Diskriminierung in der Gaming-Community
Interview mit dem YouTuber Archimedes alias Boxenberger
Von Richard Freutel
„ Tolles Video! Aber du bist ein Deutscher, deshalb habe ich meinen Standpunkt klargemacht, indem ich es disliked habe.“ So lautet ein Kommentar unter einem der Videos des YouTubers Archimedes alias Boxenberger. Intolerante und diskriminierende Kommentare sind auf der Plattform regelmäßig zu finden, doch was kann man dagegen tun? Wie geht man als YouTuber damit um und wie kann man zu einem sozialeren Umgang miteinander anregen? All das erfahrt ihr im Interview.
Social Media und Gaming
Intolerantes Verhalten ist auf Social-Media-Kanälen eine Problematik, die seit langem existiert und gegen die auch vorgegangen wird. Die #MeToo-Debatte oder die Black-Lives-Matter-Bewegung zeigen, dass sexistisches, rassistisches oder allgemein diskriminierendes Verhalten nicht länger akzeptiert wird. Obwohl die Themen Toleranz und Diskriminierung auf Twitter, Instagram, YouTube, Facebook & Co häufig besprochen werden, scheint sich dies jedoch nicht im Verhalten der User jener Plattformen widerzuspiegeln. Dies wird u.a in der Gaming-Community auf Kanälen wie YouTube und Twitter deutlich.
Die Videospiel-Branche ist seit Jahrzehnten keine Nische mehr. Es ist eine Sparte, die im Jahr 2020 2,69 Milliarden Gamer umfasst und im gleichen Jahr insgesamt 159,3 Milliarden Dollar eingenommen hat [1]. Berufe im E-Sport-Bereich sind keine Seltenheit mehr und auch der Schritt zum hauptberuflichen Youtuber oder Twitch-Streamer wird gelegentlich – trotz der nach wie vor zu beachtenden, hohen Einstiegshürden und Branchenrisiken – gewagt. Durch die Pandemie nochmals stärker in den Fokus tretend, verzeichnete die Gaming-Branche in den letzten Jahren ein umso stärkeres Wachstum. Sie hat derweil nochmals gezeigt, wie wichtig Videospiele in der modernen Gesellschaft geworden sind .
Mit der steigenden Zahl an Streamern und Social-Media-Kanälen, die Content zum Thema Gaming produzieren, vermehrt sich auch die Anzahl an feindlichem und intolerantem Verhalten. Immer wieder werden rassistische und sexistische Kommentare gepostet oder anderweitig diskriminierendes Verhalten gezeigt. Doch was können die Social-Media-Kanäle selbst, sowie die Videospiel-Entwickler, dagegen unternehmen? Zu diesem Zweck wurde der Youtuber Archimedes alias Boxenberger zu einem Gespräch eingeladen, um zu diskutieren, wie er selbst mit intolerantem Verhalten im Netz umgeht.
Archimedes betreibt selbst einen YouTube- und Twitter-Kanal mit einem Fokus auf Konsolen-Gaming. Seit anderthalb Jahren ist er unter dem Alias „Boxenberger“ auf Youtube aktiv, einen Twitter-Kanal betreibt er seit mittlerweile drei Jahren. Er selbst kennt in der Branche genügend Kanäle, die bewusst Intoleranz provozieren, z.B. durch Konsolenkriege, und hiermit Klicks generieren möchten. Unter einem Konsolenkrieg versteht man Konflikte zwischen verschiedenen Gaming-Communities, die eine einzelne Konsole (Sony Playstation, Microsoft Xbox, Nintendo Switch) präferieren und sich anderen Nutzer*innen gegenüber diskriminierend verhalten. Aus diesem Grund versuche Archimedes, dies bewusst auf seinem Kanal zu unterbinden.
Doch stoße er damit, gerade als Deutscher, immer wieder auf Schwierigkeiten, zu denen er sich als Content-Producer verpflichtet fühlt, Stellung zu beziehen. Hierbei sieht er sich auch in der Verantwortung, als Moderator seiner Community zu agieren. „Ich sehe [Gaming] als Form der Unterhaltung an, die Menschen auf der ganzen Welt zusammenbringt“, sagt er. Beleidigungen in Kommentaren beispielsweise, werden ihm zufolge daher direkt geblockt. „Gerade als Deutscher ist es nicht immer einfach, auf internationalen Kanälen unterwegs zu sein. Gerade dann, wenn Englisch nicht deine Muttersprache ist“, bestätigt er im Gespräch. Als Deutscher wird die Beleidigung, dass man ein Nazi sei, immer noch sehr regelmäßig aufgegriffen. Dies habe er vor allem bemerkt, als er vermehrt mit seinem englischsprachigen Kanal mit der internationalen Gaming-Community in Kontakt getreten ist. Solche Äußerungen betreffen hierbei nicht nur ihn, sondern eben auch seine Community. Archimedes sieht sich dabei in der Verantwortung, in solchen Fällen zu intervenieren.
Gaming-Kanäle auf Social Media: Eine neue Plattform für Diskriminierung?
Aus dem Gespräch wird ersichtlich, dass Social-Media-Kanäle, die sich mit Gaming befassen nicht vor Diskriminierung gefeit sind, oder diese noch selbst provozieren. Denn, obwohl „Hate Speech“ auch von den Social-Media-Plattformen selbst bekämpft wird, ist intolerantes Verhalten nach wie vor bemerkbar. Vor allem in Bezug zur Zugehörigkeit zu einer Marke wie Sony, Xbox oder Nintendo, identifizieren sich einige Fans in dem Maße mit der jeweiligen Marke, dass sie sich nicht nur von anderen Communities abschotten, sondern auch ein aggressiv-diminuierendes Verhalten gegenüber anderen Communities zeigen. Veröffentlicht ein Publisher wie Sony – ein Unternehmen, welches seit Beginn des Aufstiegs der Gaming-Branche primär für seine Konsole bekannt war – Traditionsmarken wie Uncharted oder God of War auf andere Plattformen als dem klassischen Computer, ist ein Aufruhr treuer Fans grundsätzlich inbegriffen. Wie könne man es wagen, das Alleinstellungsmerkmal der Marke zu verunglimpfen, ist dabei oft zu hören. Doch auch die Entwickler und Content-Producer selbst sind hierbei von intolerantem Verhalten betroffen. So äußerte sich Corey Barlog, der ehemalige Game Director von God of War von den Santa Monica Studios zu einem sexistischen, beleidigenden und gewaltverherrlichenden Kommentar , in welchem die Entwicklerin Alanah Pearce, die das Szepter in der Entwicklung von Barlog übernahm, beleidigt und beschimpft wurde.
Anonymität auf YouTube als Treiber von Hate Speech?
Als Youtuber sieht Archimedes diskriminierendes Verhalten auf der Plattform schon immer kritisch. Er selbst fokussiere sich aufgrund genau solcher Vorfälle darauf, solche Kommentare einerseits zu ignorieren, andererseits aber auch – je nach Tragweite – zu thematisieren. Unterschlagen möchte er die emotionale Belastung dahingehend nicht. Auf die Frage, wie er damit umginge, antwortet er: „Es ist unterschiedlich und hängt von der Tagesform ab. Früher habe ich versucht, auf solche Kommentare zu reagieren.“ Dies habe er jedoch schnell unterlassen, da er merkte, wie den Leuten nur eine Bühne für die Provokation geboten wurde und dies nur dazu geführt habe, dass sie immer mehr Hasskommentare schrieben, bis er anfing, sie zu ignorieren.
Doch was trägt laut Archimedes zu solchen Hasskommentaren bei und was steckt dahinter Einerseits spielt die Anonymität des Internets laut Archimedes eine sehr große Rolle. Es könne dementsprechend Hass auf YouTube vermieden werden, wenn hinter dem User-Namen eine Personen-Verifizierung stattfinden würde. Im Monetarisierungssystem sei dies auf YouTube bereits allseits bekannte Praxis: Man könne zwar mehrere Kanäle auf YouTube betreiben, jedoch nur über einen einzelnen Account die Kanäle monetarisieren. Die Zahlungen erfolgen somit immer im Namen einer Person, unabhängig von der Anzahl der Kanäle, die diejenige Person besitzt. Könne man also auch private Nutzer mit ihrem echten Namen zurückverfolgen, wären in der Theorie wahrscheinlich weniger Personen zu Hasskommentaren und diskriminierendem Verhalten bereit. Andererseits ist eine simple Abkehr jener Anonymität nicht ausreichend. „Das Problem bei [der Diskriminierungs-Richtlinie auf] YouTube ist, dass es auf Bots basiert. Man kann Kommentare zwar melden, jedoch weiß man nie, was ein Bot damit macht“ , bekräftigt Archimedes dahingehend. Laut ihm wäre es zielführender, wenn Diskriminierungen weniger über die YouTube-Algorithmen, sondern mehr über rational denkende Mitarbeiter*innen reguliert würden. Als nicht-hauptberuflicher YouTuber nimmt er sich aus diesem Grund auch vor, mit seiner Community regelmäßig zu kommunizieren, um die Konversationen auf seinem Kanal zu regulieren und dementsprechend auch für eine Friedlichkeit in den Gaming-Diskursen zu sorgen.
Sexismus in der Gaming-Branche
Auch Sexismus in der Gaming-Branche und Online-Community ist ein großes Problem. Frauen Frauen in der Gaming-Branche sind immer noch unterrepräsentiert und sind sexistischen Kommentaren ausgesetzt, was sich vor allem auf Social-Media-Kanälen zeigt. Publisher wie Ubisoft oder Blizzard entließen Spieleentwickler nach Sexismus-Vorwürfen von betroffenen Mitarbeiterinnen. Frauen wie Anisa Sanusi, Gründerin von „Limit Break“, einem Mentorenprogramm für unterrepräsentierte Geschlechtergruppen, setzen sich dafür ein, dass Frauen in der Entwicklerbranche in einem Umfeld frei von Sexismus und Diskriminierung arbeiten können [2].
Auch Archimedes weiß von sexistischem Verhalten auf Social-Media-Kanälen in der Gaming-Community. Er selbst bekomme dies als YouTuber vor allem durch die Statistiken mit „Tatsächlich ist in der Content-Creator-Branche das Problem immer noch, dass die Hemmschwelle sehr groß ist und viele Themen sexualisiert werden“, bestätigt er. Auch, wenn zum Thema Sexismus zunehmend etwas unternommen werde, ist gerade dieses Verhalten etwas, was in den Videospielen selbst als Thematik nur selten aufgegriffen wird. Letztendlich stelle sich eben die Frage, wie der Konsument darauf zu reagieren habe. Lediglich der Boykott eines Kanals, oder eines Entwicklers, dem Diskriminierung vorgeworfen wurde, ist eine Option, die zu ernsthaften Folgen führe.
Im Interview wird deutlich, dass sowohl auf Social-Media-Kanälen als auch in der Gaming-Branche selbst, Diskriminierung ein großes Problem ist. Und das, was verbinden soll – nämlich die Spiele – werden letztlich als Werkzeug für Hassrede und Aggression missbraucht.
Das ganze Interview könnt ihr hier anhören:
Quellen:
Döring, Nicola und Mohseni, M.Rohangis. “Male dominance and sexism on YouTube: Results of three content analyses”. In: Feminist Media Studies. 2018. DOI: 10.1080/14680777.2018.1467945 [05.11.2021]
Peckham, Eric. „Confronting racial bias in Video Games”. Techcrunch.com. [web, 21.06.2020] https://techcrunch.com/2020/06/21/confronting-racial-bias-in-video-games/?guce_referrer=aHR0cHM6Ly93d3cuZ29vZ2xlLmNvbS8&guce_referrer_sig=AQAAAENvfPNM6Ey6t-Cp3crBWuyt2xJ4XNrpVMtihTUpH239JFCPmadzUWGaZn-4HVAJVqwL6Do9NtVUoooCt0KgiXAymoVWZhsH0gPZtoCCfOVPf7UWRX_ReLhkwurVy0HCgOIK-JejaD457tljytkXwADJdfZz9Kkgf19e6mKzr-l-%20&guccounter=2
Wiltshire, Alex. “What does it make to make a living on Twitch?” PC Gamer.com. [web, 11.11.2019]. https://www.pcgamer.com/what-does-it-take-to-make-a-living-on-twitch/