute meistens nicht mehr im linearen Fernsehen, sondern in den sozialen Netzwerken. Da ist es nur konsequent, als öffentlich-rechtlicher Rundfunk auch dorthin zu gehen, wo viele Zuschauer der Zielgruppe sind, beispielsweise bei YouTube, Instagram oder Snapchat. Wir konzentrieren uns ja auf Content für junge Menschen. Jeder bezahlt den Rundfunkbeitrag und darum sollte auch jeder etwas davon haben.

Natürlich bist du als WDR-Angestellter bei meiner letzten Frage voreingenommen, aber warum brauchen wir eigentlich diesen Rundfunkbeitrag an sich?

Ich finde, unser System mit privaten Medienunternehmen auf der einen und dem öffentlichen- rechtlichen Rundfunk auf der anderen Seite ist super. Es gibt ein breites Angebot an seriösen Nachrichtenquellen, aus denen man sich informieren kann, beziehungsweise aus denen man als mündiger Bürger das auswählen kann, was einen betrifft. Gerade die politische und finanzielle Unabhängigkeit der Öffentlich-Rechtlichen, die im Rundfunkstaatsvertrag geregelt wird, ist für unsere Gesellschaft wichtig. Eine Demokratie funktioniert ohne freie Medien nicht, das bedingt sich gegenseitig. Wir haben keine ordentliche Demokratie ohne einen informierten Bürger und einen informierten Bürger gibt es nur, wenn es eine unabhängige Berichterstattung gibt.

Was der öffentlich-rechtliche Rundfunk mit funk leistet und welche Themen behandelt werden, ist exemplarisch an den beiden angesprochenen Reportagen zu sehen. Wenn euch die Themen interessieren, schaut euch gerne Timms Doku „Undercover in der Konversionstherapie“ und die Reportage vom Y-Kollektiv „Auschwitz – Was hat der Holocaust mit mir zu tun?“ an. Hier geht es zum YouTube-Kanal der „reporter“.

Wie sieht es bei euch aus: Wie findet ihr den „ÖRR für junge Erwachsene“? Welche Angebote von funk nutzt ihr oder schaut ihr überhaupt funk-Formate?