Bild: Jasmin Kessler

Nachhaltige Idealistin

Ein Portrait über Jasmin Sessler

Von Stefan Fischer

Archivarbeit und Nachhaltigkeit? Jasmin Sessler baut ungewöhnliche Brücken, und das mit Erfolg. Die Absolventin der Tübinger Medienwissenschaft kombiniert ihre vielseitigen Interessen zu spannenden Projekten. Sie zeigt, wie man sich mit Kreativität und Fleiß seinen eigenen Weg bahnen kann.

Die Direktverbindung nach München steht. Jasmin ist leicht verpixelt auf meinem Bildschirm zu erkennen, diesmal in Bewegtbild. Im Vorfeld unseres Gespräches habe ich per Internet-Recherche schon einiges über sie in Erfahrung gebracht. Erste Treffer zeichnen ein vielfältiges Bild: Müllfotografie, der Tübinger Nachhaltigkeitspreis und Projekte mit dem Bayrischen Rundfunk. In der folgenden Stunde erzählt sie mir, wie all diese Stationen zu ihrem Beruf, der Archivarbeit, führen.

Dort arbeitet sie seit Anfang des Jahres in einer Festanstellung beim Bayrischen Rundfunk. Jasmin beschreibt die Arbeit in großen Teilen als ihre Berufung, sie fühlt sich bei ihren netten Kollegen angekommen und kann sich auch vorstellen, die nächsten Jahre dort zu arbeiten. Der wohlverdiente Lohn einer zielstrebigen Karriere: Direkt nach ihrem Master-Kolloquium Ende Januar 2020 begann sie Anfang Februar ihren ersten Arbeitstag im Volontariat.

„Alles raus aus dem Archiv, so viel wie möglich, so viel wie rechtlich geht!“

Als Trainee Information Specialist, wie es der offiziellen Stellenausschreibung zu entnehmen ist, hospitierte sie in Fachbereichen des Archivs und wirkte schon in der Ausbildung an verschiedenen Projekten mit. Vom digitalen Adventskalender aus Archivmaterial, bis hin zur Entwicklung einer Marketingstrategie für das Projekt „BR Retro“ noch während des Volontariats. Ihre aktuelle Fachgruppe „Programmaustausch“ kümmert sich primär um Lizenzen und Rechte, und ist Teil des Archivauftrages „Informationen speichern, archivieren, dokumentieren mit dem Ziel der Wiederverwendung.“

Ungeahnt ihrer beruflichen Zukunft kam Jasmin schon seit ihrer Schulzeit über diverse Praktika, Nebentätigkeiten und Projekte in Kontakt mit verschiedenen Stadtarchiven. Die Faszination für die Dokumentation des Vergangenen begleitete sie schon seit Langem, jedoch wurde sie erst im Studium auf die beruflichen Möglichkeiten aufmerksam. Die Verbindung zum Berufsfeld des Wissenschaftlichen Dokumentars kam erst während eines Projektes im Studium auf, bei dem sie in ihrer Gruppe das Lizenzrecht für Material aus dem Landesarchiv Stuttgart abklärte.

Obwohl sie für ihren neuen Lebensabschnitt nach München zog, lässt Tübingen sie nicht los. Ihre Masterarbeit schlägt noch lange nach der Abgabe Wellen. Das umfangreiche Projekt stellt Nachhaltigkeit in verschiedenen Facetten dar. Neben einem Clean-Up-Event auf der Tübinger Neckarinsel im Herbst 2019 stellte Sie auch ihre Affinität zur Fotografie unter Beweis und veröffentlichte unter der Creative-Commons-Lizenz Bilder von vermüllten Orten, die ihr im Laufe des Projektes begegnet sind.

Foto: Elke Sessler

Immer wieder kommt es vor, dass ihre Fotos für verschiedene Zwecke verwendet werden. So kam es, dass sich vor Kurzem eine Schriftstellerin aus den USA bei ihr meldete, die eines ihrer Bilder für das Cover ihres Gedichtbandes verwendet. Die Begeisterung für ihre Idee der digitalen Nachhaltigkeit zog sich bis in die Gremien der Universität, sodass sie Ende 2020 mit ihrer Abschlussarbeit den Tübinger Nachhaltigkeitspreis gewann. Damit stellte sie auch unter Beweis, dass nicht nur naturwissenschaftliche, sondern auch kulturelle Produktionen und Geisteswissenschaften einen Beitrag zu Nachhaltigkeit leisten.

Creative-Commons Lizenzen

Durch Creative-Commons Lizenzen (CC) haben Urheber die Möglichkeit, ihr Urheberrecht zu behalten und gleichzeitig anderen zu erlauben, ihr Werk zu kopieren, zu verbreiten oder anderweitig zu verwenden – auf nicht-kommerzielle Weise. Gleichzeitig wird sichergestellt, dass Urhebern durch Namensnennung die Ihnen gebührende Anerkennung zukommt. 

„Macht ein Herzensprojekt“

Jasmin verstand ihre Masterarbeit als Möglichkeit, ein persönliches Anliegen umzusetzen. Der Bezug zu unserer Umwelt und deren Schutzwürdigkeit lernte sie schon in ihrer Kindheit kennen. Aufgewachsen in einer landwirtschaftlich geprägten Familie in der Gegend um Albstadt, war die Natur schon früh Teil ihres Lebens. Das Thema Umweltverschmutzung wurde relevant, als sie die ersten Male bei der „Flurputze“ für die „Gartenfreunde“ mithalf. Kommunale Vereine treffen sich einmal im Jahr, um den achtlos weggeworfenen Müll aus dem umliegenden Gebiet einer Kommune zu sammeln. Ihre Verbundenheit zum Umweltschutz trug sie über die Grenzen Deutschlands hinaus. Im Auslandssemester in Kanada traf das „shoreline cleanup“, die kanadische Version der Flurputze, auf einen Fotografiekurs, was Jasmin letztendlich auf die Idee der Müllfotografie brachte.

Foto: Carina Sessler

In Tübingen treffen ihre Ideen auf offene Ohren. Die alternativen ökologischen Milieus und das Angebot der Universität waren wichtig für ihre Entfaltung, sagt sie. Der zweite Ratschlag: „Probiert so viel wie möglich aus!“ Ob Studienprojekte, Film- und Bildbearbeitung oder Veranstaltungen und Seminare um Kontakte zu knüpfen. Das Ausprobieren und Vertiefen der eigenen Interessen während der Studienzeit sollte nicht unter den Tisch fallen.

Wie soll man etwas archivieren, das sich ständig verändert?

Der Blick in die Zukunft zeigt, dass es für die Archivarbeit noch eine ganze Menge zu tun gibt. Künstliche Intelligenz soll die Archivierung durch Gesichts- und Objekterkennung vereinfachen. Der Gedanke der Nachhaltigkeit zieht sich auch in diesen Arbeitsbereich hinein. Ein Kamerateam muss nicht für jeden Beitrag neue Aufnahmen machen, sondern kann archiviertes Material einfach wiederverwenden. Die menschliche Aufgaben bewegen sich weg von konventioneller Archivarbeit, hin zur Unterstützung von Redaktionen. Zukünftig werden Fact Checking und die Suche nach Erstveröffentlichungen und Primärquellen im Fokus stehen, denn anhand Fake News zeigt sich, dass insbesondere digitale Inhalte für Manipulationen anfällig sind.

Zuletzt geht es nicht minder um die Archivierung des Internets. Ein Vorhaben, dem sich insbesondere Informationsproduzenten wie der BR stellen müssen und dem noch viele offene Fragen zugrunde liegen: Was ist relevant? Muss man jede Insta-Story archivieren? Wie soll Community-Interaktion archiviert werden? Wo speichert man die Inhalte? Ein schwieriges Unterfangen, denn meist sind es kleine Dinge wie ein einzelner Tweet, die einen großen Effekt haben können. Jasmin verrät, dass in Kooperation mit Internet Archive und dessen Wayback Machine bereits teilweise Internetauftritte des BR gesichert werden. Die Web-Archivierung bleibt aber eine Herausforderung der Zukunft.