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Queercoding im Zeichentrick – Zwischen versteckter Vielfalt und schädlicher Stereotypisierung

Was haben Pokémon, Scar und der Antichrist gemeinsam? Die Antwort: Sie werden alle mit stereotypisch queeren Eigenschaften besetzt. Was genau daran problematisch sein kann und was dahinter steckt, wird hier näher beleuchtet.

 

Info-Box "Queer"

Queer wird häufig als Sammelbegriff für Menschen aus der LGBTQ+- Community verwendet. Es kann jedoch auch eine Selbstbezeichnung für Identitäten sein, die über Kategorien wie „Frau“/“Mann“ oder „lesbisch/schwul“ hinausgehen. Queer kann auch eine Haltung sein, die Heteronormativität und Zweigeschlechtlichkeit kritisch hinterfragt.

 

Dramatische Gestik, theatralisches und effeminiertes Auftreten auf der einen, Flanellhemden und eine burschikose Ausstrahlung auf der anderen: diese formelhaften Verhaltensmuster lassen sich zuhauf bei Charakteren entdecken, bei denen das sogenannte „Queercoding“ stattfindet.

Unter Queercoding bezeichnet man das Zuschreiben typischer Eigenschaften, die andeuten, dass eine Figur nicht heterosexuell oder cis-gender ist, ohne dass dies on- und offscreen bestätigt wird. Ihre Queerness wird somit nicht explizit gezeigt, aber beispielsweise durch bestimmte Tropes impliziert. Queercoding kann so weit gehen, dass ganze romantische Beziehungen gleichgeschlechtlicher Paare angedeutet werden. Dies fällt unter den Begriff des Queerbaiting.

Geschichtliche Hintergründe

An und für sich scheinen diese beiden Phänomene nicht allzu problematisch zu sein. Denn im Hollywood der 1930er Jahre waren sie ursprünglich als einfache, unterschwellige Möglichkeit gedacht, queere Menschen on screen zu repräsentieren. Gleichzeitig sollte eine staatliche Zensur Hollywoods, das als Zentrum eines maßlos ausschweifenden Lebensstils gesehen wurde, umgangen werden.

Um der Überwachung und Kontrolle durch die Regierung zu entgehen und das Image Hollywoods wiederherzustellen, gründeten die Studios selbst 1922 den Verband „Motion Picture Producers and Distributors of America“ (kurz: MPPDA).

Die MPPDA führte daraufhin einen „Production Code“ ein, auch „Hays-Code“. Mit dem Hays-Code schränkte sich das Filmgeschäft in seinen Produktionen selbst stark ein, um zu vermeiden, dass Gruppierungen von außerhalb auf ihre Werke Einfluss nahmen. Nebst des Verbots gewisser Gewaltdarstellungen und der Heroisierung von Kriminellen unterband der Hays-Code auch „sexuelle Perversion“, was damals eine Umschreibung für Homosexualität war.

Screenwriter*innen griffen daher auf bestimmte, wiedererkennbare Figuren zurück, um vor allem schwule Männer im Skript zu implizieren:

  • „The Sissy“: Der klassische Stereotyp schwuler Männer; eine effeminierte Darstellung, flamboyant, frech und eitel.
  • „The Artiste“: Personifikation der Gefahr, durch Kunst und dasselbe Geschlecht verführt zu werden.
  • „Sycophantic servant“: Eine zumeist männliche Helferfigur, die etwas zu obsessiv und demütig zu ihrem gleichgeschlechtlichen Herren ist.
  • „The Sadist“: Eine Person, die Gefallen daran findet, Menschen gleichen Geschlechts zu foltern und sich dadurch einen psychosexuellen Kick verschafft.

Im Laufe der Jahre und mit einem drohenden Zensurgesetz wurde der Hays-Code immer strenger und de facto Standard. Beispielsweise mussten Filme, die nicht von der MPPDA abgesegnet waren, einen Geldbetrag zahlen und wurden nicht in Kinos des Verbandes gezeigt. Obwohl der Hays-Code mit Beginn der 60er Jahre sein Ende fand, halten sich diese Archetypen bis heute.

Queercoded Zeichentrickcharaktere

Vor allem, aber nicht ausschließlich, finden sich Charaktere mit stereotypisch schwulen oder lesbischen Eigenschaften im Zeichentrick.

Im Anime „PreCure“ hat beispielsweise jede Staffel eine codierte weibliche Paarung, die sich durch eine homo-romantische Freundschaft auszeichnet.

Der Ruf einer weiblichen Stimme führt Elsa in die Ferne. Sie singt: „Or are you someone out there who’s a little bit like me?“ Filmstill: „Die Eiskönigin 2“

Mit dem Erscheinen des zweiten „Die Eiskönigin“ wurde viel darüber diskutiert, inwiefern Elsa als homosexuell gecodet ist: Bereits im ersten Teil muss sie sich verstecken, weil sie besonders ist und hat das Gefühl, ihr Leben zu zerstören, wenn sie ihren Gefühlen freien Lauf lässt. Als sie im zweiten Teil von einer weiblichen Stimme von ihrer Familie weggeführt wird, erschließt es sich, Elsa als lesbisch zu labeln.

Ein weiteres populäres Beispiel für Queercoding ist Scar aus „König der Löwen“: Seine Augen wirken fast geschminkt, seine Gestiken führt er melodramatisch mit den Handgelenken aus und seine Stimmfarbe wirkt deutlich höher und weiblicher als die von Mufasa.

Auch stereotypisierte Figuren, die denen aus Zeiten des Hays-Codes entsprechen, lassen sich in „Die Schöne und das Biest“, sowie in „Pocahontas“ finden: In letzterem wurde der Bösewicht sissified. In „Die Schöne und das Biest“ finden sich die Merkmale des „Sycophantic Servant“ in LeFou wieder.

„Die Schöne und das Biest“ ist hierbei einer der Filme, die überdies die Absicht hatten, queer zu wirken – als kreativer Kopf wirkte hier Howard Ashman in den 80ern. Als schwuler Mann schaffte er mit „Aladdin“ und „Arielle- die Meerjungfrau“ zwei Filme, um seine Community zu repräsentieren. Auffällig ist jedoch, dass auch in diesen Filmen zumeist die Bösewichte mit formalhaft queeren Eigenschaften dargestellt wurden.

Die böse Seehexe Ursula. Filmstill „Ariellle – die Meerjungfrau“

In „Aladdin“ treffen Stereotype schwuler Männer auf Jafar zu, während die Seehexe Ursula in „Arielle“ von der Dragqueen Divine inspiriert worden sei.

Das Darstellen von Bösewichten mit queeren Eigenschaften geht jedoch auch über Disney hinaus: In der Schurkenbande Team Rocket aus „Pokémon“ wurde deren Mitglied James fortwährend als extravagant und theatralisch präsentiert.

Queercoding kann sogar so weit gehen, dass beispielsweise Charakteren, die mit homosexuellen Klischees dargestellt wurden, Provokationen drohen, die als homofeindlich zu verstehen sind. In „Ralph reicht´s“ ruft der Protagonist dem verweiblichten Rosaliebhaber und Bösewicht King Candy „Nelly Wafer“ zu, ein Schimpfwort gegen schwule Männer.

„King Candy“ in seinem rosa Schloss. Filmstill „Ralph reicht´s“

Auch in Darstellungen des Antichristen, beispielsweise bei „South Park“ oder den „Powerpuff Girls“ biegt der Teufel geschlechtliche Rollenvorstellungen durch das Tragen von Stöckelschuhen oder wird direkt als fester Freund von Saddam Hussein gezeigt.

 

Ist Queercoding problematisch?

An und für sich ist Queercoding erst einmal nicht verwerflich. Um Menschen der LGBTQ+ Community zu repräsentieren, muss deren Sexualität oder geschlechtliche Orientierung nicht unbedingt angesprochen oder zum Thema gemacht werden. Sie kann auch subtiler mit einbezogen werden. Gerade in Kontexten, in denen es nicht erlaubt ist oder war, diese Minderheiten darzustellen, kann Queercoding ein Mittel sein, um Menschen außerhalb heterosexueller und zweigeschlechtlicher Normen zu integrieren.

Problematisch wird es jedoch dann, wenn Queercoding für ein homofeindliches Publikum existiert. Wenn Hinweise auf Queerness die entscheidenden Eigenschaften moralisch grauer Charaktere oder Bösewichte auszeichnet, stehe die implizierte Sexualität in direkter Verbindung zu dem Status als Übeltäter*in, so der Dokumentarfilmer David Thorpe. Gerade weil Zeichentrick häufig für ein jüngeres Publikum gedacht wird, kann dies das Bild vieler Kinder in Bezug auf ein vielfältiges Bild von Sexualität und Geschlecht negativ beeinflussen.

Im Verwenden von Queercoding lässt sich in Bezug auf Filmemacher*innen feststellen, dass zumeist versucht wird, Filme sowohl für queere Menschen, als auch für ein weniger offenes Publikum zu schreiben. Durch das Versprechen von Repräsentation sollen sie als fortschrittlich gelten und das Publikum aus der LGBTQ+ Community anziehen. Auf der anderen Seite werden auch konservative Gruppierungen durch den Verzicht auf explizite Darstellungen von Homosexualität oder Transpersonen nicht vor den Kopf gestoßen.

Eine interessante Perspektive, die die Absichten der Filmemacher*innen auf eine niedrigere Stufe stellt, bietet Roland Barthes Werk „Tod des Autors“. In diesem beschreibt er, dass die Erfahrungen des Publikums und die Interpretation des finalen (textuellen) Produkts eine größere Bedeutung haben, als die Bestrebungen der Personen, die dieses Produkt schufen.

Heißt grob gesagt: Wenn das Publikum eine Figur als queer wahrnimmt, dann kann es auch beanspruchen, dass diese queer ist. Dies könnte eine Möglichkeit für LGBTQ+ Fans sein, um weitreichenderen Einfluss zu nehmen – bis es jedoch soweit ist, haben wir noch einen langen Weg zu gehen.

Quellen:

https://www.lsvd.de/de/ct/3385-Was-bedeutet-LSBTI-Glossar-der-sexuellen-und-geschlechtlichen-Vielfalt?gclid=EAIaIQobChMIoe_4rem7_wIVe4uDBx3q5wBSEAAYASAAEgJLAvD_BwE

https://gender-mediathek.de/de/media/remote-video/queer-coding-explained-hidden-plain-sight

https://feuerundbrot.de/folgen/queercoding

https://www.film.at/news/queer-coding-warum-haben-disney-boeswichte-oft-typisch-queere-eigenschaften/401156016

https://filmlexikon.uni-kiel.de/doku.php/h:hayscode-198

https://time.com/3949440/david-thorpe-do-i-sound-gay-interview/