Die alltägliche Evolution: The Tree of Life. Teil 2.
von Selina Juliana Sauskojus
Tree of Life polarisierte Zuschauer und Kritiker, doch man konnte sich zumindest an perfekte Bilder halten. Dabei spricht der Film ein Thema an, das jeden Menschen betrifft: Das Zurechtfinden in unserer Welt und Gesellschaft. Wie in seinen älteren Filme beleuchtet Regisseur Terrence Malick den Menschen, die Natur und ihre Beziehung zueinander. Im Film The Tree of Life greift er dieses Sujet konsequenter als zuvor auf.
Auf zwei Ebenen verdeutlicht er die Wechselwirkungen zwischen dem Guten und dem Zerstörerischen, dem Leben und dem Verlust. Zum einen in der Schöpfungssequenz, in der er die Entstehung der Erde und der Gnade zeigt. Zum anderen in der Geschichte um die Familie O’Brien, die mit naturgegebenen Kräften wie Leben, Tod und Rivalität umgehen muss.
„I just always wanted you to be strong. Be your own man.“
Die Schöpfungssequenz etabliert die wichtige Rolle von evolutionärem Verhalten auf der einen Seite und einem empathischen Verhalten auf der anderen Seite. Für Malick sind beides naturgegebene Eigenschaften, die auf einer zweiten Handlungsebene von Mr. Und Mrs. O’Brien in radikaler Weise personifiziert sind. Mr. O’Brien (Brad Pitt) ist der Vertreter des „Survival of the fittest“-Ansatzes. Nur R.L. scheint durch seine Natur („(…) my brother. True. Kind“) den Erziehungsmaßnahmen des Vaters entgehen zu können. Das Gute in ihm schützt ihn jedoch schlussendlich nicht davor mit neunzehn Jahren zu sterben. Damit macht Malick die Aussage, dass der Mensch, so gut er auch ist, der Natur nicht entkommen kann. Sie macht keine Unterschiede zwischen den Menschen. Diese Tatsache macht den Menschen hilflos und bringt ihn dazu Antworten zu suchen, beispielsweise bei einer göttlichen Macht.
„Unless you love, your life will flash by.“
Im Gegensatz zu Mr. O’Brien erzieht seine Frau die Kinder sehr liebevoll, fördert ihre musischen Talente und verbringt viel Zeit mit ihnen in der Natur. Malick inszeniert sie als elfenartige Anbeterin der Natur – ein krasser Gegensatz zu ihrem Mann.
Mrs. O’Briens Figur ist trotz ihrer Zuversicht, Hingabe und Liebe eine Tragische. Für sie ist die Liebe die stärkste Macht auf Erden, eine Macht, die aus der Natur erwächst. Doch mehr und mehr entgleiten ihr ihre Kinder und ihr Ehemann. Trotz ihres Schutzes entwickelt sich Jack genauso wie sein Vater. Daran ändert auch ihre Liebe und Zuwendung nichts. Jack ist der Meinung, sie liebe ihn nicht so sehr wie seinen jüngeren Bruder, was wiederum zu aggressivem Verhalten und dem Eintreten in einen Rivalitätskampf mit R.L. führt.
Die Figur des jungen Jack offenbart einen natürlichen Egoismus. Die Suche nach ungeteiltem Schutz und mütterliche Liebe, einer lebenswichtigen Ressource, zwingt ihn in einen Kampf mit seinem Umfeld und, paradoxerweise, mit seiner Mutter selbst. Dieser Egoismus führte zwar im Leben zu keiner Erfüllung, aber zumindest hat er, anders als sein Bruder, überlebt.
„Father. Mother. Always you wrestle inside me. Always you will“
Der erwachsene Jack (Sean Penn) hat letztlich am meisten mit dem Verlust seines Bruders zu kämpfen. Trotz seiner beruflichen Erfolge steckt er in einer tiefen Krise, die ihn das Leben und dessen Wesen hinterfragen lässt.
Die Ungerechtigkeit, mit der die Natur Menschen aus dem Leben reißt und andere überleben lässt, lähmt ihn und macht ihn zu einem passiven Menschen, der unterm Strich den Überlebenskampf gewonnen hat, das Spirituelle und Erhabene in sich jedoch verloren hat.
Man bekommt den Eindruck, dass der Mensch, welchen Weg er auch wählt, die Erfüllung kaum finden kann. Beziehungsweise, dass man selber weniger Einfluss hat auf den Menschen, der man ist, hat, als man es wahrhaben möchte. Was den Menschen von allen anderen Lebewesen unterscheidet, ist die Tatsache, dass er ein empathisches, komplex denkendes Wesen ist, das fähig dazu ist mit seinem Schicksal (was per se ebenfalls ein menschgemachtes Konstrukt ist) zu hadern und zu hinterfragen. Während in der Natur der Kampf entweder gewonnen wird oder eben nicht, beginnt beim Menschen erst der Kampf mit sich selbst und den gesellschaftlichen Zuständen.
„Someday we’ll fall down and weep. And we’ll understand it all.“
Malick hat seinem Publikum schwere Kost vorgelegt, deren Konsum nicht mal eben verdaut werden kann. Die Figuren und die Wechselwirkungen zwischen den Protagonisten sind komplex. Die Bilder wirken manchmal inhaltsschwerer als sie sind, vor allem in Kombination mit den Voice-Overs.
Dennoch schafft es Malick eine gewisse Lebensrealität aufzugreifen. Die Gesellschaft wird immer größer, das Leben schneller und leistungsorientierter. Dass der evolutionäre Gedanke da greifen muss, wird einem im täglichen Leben immer wieder vorgehalten. Sieht man sich Jack in seinen Mittvierzigern an, stellt man sich die Frage: wozu das Ganze? Blickt man jedoch auf seinen Bruder R.L., auf dessen Güte und menschliche Perfektion, muss man sich die selbe Frage stellen.
Der Film ernüchtert. Eine göttliche Gerechtigkeit scheint es nicht zu geben. Auch menschgemachte Götzen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Natur immer wieder ihren Soll verlangt. Aber – und in diesem Punkt äußert sich Malick klar – der Weg, den Mrs. O’Brien lebt, scheint immer noch derjenige zu sein, der einem ein wenig Erfüllung versprechen kann. Damit liefert der Regisseur ein Plädoyer an seine Zuschauer, sich wieder dem schönen zuzuwenden, der Natur und dem Licht, sich spiritueller auszurichten. Die menschliche Hybris, sein Leben im Griff zu haben und zu kontrollieren, führt Malick ad absurdum.
Fazit
Letztendlich bekommt man den Eindruck, dass es Malick zu jeder Phase der Produktion vollkommen egal war, wie Kritik und Publikum seinen Film aufnehmen könnten. Tree of Life ist ein so persönlicher, intimer Film, dass er überhaupt kein Film für jedermann sein kann. Allein durch die narrative Struktur wird der Film mehr zu einem Kunstwerk, als zu einem Spielfilm. Und wie es bei der Kunst so ist, bringt der Rezipient eigene Anteile mit, um ein Werk zu greifen. Dabei ist es auch stimmungsabhängig, was The Tree of Life einem geben kann und was nicht. So können einzelne Szenen für den einzelnen Zuschauer eine unglaubliche Bedeutungskraft entwickeln, während sie für den anderen absolut nichtssagend sind. Bei diesem Film geht es schlussendlich nicht darum, ob er einem gefällt oder nicht. Technisch gut gemacht ist er zweifellos. Dennoch gleicht der Film eher einer spirituellen Erfahrung, die sich nicht dem bloßen Rezipieren und Konsumieren eignet.
Fotos: Concorde Film
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