Wer hat hier Social Media Marketing nicht kapiert?
Social Media Marketing kann auch mal ganz anders funktionieren. Dafür muss man keine teuren Seminare buchen. Und keine Agentur nach ihren Standardrezepten fragen. Wie das geht, zeigt der analytische Blick auf die Auseinandersetzung zwischen dem irischen Hotel- und Cafébesitzer Paul Stenson und Elle Darby, Social Media Influencer im Bereich Fashion und Beauty.
Spoiler: Der Cat Fight hatte einen eindeutigen Sieger.
von Oliver Häußler
Das Setting:
Influencerin Elle Darby schickt eine Mail an vermutlich eine Menge Hotels in Dublin. Das unverhohlene Ansinnen: Vier kostenlose Übernachtungen für sich und ihren Freund. Ihre versprochene Gegenleistung: Das Hotel soll auf ihren Social Media-Kanälen gefeatured werden. Hotelbesitzer Stenson postet diese Mail (Namen geschwärzt) auf seiner Facebook-Seite und prangert in seiner Antwort mangelnde Würde und Selbstrespekt von Influencern an. Als einen Haufen Schnorrer, die nichts ordentliches gelernt hätten. Die Empörung scheint echt.
Den kompletten Facebook Post von Paul Stenson findet ihr hier.
Influencer-Fehler Nr.1:
Wer schon schnorren möchte, sollte die Schnorrermail so gut verpacken, dass sie den Eindruck eines Geschäftsangebotes erweckt. Höflich. Freundlich im Ton. Eben als Angebot. Und nicht schnoddrig und naiv-selbstverliebt.
Drama 1. Akt:
Anstatt die Sache auf sich beruhen zu lassen, postet Elle Darby ein mehr als 17 Minuten langes Video auf YouTube. Darin klagt sie an, wie ungerecht sie sich behandelt fühlt, dass ihre Mail ganz normales Business sei und dass der Hotelbesitzer als über 30-Jähriger keine Ahnung habe, wie Social Media wirklich funktioniere.
Influencer-Fehler Nr.2:
Bevor man sich mit jemanden über Social Media-Kanäle anlegt, sollte man vorab recherchieren, mit wem man es zu tun hat. Denn Paul Stenson ist nicht irgendein Hotelbesitzer. Paul Stenson selbst bezeichnet sich als streitsüchtig mit dem Ziel, über Online-Debatten Aufmerksamkeit zu bekommen – wie er in einem Beitrag auf Dublin Lives bestätigt:
„My online persona is simply a way of getting attention, which is the main objective of marketing.“
So machte er sich in der Vergangenheit über penible Ernährungswünsche der Veganer in seinem Café lustig und brachte damit weltweit die Veganer-Community gegen sich auf. Gleichzeitig mobilisierte er alle, die etwas gegen die tatsächliche oder vermeintliche moralische Überlegenheit der Veganer haben. Mitten in dem Online-Fight setzte er noch einen drauf: Er drohte, jeden Veganer, der ab sofort in sein Café kommt, zu erschießen. Denn den Veganern solle es bei ihm auch nicht besser ergehen als den Tieren. Monty Pythons Flying Circus lässt grüßen.
Auch TripAdvisor bleibt von Stensons Kritik nicht verschont. In einem Video stellt dieser verschiedene Dinge vor, die man mit einer TripAdvisor Auszeichnung tun kann – anstatt sie sich an die Wand zu hängen.
Drama 2. Akt:
Nun nimmt die Sache Fahrt auf. Einige Blogger und Influencer stellen den Hotelbesitzer auf ihren Kanälen an den Pranger und solidarisieren sich mit der Beauty/Fashion-Influencerin Elle Darby.
Paul Stenson antwortet auf seiner Facebookseite (186.000 Follower): Alle Blogger werden von nun an vom Hotel- und Cafébetrieb verbannt. Der Grund: Der große Hass der Blogger gegen ihn. Und das nur, weil er einer Influencerin das in ihrer Branche scheinbar natürliche Recht des „Gratis-Konsums“ verweigert hat. Ein strategisch geschickter Schachzug. Denn jetzt solidarisieren sich alle möglichen Nutzer mit Paul, denen die Blogger- und Instagram-Sternchen ohnehin auf die Nerven gehen.
Der Höhepunkt:
Der Cat-Fight geht viral. Aus aller Welt bekommt Paul Medienanfragen und Buchungen für sein Hotel. Und sehr viele Negativ-Bewertungen. Und sehr viele Positiv-Bewertungen. Doch Paul ist das alles egal. Hauptsache, er hat sein Ziel erreicht: AUFMERKSAMKEIT.
Das Ende:
Schlussendlich postet Paul Stenson eine Rechnung an Elle Darby in Höhe von 4,3 Millionen Euro für seine Dienstleistung als Social Media Influencer. Denn der Streit führte in mehr als 20 Ländern zu über 100 Medienberichten zu der Influencerin Elle Darby und somit zu einem „potentiellen Kontakt in Höhe von 450 Millionen Nutzern“. (Ihr 17-minütiges Beschwerdevideo hat mit Abstand die meisten Klicks)
Kurz & bündig:
Es spielt keine Rolle, ob Paul Stensons moralische Entrüstung über die vermeintliche oder tatsächliche Schnorrer-Mentalität von dem Großteil der selbsternannten Influencer echt ist oder nur gespielt. Denn Paul Stensons Strategie funktioniert ganz nach dem Motto:
‚Ich muss einfach den einen Teil der User gegen mich aufbringen und den anderen Teil der User gegen diesen Angriff in Stellung bringen. So habe ich eine Kontroverse im Netz und Aufmerksamkeit für mich. Und wenn die Auseinandersetzung abflaut, gieße ich einfach wieder Öl ins Feuer.‘ (sinngemäß)
Auf seinem eigenen Blog hat er den Fall nochmal ausführlich analysiert.
Und wer Paul Stenson wie der Chefredakteur von gruenderszene.de vorwirft, er habe das Prinzip des Social Media-Marketings von Influencern nicht verstanden, der scheint wohl komplett auszublenden, wie erfolgreich die Methode „I am Paul and I love online controversy“ in diesem Fall ist. Denn ein paar Bilder auf dem Instagram-Kanal von Elle Darby wären nur ein paar Tropfen gewesen – im Gegensatz zu der aktuellen BigWave-Aufmerksamkeit durch den bewusst inszenierten Streit.