Nora Wunderwald: „Ein einmaliges Tagebuch, was mir niemand nehmen kann“
Von Marie-Claire Krezer
Täglich machen wir neue Erfahrungen. Zu Erinnerungen werden diese dann, wenn wir später darauf zurückblicken: Wir erinnern uns an Reisen, Feste, Krankheiten oder Abschiede – Schöne Momente, genauso wie schwere Zeiten. Briefe, Tagebücher, und Fotoalben helfen dabei, Gefühle und Gedanken festzuhalten. In Zeiten von YouTube und Instagram findet das Speichern von persönlichen Erinnerungen jedoch nicht mehr ausschließlich analog, sondern auch digital statt.
Im Internet spricht Nora offen über ihre Gefühle, ihre persönliche Entwicklung und lässt ihre Zuschauer*innen an ihrem Alltag teilhaben. So beispielsweise in Form eines wöchentlich erscheinenden Vlogs (eine Art Video-Tagebuch auf YouTube). Was es bedeutet, ein digitales Tagebuch zu führen und dessen Inhalte öffentlich zu teilen, und was das Erinnern durch Vlogs so besonders macht, erzählt Nora Wunderwald im Interview.
Nora, weshalb hast du dich dazu entschieden, dein alltägliches Leben auf Video festzuhalten?
Ich schaue schon viele Jahre selbst YouTuber*innen zu, wie sie mit der Kamera ihren Alltag begleiten. Irgendwann habe ich Lust bekommen, das auch zu tun. Anfänglich kam immer mal ein Follow-Me-Around (ein Video, in dem eine Person filmt, was sie unternimmt), ein Vlog, dann habe ich gemerkt, dass die Nachfrage größer wird. Schließlich hat es sich irgendwann so eingependelt, dass ich die ganze Woche filme und am Ende der Woche das Video dazu kommt.
Die eigene Entwicklung in Retrospektive beobachten zu können, ist schon schön.
Was bedeutet digitales Erinnern für dich im Hinblick auf deine Vlogs?
Meine Vlogs sind wie ein Tagebuch für mich. Es ist unglaublich schön, die Möglichkeit zu haben, auf die letzten Jahre zurückblicken zu können – und das audio-visuell. Ich nutze diese Möglichkeit auch relativ oft. Die eigene Entwicklung in Retrospektive beobachten zu können, ist schon schön. Weil man das von Tag zu Tag ja gar nicht so merkt, wie stark man sich eigentlich verändert, gerade, wenn man jung ist.
Woran erinnerst du dich gerne und hast du diese Momente auf Video aufgenommen? An meine Erfolge mit meinem Jugendmagazin TIERINDIR, oder die Sequenzen, die ich mit meinen Mitgründerinnen aufgenommen habe. Außerdem die Übergänge von einem Lebensabschnitt in den nächsten. Als ich Abi gemacht habe, als ich angefangen habe, zu studieren, und so weiter.
Das Leben ist doch eine ständige Achterbahnfahrt. Und die filme ich eben.
In deinen Vlogs zeigst du sowohl glückliche als auch schwierige Momente in deinem Leben. Wieso findest du es wichtig, auch an weniger schöne Zeiten zu erinnern?
Weil es für mich das Normalste der Welt ist. Nichts liegt mir ferner als meiner Zuschauerschaft etwas aufzutischen, was so nicht der Wahrheit entspricht. Klar, auch jetzt sehen sie nur einen kleinen Ausschnitt meines Lebens. Aber jedes Gefühl hat seinen Platz auf meinem Kanal und das finde ich auch wichtig. Zu zeigen: Jeder macht Höhen und Tiefen durch. Und vor allem: Man kommt da auch wieder raus. Das Leben ist doch eine ständige Achterbahnfahrt. Und die filme ich eben.
Du sprichst in deinen Vlogs offen über ernste Themen wie Selbstliebe oder Depressionen. Sind die Vlogs für dich persönlich ein Ventil oder versuchst du, deinen Zuschauer*innen mit deinen Gedanken und Erfahrungen zu helfen? Was bezweckst du mit deinen Vlogs?
Sie sind beides: Ventil für mich und Hilfestellung für andere. Das ist das Schöne daran, denke ich. Ich würde kein YouTube machen, würde es mir keinen Spaß bereiten. Und es würde mir keinen Spaß bereiten, wenn ich der Welt da draußen nichts mit auf den Weg geben, oder sie ein Stück besser machen könnte. Das eine begünstigt das andere. Ich bin ein ganz normaler Mensch, der jeden Tag etwas Neues lernt. Fehler macht. Meine Zuschauer*innen nehme ich auf diese Reise mit, zeige ihnen neue Sachen, rate ihnen von manchen Dingen ab.
Als Zuschauer*in bekommt man durch deine sehr privaten Videos geradezu das Gefühl, dich persönlich zu kennen. Wie gehst du damit um, dass völlig fremde Menschen so viel über dich wissen, du hingegen aber nichts über sie erfährst?
Das fühlt sich für mich gar nicht so an. Ich habe auch nicht das Verlangen danach, alle in- und auswendig zu kennen. Sie wissen ja auch nur so viel von mir, wie ich preisgebe. Also habe ich das unter Kontrolle. Wenn ich jedoch mal eine*n Zuschauer*in treffe, dann ist da so eine Energie zwischen uns, was ganz verrückt ist. Dann merkt man einfach, wie ähnlich man sich ist. Manche sind ja mit mir übers Internet groß geworden und ich mit ihnen.
Inwiefern ist das, was du mit deinen Zuschauer*innen auf YouTube teilst, für dich persönlich noch privat?
Was ich teile, ist persönlich, aber nicht privat. Was ich für mich behalte, ist beides.
Nicht jedes Detail trage ich nach außen.
Wo ziehst du die Grenze zwischen Öffentlichem und Privatem? Gibt es bestimmte Dinge, die du ganz bewusst nicht vloggst?
Oft vlogge ich Menschen nicht, die einfach nicht ins Internet wollen oder weil wir zu vertieft in die Situation sind. Dabei machen diese Menschen so viel von meiner Persönlichkeit und meinem Leben aus. Ihre Privatsphäre – und damit auch meine – schütze ich aber. Außerdem wissen Zuschauer*innen vieles von mir, aber nicht alles. Nicht jedes Detail trage ich nach außen, manche sind einfach zu sensible Informationen. Peinlich ist mir eigentlich selten etwas, da spielt wenn dann eher die Angst mit rein.
Einige deiner älteren Videos hast du mittlerweile privat gestellt. Wie blickst du auf deine Videos von früher zurück?
Eigentlich bin ich sehr stolz auf alles und vor allem, weil man an den alten Videos auch gut meine – wie ich finde positive – Entwicklung sehen kann. Allerdings haben viele Videos von damals nicht für das gestanden, was ich jetzt vermitteln will. Da habe ich eben auch mal H&M- und Zara-Hauls gemacht oder ein Burgerrezept gezeigt. Oder eben Videos mit meinem Exfreund gefilmt.
Wirst du dir deine Videos selber in ein paar Jahren auch noch anschauen und schaust du auch heute schon mit Hilfe deiner Videos auf vergangene Zeiten zurück?
Ja und ja. Es ist ein einmaliges Tagebuch, was mir hoffentlich niemand nehmen kann.
An sich bin ich ein sehr analoges Mädchen.
In eurem Online-Magazin „TIERINDIR“ veröffentlichst du regelmäßig selbstverfasste Texte, in denen du deine Gefühle zu unterschiedlichen Themen mit deinen Leser*innen teilst. Führst du, zusätzlich zu diesen Blog-Einträgen im Stil eines digitalen Tagebuchs, auch ein analoges Tagebuch bzw. bringst du manche Gedanken lieber von Hand zu Papier?
Zum Tagebuchschreiben hat mich Anne Frank inspiriert, da war ich in der sechsten Klasse. Seitdem schreibe ich regelmäßig Tagebuch und empfinde es als große Hilfe. Oft habe ich das Gefühl, wenn ich etwas zu Papier bringe, merke ich, dass ich alle Antworten für Probleme schon in mir hatte. An sich bin ich ein sehr analoges Mädchen. Alles hat seinen Platz.
Was sind die Vorteile von digitalem gegenüber analogem Erinnern (Instagram-Fotos & Vlogs vs. Fotoalben, Tagebücher etc.)?
Alle meine Instagram-Bilder nehme ich mit einer analogen Kamera auf. Irgendwann will ich mir mal Zeit nehmen, um sie alle in ein Buch zu kleben. Ich habe das Gefühl, dass das Internet auch mal ganz schnell weg sein kann. Meine Fotoalben, Tagebücher und Erinnerungen in meinem Kopf aber nicht. Solange es jedoch noch funktioniert, ist es ein Vorteil, von überall und immer darauf zugreifen zu können.
Auf deinem Instagram-Account postest du analog aufgenommene Bilder oder von Hand geschriebene Notizen. Du nutzt also eine digitale Plattform, um Analoges zu teilen. Ist das ein bewusster Schritt zurück zum analogen Erinnern bzw. eine Art Fusion aus digitalem und analogem Erinnern?
Genau das ist es. Außerdem ist es vielleicht so einer Art USP (Unique Selling Point). Es hebt mich ab, von anderen Instagrammer*innen, die immer alles sofort posten. Das geht ja analog nicht, da braucht ein Film schon mal ein paar Wochen, bevor ich ihn teile. Ich würde gern mehr mit der Fotografie anfangen. Ich weiß nicht, ob sie auf Instagram vielleicht ein bisschen untergeht oder so.