Wie löst man denn das Problem dieser doppelten Anonymität am Geschicktesten?
Sandra Müller: In erster Linie muss man natürlich sicherstellen, dass man mit einem/einer seriösen Informant*in spricht. Also kann er/sie dir ein Praktikumszeugnis vorlegen oder irgendwelche Emails, in der ihm/ihr konkrete Anweisungen gegeben wurden. Hat die Person irgendwelche Mitschnitte von Dingen, die er/sie gemacht haben soll. Vorrangig ist das für dich als Journalist*in wichtig, damit du auf der sicheren Seite bist: Wir hatten bei Fair Radio in der Vergangenheit bereits Fälle, bei denen Schreiben von Rechtsanwält*innen kamen – in den letzten Jahre zwar nicht mehr so häufig, weil man uns als Initiative mittlerweile kennt. In den Anfangsjahren von Fair Radio ist es jedoch vorgekommen, dass wir von Anwält*innen einiger Sender kontaktiert worden sind, die Beweise für die erhobenen Vorwürfe einforderten.
Apropos andere Radio-Sender – Wie reagieren diese denn im Allgemeinen auf eure Arbeit? Und: Gibt es denn Konsequenzen, wenn so etwas rauskommt?
Sandra Müller: Keine Redaktion findet es witzig, wenn man sie eines Fehlers überführt. Manche sind sehr abwehrend und sagen so etwas wie ‚So macht man das halt beim Radio‘. Solche Aussagen sind natürlich geläufige Ausreden. Nur weil etwas gängige Praxis ist, heißt es noch lange nicht, dass jene Praxis gut und richtig ist. Es gibt jedoch auch konstruktivere Reaktionen: Der SWR zum Beispiel, für den auch ich selbst als freie Mitarbeiterin arbeite, ist mal mit einer sehr peinlichen Situation aufgefallen: Kollegen hatten eine Sendung komplett voraufgezeichnet und an einem Samstag ins Netz gestellt. Das Ereignis, über das sie berichtet haben, war jedoch zu dem Zeitpunkt noch gar nicht passiert. Das hat zu Recht öffentlich Wellen geschlagen und Empörung ausgelöst. Dennoch erfreulich: Der Sender hat nach dieser Geschichte, Konsequenzen gezogen. Im SWR gibt es seither verbindliche Regeln für aufgezeichnete Interviews, Gespräche und Sendungen, die auch als strenge Leitfäden veröffentlicht worden sind.
Des Weiteren ist es tatsächlich so, dass die eigentlichen Konsequenzen nicht von uns kommen. Als Berichterstatter reichen wir Beschwerde bei den Landesmedienanstalten oder Rundfunkräten ein – die einen sind für die Aufsicht über private Sender zuständig, die anderen überwachen öffentlich-rechtliche Sender. Die Medienanstalten zum Beispiel können Rügen aussprechen. Dann müssen Hörfunksender auf Sendung gegebenenfalls eine Richtigstellung senden. Mittunter sind dann auch Zusammenarbeiten aufgekündigt worden. Uns freut das. Das ist eigentlich das, was wir uns wünschen. Wir wollen, dass die Redaktionen und die Sender, die sich daneben benehmen, die Konsequenzen auch zu spüren bekommen.“
Ihr Kollege Constantin Pläcking meinte dazu:
Hinzu kommt, dass wir mit unserer Arbeit versuchen eine gewisse Öffentlichkeit herzustellen. Das heißt auch, dass jene Sender durch unsere Berichterstattung oft keine andere Wahl haben, als sich zu den Vorwürfen zu äußern. In gewisser Weise ist das schon mal ein Anfang, um überhaupt ein Bewusstsein dafür zu schaffen, wie es richtig laufen kann.
Die Informantin aus unserem Artikel arbeitet nicht mehr aktiv bei dem Radiosender und das war auch einer der Gründe, warum sie überhaupt bereit war mit uns zu sprechen, daher die Frage: Gehen auch Mitarbeiter*innen auf euch zu, die in den jeweiligen Redaktionen noch aktiv arbeiten? Und welche Ratschläge habt ihr für diese Leute?
Constantin Pläcking ist freischaffender Journalist aus Tübingen und als aktives Mitglied bei Fair Radio tätig. Er arbeitet unter anderem als freier Reporter für den Südwestrundfunk. Quelle: Fair Radio
Constantin Pläcking: Bei mir waren es tatsächlich immer Praktikant*innen. Das ist aber auch der Grund, warum es auf der Fair Radio-Internetseite die FAQ-Seiten gibt. Dort findet man Antworten auf die Frage wie man als Mitarbeiter*in bestimmte Dinge ansprechen kann. Ein Teil des Engagements von Fair Radio ist nämlich auch dazu da, um Verbesserungen innerhalb von Redaktionen zu bewirken. Dort haben wir ganz praktisch immer zusammengeschrieben: ‚wie kann man besser mit Aufzeichnungen umgehen?‘ oder ‚wie gehe ich damit um, wenn jemand mich zu einem Fake verleiten will?
Sandra Müller: Ich habe gelegentlich Anfragen von Leuten, die normal im Hörfunk arbeiten und die Mühe haben in ihrer Redaktion derartige Problematiken anzusprechen. Diese Mitarbeiter*innen wenden sich an mich, um sich einen Rat einzuholen. Ich sage dann ganz oft zu den Betroffenen: ‚wenn du in der großen Runde nicht weiterkommt, such dir einen Verbündeten‘. Meistens gibt es nämlich zwei oder drei Leute in der Redaktion, die ähnlich ticken und ebenfalls mit der Arbeitsweise der Redaktion unzufrieden sind. Auf diese Weise kann man als Team zusammenkommen und gemeinsam Wege finden, um es besser zu machen. Genau das ist auch das Schöne an der Fair Radio-Initiative: über die Jahre ist eine Art Netzwerk von Leuten entstanden mit denen wir aktiv diskutieren und beispielsweise auch Workshops zu der Thematik anbieten. Wir simulieren in diesen Seminaren radioalltägliche Entscheidungen und Produktionsabläufe und klären, was und warum etwas heikel wird.
Mein persönliches Fazit
Tatsächlich ist mir persönlich durch das Interview vor allem ein Punkt noch klarer geworden: Es reicht bei Weitem nicht aus, jene Missstände nur aufzudecken. Es ist genauso wichtig -wenn nicht sogar wichtiger- jene Geschichten so transparent wie möglich zu recherchieren und aufzuarbeiten. Nur auf dieser Weise können sie glaubhaft nachvollzogen werden. Ich denke, das ist genau der Punkt, den Fair Radio mit der Initiative machen will: Radiomacher*innen sollen sich authentisch und aufrichtig verhalten und ihre Zuschauer*innen nicht hinters Licht führen. Genauso muss es sich deshalb auch mit der Berichterstattung verhalten. Kann das Team rund um Fair Radio die gesamte Radiolandschaft von Grund auf verändern? Das ist natürlich fraglich – das ist jedoch auch nicht der Anspruch: Es geht vielmehr darum, einen Rückzugsort für Hörfunker*innen/Interessierte zu schaffen, in dem offene Gespräche über derartiges möglich sind und man auch Hilfestellung bekommt, falls nötig.