Ist das noch Romantisch oder schon strafbar?
Wie Liebesfilme Stalking verharmlosen
Von Emma Holzer
Die Jukebox vor dem Fenster, wiederholte Anrufe und Fragen nach dem ersten Date, ein heimlicher sehnsüchtiger Blick durch das Fenster der Angehimmelten: Der Katalog der Liebesfilm-Formeln ist endlos lang. Romantisch sind sie jedoch nur auf den ersten Blick, per Definition würden sich tatsächlich viele der genannten Verhaltensweisen als übergriffig oder gar als Straftat qualifizieren. Insbesondere die Grenze zwischen Stalking und vermeintlich romantischen Gesten ist in medialen Repräsentationen oft unscharf, was viele Gefahren birgt.
Großaufnahme: ein vom Regen durchnässter, junger Mann blickt gebannt durch eine Fensterscheibe. Es ist bereits dunkel, doch das Licht, das durch das Fenster nach außen strahlt, erhellt sein Gesicht, in dem nasse Haarsträhnen kleben. Er wischt mit seiner Hand die Regentropfen von der Fensterscheibe. Kamera nach innen: nun sieht man, was – oder besser wen – er mit so großen Augen betrachtet. Eine junge Frau dreht sich wie in Zeitlupe um während sie ihren nassen Mantel ablegt, die Streicher-Musik schwillt an, die Kamera kommt näher, unerklärbarer Wind lässt ihr Haar leicht nach hinten wehen. Wow! Die Zuschauenden wurden soeben Zeugen wahrer Liebe.
„Wahre Liebe“ ist zumindest das, was der Romantik- und Dramaklassiker St. Elmos Fire (1985) in dieser soeben beschriebenen Szene vermitteln will. Audiovisuelle Hinweise wie Musik, Licht oder bestimmte Kameraeinstellungen lassen die Gefühle des männlichen Protagonisten sichtbar werden. Sie diktieren so genau, was romantisch ist und aus Liebe geschieht. Reduziert man die St. Elmos Fire-Szene auf das bloße Verhalten, merkt man jedoch recht schnell, dass sie tatsächlich nur wenig Romantik beinhaltet. Geht man einen Schritt weiter und stellt sich die Beobachtungsszene gar mit bedrohlich, schriller Musik vor, so sieht man an Stelle eines hoffnungslos Verliebten vielmehr einen gefährlichen Stalker.
Doch woher kommt diese so widersprüchliche Nähe von Stalking und Romantik?
Der Liebesfilm-Baukasten: Beliebte Tropes und ihre Implikationen
Romantische Filme sind in der Regel sehr formelhaft aufgebaut. Statt aufregend zu sein, bieten sie Komfort im bereits Bekannten – verschiedenste Hindernisse zögern die (von Anfang an klare) glückliche Vereinigung des Liebespaares hinaus. Dabei erfreut sich vor allem eine Grundformel großer Beliebtheit: der Held verliebt sich in eine Frau, die ihm zunächst mit Widerstand begegnet. Er nimmt die Zurückweisung nicht einfach hin – in einem folgenden Eroberungszug versucht er, die Frau doch noch von sich zu überzeugen. Hier ergibt sich die Parallele zu Stalking: Ganz generell lässt sich dieses als wiederholter und vor allem ungewollter Kontakt definieren. Die wohl bekannteste Vorstellung von Stalking liegt zumeist bei Überwachung und Beobachtung, es kann sich aber auch in Form von Anrufen, ungewünschten Häufungen von Geschenken oder Briefen sowie unangekündigten Besuchen manifestieren. Letztere Verhaltensweisen sind häufig Teil der in Liebesfilmen dargestellten Taktiken, die männliche Protagonisten nutzen, um eine Frau für sich zu gewinnen. Dabei wird die männliche Persistenz stets als heroisch dargestellt, die weibliche Resistenz hingegen ist das Problem, das die Geschichte katalysiert und welches es gilt, zu überwinden.
Eine kurze Geschichte von Romantik und Persistenz
Ähnliche Dynamiken waren bereits in Courtship-Ritualen des 19. Jahrhunderts erkennbar: Sie waren als „teasing games“ zu verstehen, in denen Frauen möglichst viele männliche Freier anlocken sollten. Bat einer dieser Freier dann um ihre Hand, so wurde erwartet, dass die Frau mit Überraschung oder gar Wut reagierte und den Mann mehrfach zurückwies, bevor sie schlussendlich doch bejahen konnte.
Romantik wurde dadurch basierend auf geschlechtsspezifischen Rollen definiert. Auch heute existieren ähnliche heteronormative Verhaltens-Skripts: Bei der Einladung zu einem Date wird typischerweise eine aktivere Rolle von Seiten des Mannes erwartet.
Ein „Ja“ um jeden Preis
Die im Liebesfilm erlaubten Eroberungstaktiken kennen praktisch keine Grenzen: So hängt sich Ryan Gosling als Noah in The Notebook (2004) nach klar geäußerter Zurückweisung seitens Allie von einem Riesenrad und droht loszulassen, sollte sie nicht zu einem Date mit ihm einwilligen. Vergleichbar besucht Chris Pine als FDR in This Means War (2012) unangekündigt Laurens Arbeitsplatz, stört die dort laufenden Prozesse und zwingt sie so zu dem Satz „If I say Yes, will you leave?“. Zuschauer*innen sehen diese Szenen gemäß des Genres bereits mit dem Wissen im Hinterkopf, dass beide Figuren im späteren Happy End vereint zu sehen sein werden. Der über allem stehende Zweck der wahren Liebe heiligt vorausgreifend jedes Mittel auf dem Weg dorthin – so passiert es schnell, dass problematisches Verhalten als romantischer wahrgenommen wird als es eigentlich ist.
Stalker als Beschützer
Manchmal wird Stalking in Liebesfilmen ironischerweise als Sicherheitsmaßnahme inszeniert. Wenn Edward Bella in Twilight (2008) heimlich verfolgt, dann ist er auch rechtzeitig zur Stelle, sie vor einer bedrohlichen Gang aus Männern zu retten. Das Stalking wird rückwirkend gerechtfertigt – auf ihre Frage, woher er gewusst habe, wo sie sei, antwortet er nicht. Später stellt sich heraus, dass Edward außerdem über mehrere Monate heimlich in Bellas Schlafzimmer geklettert ist, um sie beim Schlafen zu beobachten.
„How did you get in here?“
„The window.“
„Do you do that a lot?“
„Just the past couple of months. I like watching you sleep. It’s kinda fascinating to me.“
Das Spiel mit der Zeit
In anderen Fällen wird Stalking durch ein weiteres grundlegendes Erzählelement überschattet: Sowohl der Filmklassiker Groundhog Day (1993) als auch die Tragik-Komödie About Time (2013) integrieren Zeitreisen in ihren Plot. Beide Protagonisten nutzen die Chance, Situationen wiederholen zu können, um alles über die begehrte Frau zu erfahren. Mit den dabei neu gewonnen Informationen gaukeln sie gemeinsame Interessen vor, bügeln sie Fehltritte aus und imponieren sie – bis zum erfolgreichen Happy End und ohne Auflösung der Frau gegenüber.
Die Wette
Ein den Schönheitsidealen entsprechender männlicher Protagonist wird dazu herausgefordert, eine unscheinbare oder „besonders hart zu knackende“ Frau zu verführen. Zunächst besteht kein ernstgemeintes Interesse – es geht lediglich darum, die eigenen Eroberungs-Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Im Verlauf des Filmes lernen sich beide Charaktere jedoch besser kennen und entwickeln Gefühle füreinander. Auch in der Wette-Trope kämpfen die männlichen Protagonisten zu Beginn häufig gegen Zurückweisungen an – aus einer Frau wird eine Challenge.
Frauen sind keine Trophäen
Vor allem junge Menschen entnehmen ihre Vorstellung von Romantik zu großem Teil den Medien und dabei vor allem Liebesfilmen. Ist das darin transportierte Bild durchsetzt von problematischem Verhalten, so bringt das reale Konsequenzen mit sich. Wie Kulturkritiker Jonathan McIntosh 2018 einen Artikel in der LA-Times titelt: “Are Hollywood movies teaching men and boys that predatory behavior is OK?” oder umgekehrt: Wird Frauen beigebracht, übergriffiges Verhalten als schmeichelhaft und romantisch zu sehen?
Nicht alle genannten Filme sind deshalb schlecht oder sollten nicht mehr gesehen werden. Wichtig ist es, eine gewisse Sensibilität für Genre-Tropes und ihre problematischen Implikationen zu bekommen. Zu viele Liebesfilm-Klassiker unterliegen der Devise „Männer erobern und Frauen werden erobert“, dabei ist das Bild der passiven Frau, die als Gewinn objektifiziert wird und bloß als Mittel zur männlichen Protagonistenentwicklung fungiert, längst überholt. Es gibt neben anfänglicher Zurückweisung viele andere – nicht problematische – Hindernisse, die Drehbuchautor:innen ihrer Liebesgeschichte zu Spannungszwecken in den Weg legen können.
Watchtipp
Video-Essay zum Thema „Stalking for Love“: https://www.youtube.com/watch?v=MeSiwHnV5L0&t=1s