Crasht Corona die Jugend?
Von Victoria Klupp
Das Jugendalter ist eine der aufregendsten und spannendsten Phasen im Leben. Neben Experimentierfreude stehen Freundschaften ganz oben und zählen zu den wichtigsten Lebensbereichen. Sie prägen und beeinflussen das Leben zugleich. So ziemlich anders sieht das im Jahr 2020 aus. Die Corona-Pandemie bricht das unbefangene Leben zwischen Freundschaften, Parties und Schule, beziehungsweise Uni.
Die Phase der Adoleszenz, von der Pubertät bis zum jungen Erwachsenensein, ist geprägt von Reifungsprozessen, sowohl körperlich als auch psychisch. Jugendliche leben oft in ihrer ganz individuellen Welt. Sich ausprobieren, zahlreiche neue Menschen kennen lernen und stabile Bindungen zu wichtigen Menschen aufbauen, sind von großer Bedeutsamkeit und können in den meisten Fällen problemlos und uneingeschränkt ausgelebt werden – Eigentlich.
Die Corona-Krise nimmt Einfluss auf unser aller Lebensstil. Dieser befindet sich in einem starken Wandel. Besonders die Welt der 14- bis 17-Jährigen wird vollkommen auf den Kopf gestellt. Junge Menschen sind laut der SINUS Jugendstudie 2020 meist seltener stark von dem Corona-Virus betroffen als Ältere. Das kommt daher, dass junge Menschen zwar genauso mit Corona zu kämpfen haben, der Verlauf aber meist deutlich milder verlaufe. Und genau darin besteht die Tücke, denn mit diesem Wissen im Hinterkopf ist es schwer, eine Sensibilisierung für dieses Virus bei Jugendlichen zu schaffen. Es scheint, als würde viele – ohne jegliche Rücksichtnahme – ihr Leben unangepasst weiterführen.
Doch das täuscht: Studien zeigen, dass Jugendliche das Virus und die vorbeugenden Maßnahmen durchaus sehr ernst nehmen. Klar denken viele von uns gerade besonders an ihr eigenes Wohl und wollen soziale Kontakte trotz der Beschränkungen aufrechterhalten können – aber das ist wohl ganz normal. Viele haben jedoch ein ausgeprägtes Bewusstsein dafür, vernünftig gegenüber ihren Mitmenschen und der eigenen Familie zu sein. Die Sorge, dass sich die Familie anstecken könnte, dominiert. „Ich selbst habe wenig Angst vor dem Corona-Virus. Ich möchte aber niemanden aus meiner Familie damit infizieren – besonders nicht eines meiner älteren Familienmitglieder.“ – Solche Aussagen, die viele junge Menschen derzeit verlauten lassen, beweisen ein vorhandenes Bewusstsein und die Rücksichtnahme auf die Mitmenschen.
Verschiedene Typen von Jugendlichen
Von Interesse ist, insbesondere für die Jugendlichen selbst, zu welcher „Gruppe“ Jugendlicher sie gehören. Gerade jetzt wird die Lebenseinstellung hinterfragt und wir denken darüber nach, was besonders wichtig im Leben ist. Das Einordnen in eine Gruppe führt dazu, dass das Denken und Verhalten besser verstanden werden kann. In der SINUS Jugendstudie wird ermittelt, was Jugendlichen zwischen 14 und 17 Jahren wichtig ist und worin die Orientierung im Leben besteht. Anhand verschiedener Fragebögen, Interviews und Fotos wird ermittelt, wie Jugendliche ihren Alltag und das Leben um sie herum wahrnehmen und einordnen. Der jeweilige Lebensstil-Typ unterscheidet sich anhand zahlreicher Faktoren, wie dem Bildungsgrad, der Kreativität und Autorität. Das Ergebnis stellt folgende Typen Jugendlicher dar:
- Adaptiv-Pragmatische Jugendliche sind leistungs- und familienorientiert und zeigen eine hohe Anpassungsbereitschaft. Diese Gruppe ist am stärksten vertreten.
- Expeditive Jugendliche lieben es, erfolgs- und lifestyleorientiert zu sein, sie suchen nach neuen Grenzen und unkonventionellen Erfahrungen.
- Experimentalisten sind spaß- und szeneorientiert und leben das Leben in diesem Moment.
- Konsum-Materialisten sind freizeit- und familienorientiert und lieben es markenbewusst zu leben.
- Postmaterielle Jugendliche sind weltgewandt, zeigen Interesse für Bildung und setzen sich für Gerechtigkeit ein.
- Prekäre Jugendliche setzen sich für Orientierung und Teilhabe ein, haben oft schon schwierige Erfahrungen in ihrem Leben hinter sich und können sich durchsetzen. Diese Gruppe macht den kleinsten Teil aus.
- Traditionell-Bürgerliche Jugendliche sind natur- und heimatorientiert, sie sind Familienmenschen und schätzen Traditionen.
Bei den persönlichen Interessen gibt es unterschiedliche Schwerpunkte. Egal, ob das Interesse besonders bei der eigenen Familie, Bildung oder die Vorliebe für Veranstaltungen liegt – In allen Bereichen findet derzeit ein – alle dieser Typen von Jugendlichen vereinender – Umbruch statt. Sie gelten als die Personengruppe, die besonders häufig Freizeitangebote nutzen und in ihrer Freizeitgestaltung deshalb jetzt mitunter am meisten improvisieren müssen. Geburtstage können nur in kleinem Rahmen oder auch gar nicht stattfinden. Clubbesuche, Konzerte und Großveranstaltungen sind komplett undenkbar.
Taffe Jugend
Die digitale Welt ist deshalb gerade so wichtig wie nie. Das Jugendalter lebt schon lange in enger Verknüpfung mit digitalen Medien. Smartphone, Tablet und Internet sind deshalb längst fester Bestandteil des Alltags. Der Großteil ist vertraut mit den modernen Medien, wodurch sich die soziale Kontaktbeschränkung leicht durch Facetime, Skype und andere digitale Kommunikationsformen kompensieren lässt. Der gewohnte und routinierte Umgang mit Medien bringt nun einen großen Vorteil mit sich. Doch es ist selbstverständlich nur eine Frage der Zeit, bis auch die virtuellen Treffen als Ersatz für physischen Kontakt ihre Kraft verlieren und wir alle erneut den Wunsch haben, uns in echt wiederzusehen.
Klar gibt es junge Menschen, die die Corona-Regeln missachten und sich trotz der Kontaktbeschränkungen wie gehabt (in größeren Gruppen) treffen. Trotzdem zeigt sich gerade jetzt von Seiten Jugendlicher häufig auch ein besonderes Maß an Toleranz und Empathie: Wir – das sind nicht nur Jugendliche, sonder auch junge Erwachsene – sind bereit, rücksichtsvoll zu leben und bereit zurückzustecken, wenn es um Treffen mit Freund*innen und einen ausschweifenden Lebensstil geht. Wir haben gezeigt, dass wir uns schnell auf neue Situationen im Leben einstellen können. Viele zeigen Solidarität, Respekt, Toleranz und große Hilfsbereitschaft.
Junge Leute zeigen mehr Interesse für pflegerische und soziale Berufe
Pflegeberufe und soziale Berufe werden immer unattraktiver? Das stimmt nicht ganz. Gerade durch die Corona-Krise gewinnt die Berufswelt der pflegerischen und sozialen Berufe sehr viel Anerkennung. Durch Medienberichte rückt der Berufsbereich gerade vermehrt in den Fokus, indem viel mehr über die Tätigkeit in Kindergärten, Schulen und Krankenhäusern berichtet wird. Dadurch entsteht oft das Interesse, sich genauer über diese Berufszweige zu informieren und sich vielleicht selbst in diesen Bereichen zu engagieren. Durch die vermehrten Berichte über Pflegeberufe wächst die Wertschätzung für diese wichtige Arbeit. Die Corona-Krise kann also potentiell die Berufswahl der Ausbildungssuchenden beeinflussen. Zuvor weniger präsente Berufsbereiche werden durch ihren großen Beitrag zu unserer Gesellschaft attraktiver für viele junge Menschen.
Was macht Corona mit der Freizeitgestaltung Jugendlicher?
Wir jungen Menschen wollen Spannendes und Aufregendes in der Freizeit zu erleben. Wir sind auf der Suche nach neuen Erfahrungen, nach dem ultimativen „Kick“. Unzählige Unterhaltungen über Parties, Veranstaltungen und neue Kontakte. Es ist nicht selten, dass in der jetzigen Zeit das Freizeitverhalten als langweilig oder eintönig beschrieben wird. Wichtige Erfahrungen, die junge Leute mit 16, 17 und 18 Jahren normalerweise machen, sind eingeschränkt. Wir sind gebunden an strenge Auflagen und Beschränkungen. Schulabgänger*innen und Uni-Absolvent*innen blicken in eine ungewisse Zukunft. Auslandsaufenthalte, wie Au Pair, Sprachreisen und Work & Travel sind nicht mehr möglich oder ungewiss. Studienanfänger*innen und neue Auszubildende verspüren Unsicherheiten und können nur schwer neue Kontakte knüpfen und in den Austausch mit Kommiliton*innen und Mitschüler*innen treten.
Dafür wird jetzt mehr Zeit in Freizeitaspekte, die Zuhause ausgeübt werden können, investiert: Musik, Bücher oder Videospiele. Zudem verbringen wir generell mehr Zeit mit Familienmitgliedern und bauen dadurch im besten Fall eine (noch) intensivere Bindung auf. Mit etwas Kreativität der jungen Leute lässt sich das Alltagsleben zumindest etwas angenehmer und interessanter gestalten. Eine positive Denkweise führt dazu, dass wir es mehr als je zuvor schätzen, wie frei und unbefangen wir unser Leben vor der Corona-Krise gestalten konnten. Das Leben vor Corona erscheint nun wie ein Privileg. Die Gemeinschaft macht allen Menschen immer wieder klar, dass niemand alleine in dieser Situation ist und dass es wichtig ist, aufeinander Acht zu geben und sich gegenseitig zu unterstützen. Wir schaffen das.
Quellen:
- https://www.barmer.de/gesundheit-verstehen/coronavirus/sinus-studie-corona-248390