Bild eines Kiosk

Wer einmal lügt…

Die Gefahr der Regenbogenpresse

Von Emilian Weber

Kennen Sie das Sprichwort „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, auch wenn er dann die Wahrheit spricht“? Die Vertreter*innen der Regenbogenpresse anscheinend nicht, sie haben eine, sagen wir mal, weiche, formbare Definition der Wahrheit. Warum? Na, weil es zum Geschäftsmodell gehört. Doch sollte das Problem, das von den bunten Blättern ausgeht, die ja sowieso nur von älteren Leser*innen gekauft werden, ernst genommen werden?

Viel Farbe, wenig Glanz

Wer oder was ist die Regenbogenpresse? Das sind die Zeitschriften, deren Gesichter Sie anstarren, wenn Sie in einem Supermarkt ihren Wocheneinkauf verrichten oder sich schnell am Kiosk eine Schachtel Zigaretten holen. Ihren Namen verdanken sie ihrer bunten Erscheinung durch massenhaft Bilder und der farbenfrohen Kopfzeile, denn sie wollen betrachtet werden. Aber ja nicht zu sehr, man könnte nämlich beim Öffnen der Zeitschrift erkennen, dass so manche Schlagzeile ein enttäuschendes Ende nimmt. Nein, man soll den reißerischen Überschriften erliegen, und siehe da, nur 92 Cent, kann ja nicht schaden, mal reinzuschauen, sich ein wenig von dem Alltagsstress zu entziehen und sich unterhalten zu lassen. Denn das haben sich die Verlage wie Burda, Gruner + Jahr und Bauer auf die Fahne geschrieben – zu unterhalten. Der Burda-Verlag spricht selbst von dem „unterhaltenden Journalismus“. Wobei „unterhaltend“ in der Agenda eine ganz andere hierarchische Position erfährt als die des „Journalismus“. Dazu später mehr.

Also, schnell ein Heftchen gekauft. Zuhause angekommen, Einkäufe einräumen, kurze Auszeit, mal schauen was in dieser farbenfrohen Zeitschrift steht. Das Cover des Magazins titelt: „Michael Schuhmacher – Er ist über den Berg“. Das sind doch mal gute Nachrichten, gleich mal die Seite aufschlagen, wie es dem ehemaligen Profisportler jetzt wohl geht… Oh, sein Sohn hat ein T-Shirt getragen, auf dem stand: „Through this together.“ Okay, doch nichts zu Schuhmachers wirklichem Zustand, aber mal schauen, was es noch so Interessantes zu lesen gibt. Was, Prinzessin Diana hat eine heimliche Tochter? Na, das ist ja mal ein Ding, wieso hört man da erst jetzt davon? Diana musste also auf Anordnung der Queen eine gynäkologische Untersuchung machen, damit sichergestellt werden konnte, dass sie ihr auch Erben schenken konnte. Das ist ja unfassbar, das muss ich gleich meinem engeren Umfeld berichten und die werden Augen machen!

So oder so ähnlich könnte der Kauf und die Rezeption einer Zeitschrift der Regenbogenpresse ablaufen. Der erste Beitrag zu Michael Schuhmacher ist ein Beispiel dafür, dass durch reißerische und aufgebauschte Titel reale Ereignisse verzerrt werden und zum Weiterlesen gereizt wird, der Beitrag selbst aber die Erwartungen enttäuscht. Dieses Phänomen kennen wir aus der digitalen Analogie des Clickbaitings. Im Fall Diana jedoch ist es etwas anderes, der Inhalt dieses Artikels ist frei erfunden und der Burda-Verlag macht sich nicht einmal die Mühe, kreative Eigenleistung hervorzubringen. Als Quelle dieses Beitrags wird das US-Magazin „Globe“, ebenfalls eine Klatschblatt, angegeben, die unter anderem mit Titel werben wie „Oprah dying!“, „Obama gay scandal!“ und „Kate flees murder scene!“. Und tatsächlich, die Geschichte, die laut „Freizeit Spaß“ jetzt ans Licht gekommen sei, findet sich wieder, aber seltsamerweise in einer Ausgabe von 2012, und darin bezieht sich das US-amerikanische Blatt auf ein Buch, genauer: ein Roman, es wird also im Gegensatz zu „Freizeit Spaß“ darauf hingewiesen, dass es sich dabei um eine frei erfundene Geschichte handelt. (Zum Weiterlesen: hier)

Clickbaiting zum Durchblättern

„Die kauft doch eh kaum jemand.“. Das ist ein Satz, den man häufig in Zusammenhang mit dem Thema Regenbogenpresse hört, aber das stimmt so leider nicht. 2017 hat „Topf voll Gold“, die sich zur Aufgabe gemacht haben, mit Recherchearbeit gezielt Falschmeldungen aus der Welt der Regenbogenpresse transparent zu machen (ich komme später darauf zurück), eine Statistik zu den Verkaufszahlen der Regenbogenhefte pro Woche veröffentlicht. Und siehe da, knapp fünf Millionen Ausgaben pro Woche, das sind dreifach so viele wie vom „Spiegel“, „Stern“ und „Fokus“ zusammen. (Zur Statistik: hier)

Okay, stellt sich nun die Frage, wieso sich die bunten Blätter so gut verkaufen, obwohl sie ja Inhalte und Erwartungen versprechen, die offenkundig nicht erfüllt werden. Um das verstehen zu können, muss man die Mechanismen verstehen, mit denen die Redaktionen arbeiten: „Auf dem Titel werde eine angebliche Sensation versprochen, die im Heftinneren nicht eingelöst wird“, erklärt der Medienwissenschaftler Andreas Vogel im „Tagesspiegel“. Weiter begründet er die treue der Leser*innenschaft in zwei Punkten: Erstens zweifelt er an der Urteilskraft der Leser*innen (gegen den bekannten Einwand: „Das glaubt doch sowieso niemand.“) und zweitens werden diese durch „klassische Fortsetzungsgeschichten“ wöchentlich geködert. Es werde also eindeutig falsche Tatsachen als Fakten dargestellt. Und nicht nur das, die Betroffenen, über die in den Beiträgen berichtet wird, erleiden durch die Hefte einen Eingriff in die allgemeinen Persönlichkeitsrechte, denn grundsätzlich muss niemand hinnehmen, dass über sein Privatleben berichtet wird. Ausnahmen sind beispielsweise bei der Zustimmung zur Berichtserstattung zu finden, oder wenn es ein berechtigtes öffentliches Informationsinteresse an der Berichtserstattung gibt. Letzteres sucht man bei der Regenbogenpresse vergeblich.

Und noch ein Phänomen hat sich erschlossen: Je weiter weg die Prominenten sich befinden, desto skandalöser wird über sie berichtet, mit der Hoffnung, die Betroffenen würden es nicht mitbekommen (siehe Diana). Und tatsächlich verschwinden die Zeitschriften der Regenbogenpresse häufig unter dem Radar, da die zugespitzten Inhalte vor allem im Print durch den niedrigen Verkaufspreis funktionieren.

Echte und falsche Initiativen

Zu diesem Hintergrund möchte ich auf Initiativen eingehen, die sich für eine echte Recherche und wahrhaftigen Berichterstattung stark machen, um den journalistischen Standard, sowie den Pressecodex zu beschützen und bewahren. Dabei gibt es solche, die durch transparente Arbeit schaffen, ihre Ziele zu erreichen und andere, die sich mit ihrer vermeintlichen Arbeit den Schein einer wahrhaftigen Berichtserstattung erteilen. Fangen wir mit letzterer an, denn sie scheint so unglaubhaft ironisch. 2018 verkünden fünf große deutsche Verleger die Antwort auf das Zeitalter der „Fake News“: „True Media“. Im Zusammenschluss zur Gesellschaft für integrierte Kommunikationsforschung (GIK) wurde eine Agenda in fünf Punkten präsentiert. Unter anderem steht da in Punkt 3:

3. Wir investieren in die Wahrheit
Unsere publizistische Verantwortung nehmen wir sehr ernst – in Print und Digital. Wir recherchieren, wir überprüfen und wir separieren die Wahrheit, auch die unbequeme, von der Falschinformation – ob es um politische, inspirierende oder unterhaltende Inhalte geht.“

Das klingt durchaus nach wichtigen Absichten, schaut man sich jedoch die Verlage an, die diese Erklärung veröffentlicht haben, hat man einen fiesen Beigeschmack. Axel Springer, Bauer Media Group, Gruner + Jahr, Funke Mediengruppe und Hubert Burda Media profilieren sich also selbst zur Wahrheitspresse, diejenigen, die unter anderem Zeitschriften, wie die oben genannte „Freizeit Spaß“ herausbringen, also lieber einmal mehr auf die Recherche verzichten oder Unwahrheiten verbreiten, wie beispielsweise hier oder hier oder hier. Es ist eine klassische Form des Labelings, bei der sich diejenigen, die mit Bedacht auf Faktencheck verzichten, sich „publizistische Verantwortung“ und „Wahrhaftigkeit“ auf die Fahne schreiben. Damit will man zum einen ein juristisches und soziologisches Ziel erreichen, nämlich sowohl der Leser*innenschaft, als auch den juristischen Instanzen klarzumachen, man halte sich an die Regeln des Pressecodex. Zum andern wird ein ökonomisches Ziel verfolgt. Unter Punkt 5 der genannten Agenda heißt es:

5. Wir machen Marken begehrenswert
Viele Marken wurden in den letzten Jahren durch einseitige Digitalstrategien in Werbung und Kommunikation sukzessive entwertet. Markenbildung ist ein komplexer Prozess, in dem gerade Printmedien eine fundamentale Rolle spielen – besonders weil sie verlässliche Informationsquellen in der Flut an medialen Reizen sind, mit denen der Endverbraucher tagtäglich konfrontiert wird. Unsere Studien zeigen, wie sich gut geführte Marken über Jahre entwickeln, und dass nachhaltige Kommunikation in gedruckten Zeitschriften und Zeitungen sich auszahlt – nicht nur im Sinne von Markenbekanntheit und Sympathie, sondern sehr konkret in der Kauf-Aktivierung.“

Kurz gesagt, „Vertraut uns, wir sind die Guten!“. Und das richtet sich eben auch an die Unternehmen, die laut der GIK die falschen Adressen mit Werbegeldern finanzieren.

Aber es gibt auch eine Lösung, die gegen „Fake News“ der Regenbogenpresse hilft, um Wahrheit von Lüge zu unterscheiden: Das schon oben genannte „Topf voll Gold“ auf „Übermedien“. „Topf voll Gold“ startete als Blog zweier Journalismus-Studenten, Mats Schönauer und Moritz Tschermak, in dem sie sich Woche für Woche in die Abgründe der Regenbogenpresse begeben, um die Lügen und verbogenen Wahrheiten herauszuarbeiten. Auf ihrem Blog veröffentlichten sie ihre Ergebnisse. Sie recherchieren zu jedem Fakt, prüfen jede Quelle und gehen jeder noch so zweifelhaften Aussage nach. Seit einiger Zeit sind sie von ihrem Blog umgezogen zum Onlinemagazin für Medienkritik „Übermedien“ und verfolgen dort ihre Arbeit weiter.

Zuletzt wurde in Zusammenarbeit mit dem ZDF und der Sendung „ZDF Magazin Royal“ eine ganze Episode dem Thema Regenbogenpresse gewidmet (Zur Sendung: hier), aus der eine Zeitschrift hervorgegangen ist, die, anlehnend an die Regenbogenpresse, skandalöse und überspitze Beiträge liefert, nur sind es in diesem Fall nicht Prominente, denen Unwahrheiten angedichtet werden, sondern Verleger*innen der sonst so gut recherchierten Zeitschriften. So wird auf diejenigen, die normalerweise gerne andere in die Öffentlichkeit zerren, das penetrante Scheinwerferlicht geworfen.