#BookTok

Der etwas paradoxe Safe Space

Von Jacob Spiegl

Safe Space. Ein Ausdruck, der mittlerweile den allerwenigsten kein Begriff mehr sein dürfte. In der Regel wird darunter ein geschützter Raum verstanden. Ein Ort, an dem man sich mitteilen kann und sich aufgehoben fühlt. In der Offlinewelt geht ein solcher Ort meist von eng vertrauten Personen aus. Im Internet kann es eine bestimmte Community sein. Auch #BookTok wird von den User:innen häufig als ein Safe Space betitelt. Doch wie genau würde diese Form von Safe Space aussehen und welche Gefahren könnten möglicherweise damit einhergehen?

Geht es um Interessen, so ist es immer schön, diese auch zu teilen. Sind keine Leute im unmittelbaren Umfeld da, mit denen sich darüber unterhalten werden kann, so besteht die Möglichkeit, sich im Internet umzusehen. Einen guten Ort hierfür stellen Online-Communitys dar. Hat man eine Leidenschaft zum Lesen, so ist #BookTok auf TikTok eine beliebte Anlaufstelle. Hier tauschen sich besonders junge Frauen über Bücher aus, kreieren Content dazu und stellen die neuesten Bücher und Trends vor. Dabei ist es eine schöne Voraussetzung, wenn der Umgang miteinander respektvoll und höflich verläuft. Es geht schließlich häufig um ganz persönliche Erfahrungen, die hier geteilt werden. So ist die Forderung nach einem Safe Space für die Community nicht unverständlich.

Bei diesem Begriff entstehen allerdings widersprüchliche Meinungen und Realitäten darüber, wie ein Safe Space in der Praxis aussehen sollte. Auch die Youtuberin „Jen“ hat sich Gedanken zu dem Thema gemacht und bereits am Anfang des Jahres ein Video zu der Thematik veröffentlicht. Es trägt den Titel „Unkritisch, unpolitisch … und rechts? – AFD-Skandal auf BookTok“. Doch anders als der Titel verrät, wird über die AFD im Video relativ wenig gesprochen. Es geht primär um die grundlegende Frage: Ist TikTok ein Safe Space?

Bereits relativ am Anfang des Videos formuliert sie genervt: „Ehrlich gesagt ist das Wort ‘Safe Space‘ eines dieser Worte, die ich 2025 nicht nochmal hören möchte.” Das sind starke Worte, wenn bedacht wird, was unter dem Begriff allgemein verstanden wird. Woher kommt der Begriff eigentlich und wie ist er im Kontext von #BookTok zu verorten?

Safe Space und Zufluchtsort

Die Herkunft des Begriffs “Safe Space” ist nicht eindeutig geklärt. Der thematische Ursprung wird jedoch häufig in der queeren Szene vermutet. So werden die „schwulen und lesbischen Bars der 1930er, 40er und 50er Jahre“ bis zu den bewegungspolitischen, feministischen „consciousness-raising“-Gruppen der 1970er Jahre als Entstehungsort genannt. Dort ist der Begriff auch noch heute am geläufigsten. Die Philosophin Dr. Mareike Hilger beschreibt Safe Space als einen „Raum […], der ausschließlich einer bestimmten marginalisierten Gruppe, etwa Frauen, Queers oder People of Color, vorbehalten ist und […] deren Sicherheit dienen soll.” Das ist wichtig zu erwähnen, da diese Gruppen von Anfeindungen durch Politik und Gesellschaft gefährdet waren bzw. immer noch sind.

TikTok stellt eine Plattform dar, auf der es viel toxisches Verhalten und radikale Inhalte gibt. Laut einer Studie sind besonders junge Frauen von Feindseligkeit betroffen. „Knapp jede dritte Frau im Alter von 16 bis 24 Jahren gibt an, bereits von Hass im Netz betroffen gewesen zu sein.“

Da ist es verständlich, dass sich besonders die Nutzerinnen sicher fühlen wollen. Zum Beispiel „to discuss fantasy without harassment from men, safe to describe their favourite erotica scenes without feeling trashy, and safe to admit that they prefer their book boyfriends to their mediocre IRL ones“, wie Soaliha Iqbal im Online-Magazin “Junkee” beschreibt.

Beim zweiten Punkt lässt sich eine starke Neuerung, was mediale Literaturkritik betrifft, beobachten, was im Kontext wichtig ist, erwähnt zu werden.

In herkömmlichen Literatur-Formaten, wie zum Beispiel dem Literarischen Quartett, war eine starke Gatekeep-Funktion hinsichtlich geduldeter Literatur gegeben. Bücher mussten anspruchsvoll sein und einen gesellschaftlichen Mehrwert besitzen. Auf BookTok gibt es jedoch „auch Genres wie New Adult oder Romantasy, die von der traditionellen Literaturszene gern belächelt [werden].” Auch deswegen stellt BookTok für viele einen Zufluchtsort dar, einen Ort, an dem man lesen kann, was man möchte, ohne direkt dafür gebrandmarkt zu werden.

Um diese Wünsche zu erhalten, setzen sich die Creator:in

nen ein. 2023 steht #BookTok in Flammen, zumindest drückt die reichweitenstarke Creatorin @nathalie_reads es so aus. Sie stellt sich gegen „Negativität und Hass und Mobbing“. Sie teilt dabei unter anderem Accounts, die ihrer Meinung nach frei von Diskriminierung sind. Darunter kann man Kommentare lesen wie: „Du bist definitiv mein Safeplace auf TikTok.“

Gegenseitige Unterstützung wird auf #BookTok großgeschrieben. Quelle: Jacob Spiegl.

 

Die Userinnen unterstützen sich gegenseitig und stellen sich gegen Hass. Die Frage ist nun, worin die Youtuberin Jen das Problem sieht.

Safe Space oder Zensur?

„Alle [haben] eine komplett unterschiedliche Definition von Safe Space“,

Der blinde Umgang mit dem Begriff Safe Space, sowie die Ablehnung von Negativität sorgen für die Gefahr zur Zensur und von Ausgrenzung marginalisierter Gruppen. Quelle: Unsplash.

lauten die Worte, mit denen Jen die Problematik näher beschreibt. Doch wie genau ist das gemeint? Wenn sich @natha

li_reads gegen Negativität, Mobbing und Hass ausspricht, so ist die Botschaft unmissverständlich. Die Frage ist nur, was unter diese Begriffe klassifiziert wird.

„BookToker:innen [bewerten] Bücher vor allem positiv“, schreibt Online-Journalist Johannes S

pengler. Das ist in erster Linie nichts Schlimmes, allerdings ist es auffällig, wie ungern eine negative Ausdrucksweise auf der Plattform gesehen wird. Im Mittelpunkt steht der „Schutz vor Verurteilung“. Jeder soll seine Meinung frei teilen dürfen, ohne dabei geächtet zu werden. Viele ziehen allerdings die Grenze schon sehr früh. Bei Kritik. Die Furcht ist dabei: Eine negative Meinung könnte andere möglicherweise einschränken. „Negativität wird hier als eine Diskursstörung erkannt“, beschreibt Spengler. Wird Kritik aber eingeschränkt, so entsteht Zensur.

Die Folgen für die politische Kultur und Bücher auf der Plattform

Die entstehende Problematik drückt Jen so aus: „Zum einen wird von einem Ort für alle gesprochen, aber gleichzeitig soll dieser Ort exklusiv sein. […] Es soll nur ums Lesen, um Bücher und die Liebe zu diesen Büchern gehen.” Sobald Exklusivität herrscht, nimmt Inklusivität Schaden. Wird Kritik an kontroversen Autor:innen verboten, so nehmen genau diejenigen Schaden daran, die der Begriff „Safe Space“ eigentlich hätte schützen sollen: marginalisierte Gruppen. Laut Jen geht dies sogar so weit, dass Forderungen geäußert werden wie: „BookTok und Lesen sollten unpolitisch bleiben“. Laut der politischen BookTokerin @dinablogsyou, die als Expertin in Jens Video eingeladen wurde, stellt dies bereits eine politische Handlung dar. Sie äußert: „Ob wir uns entscheiden, gar nichts zu sagen, oder ob wir uns [dazu] entscheiden: Ich sag etwas, das ist politisch.“

Die Creatorin beschreibt damit einen Sachverhalt, der sich auf den Inhalt von Büchern auswirkt. #BookTok hat mittlerweile einen großen Einfluss auf den Buchmarkt und dies kann Folgen haben: „Wenn die Online-Bubbles als sicherer Raum verstanden werden, kann auch die dort verhandelte Literatur nur eingeschränkt auf die breitere öffentliche Debatte verweisen“, führt Spengler aus. Werden politisch bzw. auch gesellschaftlich relevante Themen vernachlässigt, so verliert die Öffentlichkeit an kritischer Debatte.

Die BookTokerin @bookishwithb spricht sogar von einem „terrifyingly swift growth of anti-intellectualism“.

@bookishwithb

someone categorised Lolita as forbidden love and i knew the end of times was near #celinesbooks #fyp #booktok

♬ original sound – C 🇱🇧

In ihrem ca. dreiminütigen Video spricht sie von einer prägnanten Situation, die sie auf TikTok erlebt hat: In ihrem Feed wurden zwei Videos über dasselbe Buch angezeigt. Das eine fasst den Inhalt und die wichtigsten Fakten über das Buch zusammen, das andere reduziert das Werk auf einen „starken weiblichen Charakter“. Als bei Letzterem jemand die Simplifizierung in den Kommentaren anspricht (vermutlich), wird diese Person angegangen und als „pretentious reader, who don´t let people read what they want“ bezeichnet. Dies steht stellvertretend für die Problematik.

Fazit und Ausblick

Was also bedeutet Safe Space im Kontext von BookTok und was sind die Gefahren? Der Begriff erscheint paradox. Mit Sicherheit ist die Community ein Ort, an dem sich über die gemeinsame Leidenschaft zu Büchern ausgetauscht werden kann, und dies in den unterschiedlichsten Formen ohne intellektuellen Zwang. Außerdem unterstützt man sich gegenseitig und schützt sich vor Hass.

Das Problem ist nur, dass die Forderung nach Positivität so weit geht, dass Kritik allgemein droht, verboten zu werden. Dies schadet marginalisierten Gruppen. Exklusivität statt Inklusivität also. Des Weiteren droht Büchern der Verlust von intellektuellem Anspruch, wenn konstruktiver Austausch und gut formulierte Kritik, die auch negativ sein darf, aber respektvoll sein muss, ausgeklammert werden.

Doch es gibt Hoffnung. Wie Dina im Video von Jen erwähnt: „Es ist auf jeden Fall – das möchte ich […] betonen – ein riesengroßer Wandel auch schon in der Community angekommen.” BookTok besitzt die Fähigkeit zu lernen und wenn sich Creator:innen weiterhin für einen Safe Space einsetzen, so wird dieser mit fortschreitender Zeit vielleicht alle miteinbeziehen.

Durch Inklusion und Vielfalt und die daraus resultierende Zusammenarbeit kann echter Safe Space auf #BookTok möglich werden. Quelle: Unsplash.

Quellen:

Primär
– Hügel, Jennifer: Unkritisch, unpolitisch… und rechts? AFD-Skandal auf BookTok. In: Youtube. Jen. Online unter: https://www.youtube.com/watch?v=9AXpBhw9Kug&t=4s (Zugriff 01.07.2025).
– Basme, Celine: Exploring forbidden Love in the poppy war. In: TikTok Online unter: https://www.tiktok.com/@bookishwithb/video/7406051105794182433?q=anti%20intellectuismus%20booktok&t=1751457912013 (Zugriff 01.07.2025).
– Bröske, Nathalie: Booktok soll ein Safe Space bleiben. In: TikTok. @nathalie_reads. Online unter: https://www.tiktok.com/@nathalie_reads/video/7222241852123057414. (Zugriff 01.07. 2025).

Sekundär
– Auzinger, Eva (2024): Auf TikTok wegen Büchern weinen: Warum wir allerdings nicht wegen BookTok weinen sollten. In: Literatur und Kritik. 58 (Jg.). 585/586 (H.). S. 104–107.
– Das NETTZ, Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur, HateAid und Neue deutsche Medienmacher*innen als Teil des Kompetenznetzwerks gegen Hass im Netz (Hrsg.) (2024): Lauter Hass – leiser Rückzug. Wie Hass im Netz den demokratischen Diskurs bedroht. Ergebnisse einer repräsentativen Befragung. Berlin. ISBN 978-3-00-078034-9
– Hilger, Janna Mareike (2023): Safe Space. Sorge und Kritik nach Michel Foucault und Eve Sedgwick. Frankfurt am Main: Campus Verlag GmbH.
– Iqbal, Soaliha (2024): BookTok and the ironic Perils of “Safe Spaces”. In: Junkee. Online unter: https://junkee.com/articles/booktok-safe-space-controversy-explained (Zugriff 31.05.2025).
– Spengler, Johannes (2025): BookTok, SafeSpaces und New Adult – Annäherung an eine Literatur der Risikominimierung. In: Literaturkritik.at. Online unter: https://literaturkritik.at/essay/booktok-safe-spaces-und-new-adult-annaherungen-an-eine-literatur-der-risikominimierung (Zugriff 31.05.2025).