Spiritualität statt Schmink-Tutorial

Spiritualität statt Schmink-Tutorial – Was hat es mit Bianca Heinicke als “Sinnfluencerin” auf sich? (Teil 2)

Von Veronika Gruschwitz

Insbesondere seit der Corona-Pandemie haben sich die Reels und Beiträge auf Instagram, TikTok & Co. geändert. Durch das neuartige Phänomen der sogenannten „Sinnfluencer” findet man weniger Pranks und Tutorials und mehr Anregungen zu Sport oder Kreativität. In den letzten Jahren haben sich spezielle Bereiche in den sozialen Medien gebildet, durch die jede/r dem eigenen Hobby nun auch digital nachgehen kann.

Aus medienwissenschaftlicher Sicht ist diese Entwicklung nicht sehr verwunderlich, sondern kann leicht durch einen Klassiker der theoretischen Grundsätze des Faches erklärt werden: den Uses-and-Gratifications-Ansatz.

Der Uses-and-Gratifications-Ansatz

Der Uses-and-Gratifications-Ansatz wurde vor allem in den 1960er und 70er Jahren genutzt, um das Fernsehen und die damit verbundenen Beobachtungen zu analysieren. Im Wesentlichen versucht der Ansatz herauszufinden, wieso ein bestimmtes Medium genutzt wird, weshalb manche Gattungen besonders beliebt sind, nach welchen Kriterien man ein Medienangebot auswählt und so weiter. Grundsätzlich nimmt diese Theorie an, dass die Mediennutzer*innen sich aktiv und bedürfnisorientiert für ein bestimmtes Medium entscheiden.

Überträgt man diesen medienwissenschaftlichen Ansatz auf die Frage nach dem „Warum” der „Sinnfluencer”, wird schnell klar, dass das Bedürfnis der User*innen zu Corona-Zeiten war, jemanden zu finden, der zu ihnen spricht und Lösungen, Orientierung, kreative Beschäftigungen oder Antworten auf gesellschaftspolitische Fragen gibt. Die Instagram-Community hat demnach aktiv nach genau diesen Influencern gesucht.

Eine weitere Grundannahme des Ansatzes ist, dass

Beispielsweise präsentieren sich Influencer der Koch-Nische häufig in ihrer Küche und zeigen spielerisch, wie ein Rezept nachgekocht- oder gebacken werden kann. Quelle: Pexels von Anna Shvets

ein Medienangebot verschiedene Bedürfnisse erfüllen kann. Das erklärt, wieso man heutzutage unter „Sinnfluencern” ein breites Spektrum an verschiedenen Schwerpunkten wiederfindet. In den sozialen Medien haben sich insbesondere in den letzten Jahren Nischen gebildet. Diese Nischen können bestehen und wachsen, weil es für jeden noch so absurd und kleinteilig scheinenden Bereich Menschen gibt, die genau danach gesucht haben. Beispiele hierfür wären etwa die Fitness-Nische, die Koch-Nische oder die „Self-Love”-Nische.

Entschleunigung, Selbstliebe, Gesundheit – das sind Themen, mit denen sich viele junge Menschen in den sozialen Netzwerken aktuell gern auseinandersetzen. Dass Bianca Heinickes neuer Content auf Zustimmung trifft, ist also nicht verwunderlich. Natürlich könnte man sich auch die Frage stellen, was wodurch beeinflusst wurde: die Veränderung der Schwerpunkte auf Social-Media oder die Wandlung von Bianca Heinicke. Eine Tatsache ist jedoch, dass die Influencerin, genau wie die anderen „Sinnfluencer“, für mehr Sinnhaftigkeit und Substanz auf Instagram & Co. sorgt.

Sind “Sinnfluencer” automatisch Expert*innen?

Menschen, die Themen wie Psychologie, Ethik oder Philosophie studiert haben, oder eine Ausbildung in diesen Bereichen genossen haben, können natürlich Themen besser und fundierter erklären und verdienen zudem einen Vertrauensvorschuss, Quelle: Unsplash

Zunächst kann man diese Entwicklung nur gutheißen. Es ist vielversprechend, wenn sich Creator*innen und Nutzer*innen eher mit tiefgründigen als mit oberflächlichen Themen beschäftigen. Jedoch wird es dann gefährlich, wenn „Sinnfluencer” Themen propagandieren, die eine gewisse Expertise benötigen, die ihnen aber im schlimmsten Fall fehlt.

Beispielsweise sollte Meditation richtig und ausführlich erklärt werden, da dabei in seltenen Fällen schwere psychische Nebenwirkungen auftreten können. Im besten Fall sollte jemand, der im Netz zu Meditation aufruft, also eine Weiterbildung auf dem Gebiet gemacht haben oder sich anderswo die nötigen Kenntnisse angeeignet haben.

Auch gesellschaftspolitische Themen, die die Gemüter erhitzen und die Meinungen stark spalten, sollten richtig und wissenschaftlich fundiert erklärt werden. Beispielsweise zum Thema Veganismus gibt es Expert*innen, die studiert haben, sich jahrelang dazu informiert und darüber geforscht haben. Kann ein TikTok-Video einem Laien eine gleichwertige Aufklärung wie ein Buch oder eine Vorlesung leisten?

Generell ist es sicherlich immer richtig, dazu aufzurufen, an sich selbst zu arbeiten und sich mit prekären Themen auseinanderzusetzen. Allerdings ist beim Konsum dieser Inhalte wichtig, sich vor Augen zu führen, wer die Person hinter der Kamera ist und was sie zum/zur Experten/in macht.
Bianca Heinicke hat mit ihrem neuen Fokus einen Weg gefunden, selbst glücklicher mit ihrem Beruf zu leben und einen Weg gefunden, ihre Reichweite sinnvoll zu nutzen und das aktuelle starke Bedürfnis nach Sinn und Orientierung zu stillen.

Quellen:

Kamisli, Y. und Szorek, T. (03. Januar 2024): Wie Fans und Promis auf den Wandel von Youtube-Star Bibi reagieren. Rheinische Post. URL: https://rp-online.de/panorama/leute/bibis-beauty-palace-comeback-influencerin-ueberrascht-zu-neujahr_aid-104357117 [Aufgerufen am 03.12.2024].

Kutil, M. (06. November 2024): Sinnfluencer – Was steckt hinter dem Begriff? Intermate. URL: https://www.intermate.de/magazine/sinnfluencer—was-steckt-hinter-dem-begriff [Aufgerufen am 03.12.2024].

Huber. L. (19.März 2024): Krank durch Meditation? tagesschau. URL: https://www.tagesschau.de/investigativ/swr/meditation-risiken-nebenwirkungen-100.html [Aufgerufen am 03.12.2024].

Pallinger, J. (31. Mai 2022): Wie Influencer auf Sozialen Medien nach neuem Sinn suchen. Der Standard. URL: https://www.derstandard.at/story/2000135852787/wie-influencer-auf-sozialen-medien-nach-neuem-sinn-suchen [Aufgerufen am 03.12.2024].

Sommer, D. (Baden-Baden, 2019). Uses and Gratifications. (1. Aufl.) in “Konzepte. Ansätze der Medien- und Kommunikationswissenschaft. Band 23.