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Die Privatsphäre deines Kindes geht mich nichts an

Über die Vermarktung von Kindern bei Social Media

Von Mona Philipp

Sich von Fremden beobachtet lassen, sie mit nach Hause nehmen und für sie einen Seelenstriptease performen. Das ist eine freie Entscheidung. Wenn aber Eltern ihre Kinder filmen und diese Videos ins Netz stellen, wird diese Entscheidung zu einer moralischen und rechtlichen Frage. Trotzdem findet man tausende solcher Videos auf YouTube. Wo liegen die Grenzen und verlieren diese ihren Wert, wenn Geld mit ins Spiel kommt

Ich sitze im Zug und merke, wie er mich ansieht. Sein Blick mag harmlos sein, nur eine flüchtige Begegnung unserer Welten. Ich atme ein und aus. 1 Million Aufrufe hatte das Video von mir im Pool. Ich war fünf, hab nur eine Badehose getragen. Hat er den Time-Code in den Kommentaren gelesen und auf Pause gedrückt? Ein junges Mädchen lächelt mir schüchtern zu. So als würde sie sagen wollen: Es tut mir leid. 1, 5 Millionen Aufrufe hatte das Video vom Arztbesuch. Ich war vier und wurde mit rheumatoider Arthritis diagnostiziert. Ich atme ein und aus. Es sind doch nur Blicke. 2, 8 Millionen Abonnent*innen. Anonyme Gesichter. Ich steige am Bahnhof aus. Automatisch suche ich sie wieder. Die Blicke, die sagen: Ein bisschen gehörst du mir.

YouTube als Einnahmequelle 

Das digitale Zeitalter schafft Gefahren, für die Gesetze nicht greifen. Bild: Unsplash

YouTube ist das beliebteste Videoportal der Welt. Die Plattform wurde im Jahr 2005 gegründet und ein Jahr später von Google für 1,6 Billionen US-Dollar als Tochtergesellschaft erworben. Durch das YouTube-Partnerprogramm profitieren Creator*innen von den Umsätzen der Werbeanzeigen, welche vor ihre Videos geschaltet werden. Mit genügend Abonnent*innen, können auch Kooperationen und Fan-Shops als Einnahmequelle dienen. Der Job von YouTuber*innen hat also durchaus Potenzial für ein gewinnbringendes Geschäftsmodell (Allem Ahmed, 2018). Familien-Vlogger zählen zu den erfolgreichsten Creator*innen auf YouTube. Ihre Videos gleichen einem virtuellen Blog. Sie filmen Ausschnitte ihres Familienalltags, welche sie regelmäßig mit der Welt teilen. Kaum ein anderer Job bietet den Arbeitnehmer*innen solch ein hohes Maß an Handlungsautonomie. Solange sie sich an die Richtlinien seitens der Plattform und des Staates halten, können die User frei über die Länge und den Inhalt ihrer Videos entscheiden. Was zunächst wie ein Traumjob klingt, verschwimmt schnell in einer moralisch fragwürdigen Grauzone.

Ich will doch nur spielen 

Kinder im Netz verlieren ihre Anonymität. Wo die Grenzen liegen, entscheiden die Eltern. Bild: Unsplash

Der Deal wird zwar zwischen der Plattform und den User abgeschlossen, doch beinhaltet zwangsläufig ein drittes Mitglied – das Kind. Das verleiht dem Spiel, das hier gespielt wird, einen bitteren Beigeschmack. Die Kinder werden zur Einnahmequelle. Sie sind oft Dreh- und Angelpunkt des Inhaltes. Zunächst scheinen sowohl die Eltern als auch die Kinder von diesem System zu profitieren. Die Eltern können von Zuhause aus arbeiten, bei ihren Kindern sein und frei bestimmen, was von ihrem Alltag sie mit der Welt teilen wollen und was sie privat halten möchten. Allerdings fließt in diesem Spiel Geld. Der Content der Familien-Vlogger steht im unmittelbaren Wettbewerb mit Milliarden von anderen Videos. 

Mit YouTube Geld zu verdienen, funktioniert auf dem System „The winner takes it all“ (Allem Ahmed, 2018). Langweilige Inhalte erhalten weniger Klicks, weniger Kommentare, weniger Abonnenten, weniger Geld. Wer von dem Beruf leben will, muss seinen Zuschauern etwas bieten. Halte ich also die Kamera auf mein Kind, das im Supermarkt einen Tobsuchtsanfall bekommt, oder auf mich, wenn ich Tomaten einkaufe? Erzähle ich detailliert vom Krankheitsverlauf meines Kindes, oder davon, dass ich heute Morgen joggen war? Unterhaltung wird zum Wettbewerb. Man muss spannender sein als die anderen, es muss etwas passieren, den langweiligen Alltag will keiner sehen. Wenn Alltag, dann nur, wenn man doch auch bitte intime Details teilt. Wer fragt die Kinder? Wer bestimmt, wann dieses Spiel zu weit geht? Was ist zu weit? Wenn man sich die Inhalte mancher Videos im Netz anschaut, scheint es kaum ein „zu weit“ zu geben. Ist es noch moralisch vertretbar (sowohl im wörtlichen als auch übertragenden Sinne) dabei zuzuschauen?

Meine Würde, eure Regeln 

Wer sollte die Regeln zum Schutz von Kindern im Netz bestimmen? Der Staat, die Plattform, die Eltern, oder gar die Kinder selbst? Bild: Unsplash

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“ (§ 1 Absatz 1 GG). So lautet das Gesetz. Das Grundgesetzbuch sieht allerdings keine speziellen Rechte für Kinder vor. Die Art und Weise wie Eltern ihre Kinder erziehen, bleibt ihre freie Entscheidung, solange diese nicht physisch oder psychisch misshandelt werden. Dies sollte auch so bleiben. Allerdings stellt sich die Frage, ob die bisherigen Rechte und Maßnahmen ausreichen, um das Wohl des Kindes zu schützen. Die potenziellen Gefahren im Netz verdeutlichen die Dringlichkeit dieser Frage. Wie ist die menschliche Würde definiert? Wie weit dürfen Eltern gehen? Ist es in Ordnung, das eigene Kind beim Schlafen zu filmen und dies mit der Öffentlichkeit zu teilen? Im Bikini? Darf ich erzählen, dass es Durchfall hatte? Wer weiß schon, für was sich das Kind später einmal schämen wird. Natürlich könnte man sagen, dass mit diesen Argumenten Eltern überhaupt kein Recht mehr auf Erziehung haben. Doch es besteht ein Unterschied darin, ob die Eltern peinliche Kinderfotos bei der nächsten Familienfeier rumreichen, oder ob sie Videoaufnahmen ihre Kinder mit der Welt teilen. Momente im Alltag verfliegen; Aufnahmen im Internet bleiben, auch wenn sie vom Urheber gelöscht wurden. Was im Darknet mit diesem Material passieren könnte (und passiert!), möchte sich wohl kein Elternteil ausmalen.

Schütz mich

Kinder sind Kinder. Warum sollten sie es nicht lieben, im Rampenlicht zu stehen? Kleinkinder werden mit Sicherheit nicht die Tragweite ihres Handelns verstehen. Für sie ist das alles ein Spiel. Im schlechtesten Falle noch nicht mal das. Die aktuellen Bemühungen, Kinderrechte in den Koalitionsvertrag aufnehmen zu wollen, sind zweifellos ein guter Ansatz, um Kinder besser zu schützen. Im Bereich der digitalen Welt werden diese Regeln allerdings wenig bewirken. Bezüglich der Grenzüberschreitung, wie sie in den Richtlinien von Google aufgelistet werden, benötigt es eine konsequentere Durchsetzung, Nachverfolgung und Löschung dieser Inhalte. Der Rest bewegt sich in einem Graubereich, der von den Entscheidungen der Eltern abhängt. Eben an diese sollte man appellieren: Spielt das Spiel von „höher- besser -weiter“ nicht mit. Keine Klickzahl der Welt wird mehr wert sein als das Wohl eurer Kinder.

 

Quellen:

Arbeitsrecht org (31.08.2015). Jugendarbeitsschutzgesetz (JArbSchG). https://www.arbeitsrecht.org/gesetze/jarbschg/ 

Ahmed, M. A. (2011). FAMILY VLOGGING–GOOD OR BAD? – FREELANCE FAMILY VLOGGING ON SOCIAL COMPUTING WEB SYSTEMS. The Social Impact of Social Computing, 8. 

Bundesministerium für Familie, Senioren und Jugend (14.06.2021). Kinderrechte ins Gesetz. https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/kinder-und-jugend/kinderrechte/kinderrechte-ins-grundgesetz 

YouTube DE (01.06.2021). Nutzungsbedingungen. https://www.youtube.com/static?gl=DE&template=terms&hl=de  

2021 Google-Datenschutzbestimmungen – Nutzungsbedingungen von YouTube (2021). Richtlinien zum Schutz von Kindern. https://support.google.com/youtube/answer/2801999