Die Leichen im Keller des True Crime – Was steckt hinter dem Hype?
Von Linda Ehnis
Das Medium True Crime erfreut sich in Form von Podcasts, Dokumentationen und Serien großer Beliebtheit und bietet einen besonderen Nervenkitzel durch das Element des Realen, das es von fiktionalen Krimis wie dem Tatort unterscheidet. Doch so faszinierend die Erzählungen über wahre Verbrechen auch sind, bergen sie auch problematische Aspekte, insbesondere wenn der „Starkult“ und die Glorifizierung der Täter in den Vordergrund rücken.
Trigger-Warnung: Dieser Artikel beinhaltet Beschreibungen von körperlicher Gewalt und Mord
Warum uns das Böse packt
True Crime und wahre Verbrechen faszinieren ohne Frage ein breites Publikum. Wie sonst sind die Klickzahlen und Views von Podcasts und Serien zu diesem Thema zu erklären? Doch wieso genau fördert das Böse die mit ihm einhergehende „Angstlust“ ? Das Konsumieren von True Crime führt zur Ausschüttung eines bunt gemixten Hormon-Cocktails aus Adrenalin, Endorphin, Dopamin und Serotonin wie Psychologin Aimee Daramus beschreibt . Zum einen sind wir schockiert von den Grausamkeiten, über die berichtet wird und zum anderen sind wir gespannt und neugierig, wie es weiter- oder zu Ende geht; der Nervenkitzel hält uns am Ball. Wir fühlen uns involviert und begeben uns – wenn auch nur als Zuhörende – in die Rolle des/der Ermittelnden und versuchen den Fall zu lösen und versetzen uns gleichzeitig in den/die Täter*in und das Opfer . Außerdem bietet True Crime die Möglichkeit seine Sinne zu schärfen und seine Umwelt bewusster wahrnehmen zu können, denn überall kann das Böse in der Realität lauern . Ähnlich wie bei einem Horror-Film erleben wir eine Sensation aus Freude und Angst – eine Angstlust. Nur handelt es sich bei True Crime eben nicht um Fiktion, sondern um reale Menschen, denen reale, schlimme Dinge geschehen sind oder die reale Verbrechen begangen haben. Doch genau dieser Kick der Wirklichkeit macht True Crime zu einem besonders spannenden Medium mit ganz anderem Gänsehautpotential.
Das Medium True Crime
Das Genre des True Crime ist nicht neu, bereits vor über einem halben Jahrhundert holen beispielsweise Suchsendungen der Polizei wie etwa Aktenzeichen XY die Menschen wöchentlich vor den Fernseher. Allerdings steigen die Nachfrage und das Interesse parallel zum immer größer werdenden Angebot verschiedener True-Crime-Formate . Allein im Jahr 2022 kamen 120 neue Podcasts auf den Markt und auf dem Streamingdienst Netflix gibt es mittlerweile eine eigene Unterkategorie zum Thema „True Crime“ . Natürlich kann True Crime unterhalten, soll aber in erster Linie einen Beitrag zur Aufklärung leisten. Die Nacherzählungen der wahren Geschehnisse sollen den Opfern eine Stimme geben und können zu mehr Verständnis gegenüber den Täter*innen führen, ohne deren Taten zu entschuldigen. Da allerdings auch dem/der Täter*in eine Bühne gegeben wird, birgt True Crime zum einen die Gefahr der Retraumatisierung für Betroffene und zum anderen die Gefahr der Romantisierung und Glorifizierung der Täter*innen .
Der Starkult um Mörder*innen
Dokumentationen und Serien rund um das Thema True Crime wecken nicht nur mehr Interesse an diesem Genre, sondern machen dieses auch umso zugänglicher für die Öffentlichkeit. Wie auch beim Podcast muss man keine Recherchearbeit leisten oder sich mit Urteilen und rechtlichen Texten befassen, sondern kann sich entspannt zurücklehnen und auf „Play“ drücken. Am Ende einer Folge fragt man sich, wie es wohl weitergeht, die Auflösung wird sehnsüchtig erwartet. True Crime als Genre und Format kann vor allem im TV aufgrund dieser neuen Zugänglichkeit und Öffentlichkeit zu Anhängerschaften und regelrechten Fangemeinden der Mörder*innen führen. Dieses Phänomen ist höchst kritisch zu betrachten, schließlich handelt es sich nicht um Prominente, die angehimmelt werden, sondern um Menschen, die getötet haben. Und daran kann auch nichts verherrlicht werden. Natürlich gab es auch schon vor der Zeit von Social Media und Co. Fans von verurteilten Mörder*innen. So erhielt der als charismatisch geltende Ted Bundy, der mindestens 30 junge Frauen getötet hat, regelmäßig Liebesbriefe in seine Zelle. Dennoch nimmt dieses Verhältnis zwischen den Fans und deren „Stars“ ein neues Ausmaß an wie unlängst zu beobachten ist.
Say their names: Dahmer auf Netflix
Im Jahr 2022 produzierte Netflix die Serie Dahmer – Monster: Die Geschichte von Jeffrey Dahmer, die sich mit dem gleichnamigen Jeffrey Dahmer – auch als der „Kannibale von Milwaukee“ bekannt – beschäftigt, der insgesamt 17 Morde begangen hat . Lange Zeit blieb die Serie die Top 1 der Netflix-Charts. Sie wird unter anderem dafür kritisiert, die Geschichte der Opfer nicht genügend zu erzählen, ihnen keine Stimme zu geben, während andererseits die Sicht des Mörders detailliert beschrieben und sogar Empathie für ihn hervorgerufen wird . Hierzu sprechen sich auch Verwandte der Opfer aus. So kritisiert Eric Perry, Cousin des Opfers Errol Lindsey, in Tweets, dass die Darstellung Dahmers in der Serie höchst traumatisierend sei und die Familien von Netflix nicht einbezogen worden seien. Dies dementiert der große Streaming-Dienst .
Die Zuschauer allerdings lieben die Serie. Die Geschichte fesselt sie und sie können von Dahmer nicht genug kriegen. Er erhält einen Popstar-Status , Fan-Edits auf TikTok und Co. lassen nicht lange auf sich warten und die berühmt-berüchtigte Brille Dahmers wird zu einem kultigen Gimmick. Bei diesem Mann handelt es sich nach wie vor um einen verurteilten Serienmörder, das scheint seinen Fans allerdings egal zu sein. Durch die Serie über ihn hat er große Beliebtheit erlangt. Eine Beliebtheit, die die Familienmitglieder und Freunde der Opfer fassungslos zurücklässt. „Say their names“, lautet der Hashtag bald trendet und die Leute dazu aufruft, sich zu informieren und die Opfer niemals in Vergessenheit geraten zu lassen.
Ist True Crime schlecht?
Auch wenn die Berichterstattung über Mordfälle und Verbrechen als problematisch betrachtet werden kann, wenn sie den Opfern nicht genügend Platz einräumt und die Täterperspektive verherrlicht, ist nicht das Genre an sich zu verteufeln. Ganz im Gegenteil, guter True Crime bietet Aufklärungsmaterial und stiftet Verständnis. Verständnis für die Taten, soweit es möglich ist, ohne eben diese Taten zu entschuldigen. True Crime schärft zudem die eignen Sinne, man geht wachsamer durchs Leben. Allerdings darf man sich nicht von allem Schlechten in der Welt zu sehr beeinflussen lassen und umgekehrt auch nicht das Schreckliche verherrlichen. Es ist wichtig, verurteilte Mörder nicht zu glorifizieren. Sie sind Mörder und haben Leben auf dem Gewissen. Ihnen kann Verständnis gegenüber gebracht werden, aber sie auf ein Podest zu heben ist höchst gefährlich und problematisch. Dadurch wird das Andenken an die Opfer und deren Angehörige vernachlässigt, wenn doch genau das nicht der Fall sein soll. True Crime soll aufarbeiten und besonders den Opfern eine Stimme geben. Say. Their. Names.
Quellen:
El Quassil, Samira (2023). Angstlust – Faszination True Crime.
Link: https://www.3sat.de/kultur/kulturdoku/angstlust-true-crime-100.html
Colyard, K.W. (2020). What Happens To Your Brain When You Read True Crime.
Link: https://www.bustle.com/p/what-happens-to-your-brain-when-you-read-true-crime-19348955
Die Faszination True Crime. Hochschule macromedia, (o.D.)
Link: https://www.macromedia-fachhochschule.de/de/beratung/ratgeber/faszination-true-crime/
Mühle, Corina (2023). «Frauen konsumieren den Thrill anders als Männer» – ein Psychiater zum True-Crime-Boom. True Crime Boom: Warum faszinieren wahre Verbrechen? Ein Psychiater erklärt
Bovermann, Philipp (2022). Gewaltiger Kick. Serie “Dahmer” auf Netflix: Der Blick des Monsters
Link: https://www.sueddeutsche.de/medien/netflix-starts-rezension-review-kritik-dahmer-1.5665391
Winkler, Sabine (2022). Darum schauen wir gerne Serien über Massenmörder. “Dahmer” auf Netflix
Elifnur, Melek, Nuria (2023). True Crime: Ein Genre, das fasziniert und traumatisiert.
Link: https://www.genoveva-gymnasium.de/nachrichten/true-crime-ein-genre-das-fasziniert-und-traumatisiert