Stigma Influencer:in: Warum Influencer:innen beruflich weder wunschkonzerttanzen, ponyhofreiten noch zuckerschlecken.

Von Maryla Fünfstück

Sucht man im Digitalen Wörterbuch der Deutschen Sprache (DWDS) nach dem Wortprofil zu „Influencer“ spiegelt sich bereits in der Listung der mit dieser Bezeichnung am frequentesten-verwendeten Wörter der negative Beigeschmack, der dem Ausdruck oft anhaftet. Das zweithäufigste Wort in dieser Statistik: „sogenannt“. Sprechen wir über Influencer:innen, dann sprechen wir nicht einfach über „Influencer:innen“, sondern gerne degradierend von „sogenannten“ Influencer:innen. Aber warum eigentlich?

Sogenannte Influencer:innen Autor:innen, Journalist:innen, Filmemacher:innen – um hier nur einige der professionell für ein Konsument:innen-Publikum Inhalt erstellender Berufsgruppen nebst Influencer:innen zu nennen –beeinflussen oder zu neudeutsch „influencen“ ebenso wie Influencer:innen täglich die Weltsicht unserer Gesellschaft, dennoch verbinden wir deren Berufstitel aber hingegen nicht selten sogar mit gewissem Prestige anstatt, dass sich in uns die leise Stimme der Verachtung meldet. Autor:in oder besser noch Schriftsteller:in zu sein, Reporter:in oder Regisseur:in, das ist in vielen Fällen ein Aushängeschild. Perfider Weise nicht so, ist man Influencer:in. Der Begriff ist nämlich in erster Linie eins: Stigma-belastet. Ja, viele Influencer:innen selbst vermeiden es, sich so zu nennen. Stattdessen bezeichnen sie sich lieber als Content-Creator:innen. Dabei überschattet die negative Konnotation, die wir mit der Bezeichnung des/der Influencer:in assoziieren, was eigentlich ganz sachlich hinter dem Berufstitel steckt.

5 Gründe für den schlechten Ruf des Influencer:innen-Begriffes

1. Aus dem Kinderzimmer

Was braucht man fürs Influencer:in-Sein? Nicht viel: Ein technisches Endgerät, Internetzugang und natürlich nicht zu vergessen, sich selbst. Man kennt sie, die „Wie alles anfing“- Geschichten bekannter Influencer:innen – und zwar tatsächlich oft im eigenen Kinderzimmer der jeweiligen Influencer:innen mit nichts als einer (Handy-)Kamera und dem Wunsch, sich der Welt mitzuteilen. Auch, wenn es für die Meisten eine große Kappe Mut bedarf, öffentlich auf einem Social-Media-Account zu posten, könnten zumindest die reinbürokratischen Hürden nicht geringer sein. Um als Influencer:in anzufangen, benötigt man keinerlei Abschluss, Ausbildung oder Berechtigung übergeordneter Strukturen. Theoretisch kann somit jede:r Influencer:in werden und genau das trägt zum negativen Ansehen des Influencer:in-Daseins bei. Etwas das jede:r erreichen kann, ist in den Köpfen vieler Leute automatisch weniger wert und stellt nicht zuletzt das Gegenteil eines in irgendeiner Form gesicherten Qualitätsversprechens dar.

2. Familiäre Privilegien

Auch wenn theoretisch jede:r Influencer:in werden kann, fällt ganz klar auf, dass viele Influencer:innen aus privilegierten Haushalten stammen. Obwohl man keine „krasse“ Technik benötigt, um potentielle:r Influencer:in zu werden, steigern Faktoren wie das Vorhandensein guten Equipments, ein guter, stabiler Internetzugang und nicht zuletzt der Luxus genügend freier Zeitreserven und eines schönen Zuhauses unter Umständen die Qualität des Contents und vermutlich auch das Selbstbewusstsein eines oder einer angehendenden Influencer:in. Zudem in einer bestimmten Wohlstandsschicht auch eine stärkere Sozialisation mit bestimmten sozialen Plattformen und dadurch die Inspiration, sich selbst auf diesen zu betätigen einhergeht. Aufgrund dieser nicht zu verleugnenden Zusammenhänge assoziieren wir Influencer:innen oft mit einem gewissen nicht selbst erarbeiten Reichtum, was dann zu einer Mischung aus einerseits Faszination anderseits aber vielleicht auch Missgunst führen kann.

3. „High Life“

Zum täglichen Business der allermeisten Influencer:innen gehört es, dass sie ihr alltägliches Leben, ihren Lifestyle zum Gegenstand ihres Contents machen. Diese seltsame Verquickung zwischen Privatleben und Profession führt zu einem Lebensstil, bei dem Influencer:innen beruflich viele Dinge erleben, die für andere Leute nur in ihrer Freizeit möglich sind. Viele Influencer:innen sind überdurchschnittlich viel in der Welt unterwegs, sehen neue Orte und besuchen spezielle Events. Wie andere Selbstständige haben sie häufig keine typische Arbeitsstruktur und so die Möglichkeit, sich ihre Arbeit verhältnismäßig frei einzuteilen. Auf Außenstehende wirkt das Leben von Influencer:innen so oft wie das absolute „High Life“, das mehr aus Freizeit als aus wirklicher Arbeit besteht und bei vielen Neid schnürt.

Foto: Ibrahim Boran (Unsplash)

4. One-(Wo)man-Show

Die typischen Influencer:innen bieten ihren Follower:innen eine Art One-(Wo)man-Show, in der sie als Person mehr oder minder im Mittelpunkt stehen. So fallen Influencer:innen und Persönlichkeiten mit einer Liebe zur Selbstdarstellung und gegebenenfalls tendenziell eher ausgeprägter Egozentrik häufig zusammen. Diese Korrelation besteht nicht zwangsläufig, ist aber definitiv nicht von der Hand zu weisen. Letztendlich entscheiden aber die Konsument:innen, ob sie eine solche Attitüde stört oder inspiriert, wessen Content sie konsumieren und wem sie somit Reichweite verschaffen oder nicht.

5. Werbebotschaftler:innen

Haupteinnahmequelle von Influencer:innen ist die Bewerbung von Produkten durch Kooperationen mit bestimmten Marken. Als Schnittstelle zwischen ihren Follower:innen und den Konzernen, die sie bewerben, kann es schwerfallen, beiden Seiten gegenüber gerecht zu werden und eine entsprechende Loyalität zu gewährleisten. So gibt es leider sowohl Influencer:innen, die Follower:innen Produkte nicht in deren ehrlichen Wohlwollen bewerben, als auch Influencer:innen, die gegenüber Brands, mit denen sie nicht zusammenarbeiten, nicht professionell agieren, indem sie falsche Informationen streuen und das Image bestimmter Firmen beschädigen. Ein respektvoller Umgang als Vermittler:innen zwischen beiden Seiten ist nicht immer leicht und so häuft sich die Kritik gegenüber Influencer:innen, die entweder als „gekauft“, „oder „anti xyz” bezeichnet werden. Hasskommentare sind schnell versandt und wenden sich oft auch an ehrliche Influencer*innen, da vergessen wir, dass eine Meinung zu haben – solange sind respektvoll ist, nun Mal genau deren Job ist.

Influencer:innen – ein Beruf wie jeder andere

Professionelle Influencer:innen, die von ihrer Tätigkeit leben können, haben einen gewissen sozialen Status und sind zumindest in ihrer Bubble als Persönlichkeit berühmt. Sie scheinen es nach außen hin “geschafft” zu haben. Dabei übersehen viele die Schattenseite und die harte Arbeit, die hinter diesem Beruf steckt. Nicht nur, dass die wenigsten Langzeit-Influencer:innen über Nacht bekannt wurden und ihr Beruf stattdessen Jahre lang lediglich Hobby oder Nebenverdienst war, mehr Follower:innen bedeuten nicht, dass es nun Zeit wäre, die Beine hochzulegen. Im Gegenteil. Mit dem Job als Influencer:innen geht zwar ein besonderer Lifestyle einher, aber auch eine große Portion mentaler Stress. Die gewonne Reichweite will gehalten werden und man will sich als Influencer:in von der großen Masse aufstrebender Neuinfluencer:innen genau wie von den alten Hasen abheben. Dabei sind die Influencer:innen nicht nur von der Aufmerksamkeit potentieller Kooperationspartner:innen abhängig, sondern auch vom dem sich auf ihre Follower:innen auswirkenden Zeitgeist, den sich ständig verändernden Trends und den Algorithmen sozialer Plattformen. Mit anderen Worten, wer heute auf der Welle reitet, wird vielleicht bereits übermorgen von ihr erwischt.

Auch nicht zu unterschätzen: Das Los der Selbstständigkeit und der Mangel an Privatsphäre. Während die Influencer:innen meist die besten Momente ihres Arbeitsalltages zeigen, bleibt vieles im Dunkel hinter der Kamera oder dem Mikro. Kooperationsanfragen müssen gesichtet, Verträge geprüft sowie gegebenenfalls unterzeichnet und Contentplanung abgesprochen werden. Content, den es nun zu produzieren gilt. Hinzu kommt die tägliche Interaktion mit Follower:innen sowie Steuererklärungen und Versicherungsfragen. Viele dieser Aufgaben finden ganz unspektakulär am Schreibtisch statt und das aufgrund der Vielbeschäftigtkeit der Influencer:innen oft zu unwirtlichen Zeiten.

Das Phänomen des Burnouts ist bei Influencer:innen deshalb nicht selten. Es kann schwerfallen, Beruf und Privatleben voneinander zu trennen und nicht nur das Handy, den Laptop oder die Kamera mal auszuschalten, sondern auch die ständig um die Follower:innen und die eigene Onlineperformanz kreisenden Gedanken. Und so kann man mit Recht sagen, dass Influencer:in-Sein zwar ein besonderer Beruf ist, aber letztendlich doch einer wie jeder andere: Er bedeutet Arbeit und die macht ganz einfach nicht immer nur Spaß.

Foto: Kinga Howard (Unsplash)

Quellen:

Alton Endarwanto Hadi Susanto, Nadiroh, Hafid Abbas, & Agung Purwanto. (2023). Lifestyle: Flexing Behavior in Social Media. International Journal of Economics (IJEC), 2(1), 27–31. https://doi.org/10.55299/ijec.v2i1.410.

Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache. Influencer. Online unter: https://www.dwds.de/wb/Influencer. (abgerufen am 17.06.2023).

Ditt, C., Moulard, J.G., Pounders, K., Zmich, L.J. (2023). Social Media Influencers and Authenticity: The Effect of Partnership Disclosure and Attachment Strength: An Abstract. In: Jochims, B., Allen, J. (eds) Optimistic Marketing in Challenging Times: Serving Ever-Shifting Customer Needs. AMSAC 2022. Developments in Marketing Science: Proceedings of the Academy of Marketing Science. Springer, Cham. https://doi.org/10.1007/978-3-031-24687-6_37.

Julius, C. (2023). “Social Media ist kein richtiger Job” – worüber keiner spricht. Online unter: https://open.spotify.com/episode/0raYR3X7MiEjsi4RWx8m8P?si=f4e23f565edd4a97. (abgerufen am 17.06.2023).

Puteri, R. D. H. (2018). The Influencer and Hedonist Lifestyle of Digital Society. Jisiera: The Journal of Islamic Studies and International Relations, 3(1), 1–14. https://doi.org/10.5281/zenodo.6789734.