Ein Lauf mit Hindernissen:
Der Laufsport in der Klimakrise
Von Johannes Weixler
2023 demonstriert die Letzte Generation gegen die Klimawirkung des Berlinmarathons, im August 2024 fragt die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), inwieweit der Marathon-Sport durch den Klimawandel beeinträchtigt wird. Ein Halbmarathon in Berlin-Reinickendorf bot die perfekte Gelegenheit, dieser ambivalenten Janusköpfigkeit zwischen Opfer und Täter in der Klimakrise in die Augen zu schauen.
Ende August in Berlin. Auf dem Tempelhofer Feld joggen nachmittags duzende Menschen über die ehemaligen Start- und Landebahnen. Ein beliebter Trainingsort. Breite, geteerte Straßen, die jedoch nur hie und da durch Bäume beschattet werden. Außergewöhnlich große Schweißperlen und verlangsamte Lauftempi zeugen von über 30 °C Lufttemperatur. In der Klimatologie wird hierbei von einem heißen Tag gesprochen. Die Kombination aus hohen Temperaturen und Ausdauersport ist jedoch nicht nur anstrengend, sondern auch gefährlich. Bei Hitzestress oder gar einem Hitzeschlag stößt der menschliche Körper an seine physische Grenze der Abkühlungsfunktion. Bei relativ hoher Luftfeuchtigkeit, wenn die Luft also schon fast wassergesättigt ist, verdunstet kaum noch Schweiß auf der Haut. In der Folge heizt sich der Körper weiter auf, was ab 40 °C zu irreversiblen Schäden führen kann. Mehrere Zusammenbrüche und ein tragischer Todesfall ereigneten sich so beim Kiel-Lauf 2024, der bei über 30 °C stattfand.
Ob Trainingslauf oder Marathon: Die (Uhr-)Zeit ist entscheidend

Das Tempelhofer Feld in Berlin ist ein beliebter Trainingsort für Läufer und Läuferinnen – und im Sommer ganz schön heiß, Quelle: Johannes Weixler
Hilfestellung bietet der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB). Auf dessen Website werden Ausdauersportler*innen auf Klimarisiken durch Extremwetterereignisse, UV-Strahlung und erhöhte Boden-Ozonwerten hingewiesen. Und diese nehmen laut Deutschem Wetterdienst (DWD) zu, seit den 1950ern pro Jahrzehnt um etwa 2,3 Tage pro Jahr. 2045 könnten demnach in Stuttgart beispielsweise über 70 Tage heißer als 30 °C werden. Durch den Klimawandel wird das Trainieren also an immer mehr Tagen im Jahr beeinträchtigt und teils sogar zu einem gefährlichen Hobby. Körperlich aktive Menschen sind dieser Entwicklung aber nicht völlig ausgeliefert. Die Planung der Sporteinheiten oder von Großveranstaltungen benötigt aber mehr Flexibilität. Das kann bedeuten: Joggen in den frühen Morgenstunden, an Tagen mit geringeren Ozon-Konzentrationen in Bodennähe und mit mehreren Trinkpausen.
Den Olympia-Marathon und andere Disziplinen an bestimmten Austragungsorten also zumindest auf die Winterhalbzeit zu verschieben, erscheint notwendig. Wer genau hinsieht, entdeckt auch auf dem Tempelhofer Feld alle zwei Kilometer öffentliche Trinkbrunnen. Sicheres Joggen ist hier also auch im Sommer möglich, lediglich für die geeignete Uhrzeit muss man sich selbst entscheiden.
Der größte Einfluss aufs Klima
Nach vielen heißen Trainingsrunden in diesem Sommer ist der Tag des legendären Berlin Major Marathon gekommen. Wer alle sechs Läufe dieser Serie in den USA, London, Tokio und Berlin absolviert, wird als Six Star Finisher mit einem Platz in der Finisher-Hall of Fame geehrt. Deshalb reisen jeden Herbst mehr als 50.000 Menschen aus der ganzen Welt meist nur für ein Wochenende in die Bundeshauptstadt. Die mit Abstand meisten Emissionen entstehen bei Laufevents wie diesem durch die Anreise per Flugzeug oder Auto. Kaum zu Buchen schlagen vergleichsweise das Laufen selbst und die Ausrichtung dieser Sportereignisse. In ganz Deutschland gibt es jährlich auch unzählbar viele regionale Laufveranstaltungen, die meist gut mit dem ÖPNV erreichbar sind. Vielleicht sind sie sogar eine Möglichkeit, bisher unbekannte Orte zu entdecken. So beispielsweise der Halbmarathon in Berlin-Reinickendorf Ende August. Nur zwei prominente Athleten sind angereist, viele Teilnehmer*innen tragen Lauf-Shirts von Berliner Laufsportvereinen.
Ein Rückschritt in der Organisation: Einweg- statt Mehrweg-Transponder

Klein aber entscheidend. Dieses Zeichen auf der Startnummer verdeutlicht, dass sie im Sondermuell entsorgt werden muss. Quelle: Johannes Weixler
Manche Läuferinnen oder Läufer des Reinickendorfer Halbmarathons stoßen bereits bei der Startnummernausgabe auf ihre größte Herausforderung. Zwei Schaumstoffkleber auf der Rückseite laden zum Abziehen ein, um sie mit dem darunterliegenden Kleber auf der Kleidung zu befestigen. Tatsächlich verbergen sich darunter jedoch Transponder. Beim Übertreten der Start- und Ziellinie werden diese durch ein elektrisches Feld aktiviert und senden ihre Identifikationsnummer an das Zeitmess-System. So wird nach dem Lauf automatisch die Zielzeit inklusive Gesamt- oder Altersklassenranking digital zur Verfügung gestellt. Über 20 Jahre galt der „ChampionChip“ hierbei als Standard, den man beim ersten Rennen erwarb und dann bei jedem Laufevent mit den Schnürsenkeln am Schuh befestigen konnte. Da Einweg-Transponder an Startnummern weniger Aufwand für Veranstalter verursachen, wurde die Produktion der Mehrweg-Technologie ChampionChip im Jahr 2023 eingestellt. Mit in den Müll wanderten fortan nach jedem Viertel-, Halb- und Marathon die in den Transpondern enthaltenen Rohstoffe wie Silizium, Nickel, Kupfer, Aluminium und Silber. Wer aber genau hinsieht, erkennt nicht nur im Kleingedruckten der Startnummer, sondern mittlerweile auch auf vielen Kleidungs-Etiketten oder sonstigen Produktverpackungen im Alltag eine durchgekreuzte Mülltonne. Sie besagt: Die Entsorgung muss über den Elektroschrott erfolgen. Gelangen die Startnummern mit den Transpondern in die Papiertonne oder den Gelben Sack, werden die Recyclingprodukte aus Papier, Kunststoff oder Metallen verunreinigt und können stark an Qualität und Funktion einbüßen. Doch selbst bei korrekter Entsorgung über Elektroschrott-Sammelstellen fände laut Umweltbundesamt kein Recycling in Form einer Rückgewinnung der Rohstoffe statt. Geringe Rohstoffpreise machten diesen Prozess unrentabel, weshalb eine steigende Menge dieser Elemente in der Verbrennung landet. Neue Transponder müssen also ständig mit Einsatz von Energie und frischen Rohstoffen produziert werden, um den steigenden Bedarf zu decken.
Vom Laufschuh bis zum Mehrwegbecher: Laufend das Klima schonen
Der Startschuss fällt im idyllischen, mit Pflasterstraßen gesäumten Zentrum des Berliner Stadtteils. Im vorderen Block läuft ein leicht bekleideter, etwa 60-jähriger, drahtiger Läufer. Er beweist der Welt, dass Halbmarathon auch ohne Schuhe geht. Welcher Grund auch dahinter steckt, er nimmt sich damit des zweitgrößten individuellen Handlungspotentials neben der individuellen Anreise an: Die Laufkleidung. Laufschuhe haben hierbei den größten Anteil an der CO2-Bilanz. Forschende des Massachusetts Institute of Technologie (MIT) berechneten diese exemplarisch mit 11,3 bis 16,7 Kilogramm pro Paar. Bergen lokalere Produktionsstandorte nur ein geringes Reduktionspotential, liegt der Hebel vielmehr bei Schuhen aus Recyclingmaterialien oder aus einer Produktion mit Ökostrom, so das Ergebnis der Studie. Auch bei Laufshirts oder – hosen sind recycelte Produkte eine klimaschonende Alternative, ohne komplett auf Laufkleidung verzichten zu müssen.
Die Sportbegeisterten beim Reinickendorf-Marathon haben Glück, dieser Spätsommertag ist kühl. Einweg-Wasserbecher beugen dennoch der Dehydrierung vor. Hinter der Ziellinie erwartet jede und jeden Finisher ein Shirt sowie eine Bronze-Medaille mit Berliner Bär. Die CO2-Bilanz dieser Goodies ist zwar im Vergleich zu Laufkleidung, Anreise und Transpondern vernachlässigbar ist, gibt es auch hier innovative wie auch einfache Ideen für Alternativen. Auf dem Köln-Marathon werden Mehrwegbecher verwendet, die in vielen Cafés bereits Standard sind. Finisher erhalten hier außerdem eine Medaille aus dem nachwachsenden Rohstoff Holz. Da vielfach mit diesen Maßnahmen geworben wird, sind diese nachhaltigen Bestrebungen der Ausrichtenden oft leicht auf der jeweiligen Website auffindbar, was wiederum die gezielte Wahl eines Marathons ermöglicht.
Damit die Teilnehmenden des Reinickendorf-Halbmarathons nicht zum letzten Mal laufen, halten jubelnde Anwohnende Sprüche wie „Lächeln, du hast dafür bezahlt!“ in die Luft. Wer einmal dabei ist, spürt die Motivation entlang der Strecke. Wenn ein kleiner Teil dieser Motivation bleibt, führt das vielleicht auch im Alltag dazu, sich mehr zu Fuß fortzubewegen und damit zu einer positiven Rückkopplung für das Klima. Denn Laufen ist Teil der Lösung. Die großen klimarelevanten Faktoren sind auf wenige Aspekte begrenzt. Mehr Flexibilität lässt das Laufen vom Gesundheitsrisiko und Klimafaktor zum Gesundheitsfaktor und Klimaschoner werden.
Quellen:
- FAZ über Marathon bei Olympia: Klimawandel und Sport: Olympia bald ohne Marathon?
- ZDF über Letzte Generation: Berlin-Marathon: „Letzte Generation“ scheitert mit Aktion – ZDFheute
- Umweltbundesamt über das Recycling von Transpondern: https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/einfluss-von-rfid-tags-auf-abfallentsorgung
- DOSB über Gesundheitsauswirkungen: Der Deutsche Olympische Sportbund